Trotz miesen Zinsen: Schweizer horten 583 Milliarden Franken auf Sparkonti

«Früher war alles besser». Wenn der Spruch auf etwas zutrifft, dann aufs Sparen. Für Geld auf einem Sparkonto erhielten Kunden von Schweizer Banken 1975 im Schnitt einen Zins von knapp 5 Prozent. 1993 war es gar ein Zins von 5,13 Prozent, das zeigt die Statistik der Schweizer Nationalbank (SNB).

Auch 2008 – vor Ausbruch der Finanzkrise – zahlte etwa die Berner Kantonalbank einen Zins von 1,5 Prozent. Bei der Postfinance gab es 1,25 Prozent und bei der ­Credit Suisse immerhin noch 1 Prozent. Das war früher. Die Gegenwart ist für Sparer ein hartes Pflaster. Heute liegen die Zinsen von Berner Kantonalbank und Postfinance bei 0,05 Prozent. Die CS bezahlt nur noch 0,01 Prozent. Noch ein Stück weiter geht die UBS: Die grösste Schweizer Bank bezahlt seit Juni auf dem gewöhnlichen Sparkonto für Erwachsene 0,00 Prozent.

Schweizer horten viel Geld auf ihren Sparkonti

Trotz der schlechten Zinssituation horten Kunden in der Schweiz nach wie vor viel Geld auf ihren Sparkonten. Ende 2018 lagen gemäss SNB rund 583 Milliarden Franken auf den Sparkonti der Schweizer Banken.

Zur schlechten Zinssituation kommt nun noch eine weitere Verschlechterung hinzu. Gemäss der Retailbanking-Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen Zug der Hochschule Luzern hat ein Grossteil der 90 in der Studie berücksichtigten Banken die sogenannten Rückzugsbedingungen verschärft. Viel Geld auf einmal zu beziehen, ist für die Kunden teurer geworden.

Die Rückzugsbedingungen regeln die Geldbezüge ab einem Konto. Dabei gilt die Grundregel: Je höher der Zinssatz auf dem jeweiligen Konto, desto niedriger der jederzeit frei verfügbare Betrag. Ein Sparkonto mit einem höheren Zinssatz hat dementsprechend strengere Rückzugsbedingungen. Zudem verlängert sich bei einem höheren Zinssatz die einzuhaltende Kündigungsfrist.

Banken müssen mehr Liquidität halten

Die Rückzugsbedingungen haben regulatorische Gründe. Die Banken sind von Gesetzes wegen verpflichtet, über genügend flüssige Mittel zu verfügen, damit sie ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Sparern und Anlegern jederzeit nachkommen können. Denn: Ziehen Sparer zu schnell und in grosser Zahl Geld ab, könnte ein Bankinstitut in einen Liquiditätsenpass geraten.

Ein Grossteil der Banken hat die Regeln verschärft

Die am Mittwoch vorgestellte Retailbanking-Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen zeigt nun, dass zwei Drittel der auf Privatkunden spezialisierten Geldhäuser, die sogenannten Retailbanken, ihre Rückzugsbedingungen seit dem Jahr 2015 kontinuierlich verschärft haben. «Bei den meisten Banken können Kunden nur noch 30000 Franken oder weniger innerhalb von 30 Tagen abheben», sagt Andreas Dietrich, Professor am Institut für Finanzdienstleistungen Zug und Mitautor der Studie. Mehr Geld gibt es nur nach der Zahlung einer Strafgebühr.

Besonders restriktiv sind etwa die Rückzugsbedingungen der Bank Cler, der ehemaligen Bank Coop: Will sich ein Kunde beispielsweise ein Auto von 40000 Franken kaufen und dafür das Geld von seinem Bankkonto beziehen, muss er fürs Abheben Geld hinblättern. Pro Monat darf er bei der Bank Cler nämlich nur 10000 Franken abheben, für die restlichen 30000 Franken bezahlt er einen Strafzins von zwei Prozent. Das macht 600 Franken. Die Gebühr steht in Kontrast zum Zins von 0,05 Prozent, den die Bank Cler auf einem Sparkonto bezahlt.

Mit einer Strafgebühr von zwei Prozent steht Cler aber nicht alleine da, wie ein Moneyland-Vergleich von Retailbanken zeigt. Sie gilt etwa bei der Luzerner Kantonalbank, bei der Berner Kantonalbank, bei Valiant, bei der Regiobank Solothurn oder den Raiffeisenbanken (siehe Tabelle). Letztere waren die ersten, welche die Bezugslimiten und die Strafgebühr für Kunden konsequent angewendet haben.

Weniger restriktiv sind die Regeln bei Postfinance. Dort können Kunden im Kalenderjahr 100000 Franken aufs Mal abheben, die Strafgebühr bei Überschreitung beträgt 1 Prozent. Die Zuger Kantonalbank erlaubt es ihren Kunden im Monat 20000 Franken aufs Mal abzuheben, bei Überschreitung beträgt die Strafgebühr 1,01 Prozent. Bei der Zürcher Kantonalbank ist zwar die monatliche Limite mit 10000 Franken tief, der Zins, der bei einer Überschreitung zur Anwendung kommt, ist bei einem Sparkonto als Einzelprodukt mit 0,01 Prozent vernachlässigbar.

Hauptgrund für diese Einschränkungen ist eine Regelung der Finanzmarktaufsicht Finma, die bis zum 1. Januar 2019 vollständig in Kraft sein musste. Die neue Regulierung schreibt den Banken vor, dass sie jederzeit über genügend liquide Mittel verfügen müssen, um auch in einem Stressszenario während 30 Tagen funktionieren zu können. Der Ursprung dieser Liquiditätsvorschriften ist in der Finanzkrise zu suchen. Im Nachgang kamen für Grossbanken, aber auch für Retailbanken, strengere Regeln zum Einsatz.

Wieso hat man überhaupt noch ein Sparkonto?

Bei all diesen Einschränkungen drängt sich eine Frage auf: Wieso legen die Schweizerinnen und Schweizer ihr Geld eigentlich noch aufs Sparkonto? Der Zinsvorteil gegenüber einem Privatkonto – das gegenüber einem Sparkonto über keine oder über deutlich lockerere Rückzugsbedingungen verfügt – ist sehr gering. «Die Zinsdifferenz beträgt aktuell noch 0,038 Prozent – oder 3,8 Basispunkte. Noch 2008 hatte die Zinsdifferenz 70 Basispunkte betragen», sagt Dietrich. Damals, sagt er, hatten Bankkunden noch einen deutlich grösseren finanziellen Anreiz, ihr Kapital nicht auf dem Privatkonto zu deponieren, sondern es aus Zinsgründen auf ein Sparkonto zu transferieren. Heute ist dieser Anreiz verschwunden.

«Dennoch haben die Kunden darauf nicht reagiert», sagt Dietrich. Der Anteil der Sparkapitalien auf Sparkonti bzw. Privatkonti habe sich über die vergangenen Jahre nur unwesentlich verändert. Dass Kunden ihr Geld von Sparkonti auf Privatkonti transferierten komme in einem sehr geringen Ausmass vor. Dietrich nennt drei Gründe. Erstens gebe es Privatkonti, die teurer sind, als Sparkonti. Zweitens erachteten die meisten Kunden monatliche Rückzüge in der Höhe von 30000 Franken als angemessen – sie brauchen schlicht nicht mehr. «Eine Erklärung könnte auch sein, dass viele Bankkunden noch die Vorteile von Sparkonten aus der Vergangenheit in Erinnerung haben und sich der neuen Zinssituation zu wenig bewusst sind», so Dietrich. Sparkonto-Nostalgie sozusagen, als beim Sparen alles noch besser war.