Trotz «Flugscham»: Schweiz bremst Nachtzug-Verbindungen

Die Flugscham hat es geschafft. Bahnverbindungen über lange Strecken sind wieder in Mode, genauso wie Nachtzüge. Die SBB haben sich aus dem Nachtzug-Geschäft allerdings schon lange verabschiedet, auch die Deutsche Bahn wollte damit nichts mehr am Hut haben.

Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) sind in die Bresche gesprungen und garantieren heute die wichtigsten Nachtzugverbindungen von der Schweiz, namentlich von Zürich nach Berlin und Hamburg sowie in Richtung Osten – nach Wien, Graz oder Zagreb. Trotz des SBB-Rückzugs ist Zürich zweitgrösster Hub für Nachtzüge in Europa. Doch Tatsache ist: Richtung Westen und Süden – etwa nach Barcelona oder Rom – gibt es keine nächtlichen Bahnverbindungen mehr.

Die Forderungen nach neuen Nachtzugverbindungen sind lauter geworden, doch im operativen Geschäft haben die Anbieter teilweise mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen. Dies hat der Geschäftsführer der Gesellschaft Thello, Roberto Rinaudo, bei einer Veranstaltung der Bahnjournalisten Schweiz Anfang Woche in Zürich klar gemacht.

Thello ist eine Tochterfirma von Trenitalia und fährt Nachtzüge zwischen Paris und Venedig – via Lausanne und Simplontunnel – sowie in Gegenrichtung. Die Züge werden fast ausschliesslich von Touristen benutzt, welche zwischen den beiden Kulturstädten unterwegs sind.

Chronische Verspätungen

Ein grosses Problem sind dabei die chronischen Verspätungen. Thello weist für die ersten neun Monate 2019 bei ihrem Zugspaar Paris – Venedig total 20’073 Verspätungsminuten aus, das heisst jeder Zug hatte im Schnitt 37 Minuten Verspätung, nur wenige waren pünktlich.

Grund dafür sind laut Rinaudo sehr häufig Kontrollen des Schweizer Zolls und der Grenzwache, obwohl die Züge nur im Transit durch die Schweiz fahren. «Da Thello-Züge keine kommerziellen Haltestellen in der Schweiz haben, gelten sie als Güterzüge“, kritisiert Rinaudo.

Der Antrag auf einen Stopp in Lausanne wurde vor zwei Jahren gestellt, aber abgelehnt. Doch es könnten sich in diesen Zügen Migranten aufhalten oder auch Drogenkuriere. Daher wird viel kontrolliert. Grosskontrollen könnten Verzögerungen von bis zu 90 Minuten bedeuten.

Ein weiteres Ärgernis sind die nächtlichen Baustellen oder gar totale Streckenunterbrüche oder Tunnelsperrungen, welche von den Infrastrukturbetreibern, den staatlichen Bahnen in Frankreich, der Schweiz und Italien häufig ohne lange Vorankündigungen eingerichtet werden.

Lange Umleitungen sind die Folge, im schlimmsten Fall fallen die Nachtzüge sogar ganz aus, wie Rinaudo berichtete. Im Jahr 2019 sei dies mehrmals passiert. Er bemängelt, dass die Infrastrukturbetreiber der verschiedenen Länder sich nicht untereinander absprechen.

Quintessenz: Alle wollen wieder mehr Nachtzüge in Europa. Doch von einer wirklichen Renaissance von Schlaf- und Liegewagen sind wir noch weit entfernt. Dabei könnte die Schweiz auch neues Rollmaterial liefern.

Die Stadler AG hat soeben eine Reihe von topmodernen Schlaf- und Liegewagen fertiggestellt und geliefert. Allerdings nicht an einen europäischen Anbieter, sondern nach Aserbaidschan. Dieser Wagen sollen möglichst bald auf der Strecke Baku- Tbilisi- Kars-Istanbul zum Einsatz kommen. Die Wagen haben allerdings ihren Preis: Rund 3 Millionen Franken pro Stück.