Umringt von Wakker-Städten: Ist die Stadt Olten nur ein hässliches Entlein?

Das Stadthaus (Bild: Bruno Kissling)
Das Stadthaus (Bild: Bruno Kissling)

Die Luft wird dünn für Olten. Ringsum feierten und feiern Kommunen ihre Hochzeiten in architektonischer Redlichkeit, denkmalpflegerischem Bewusstsein, im Sinn fürs Wahrhafte, für die Zeiten überdauernde bauliche, soziologische Transformation hin zur Moderne. Sie wurden mit dem Wakker-Preis ausgezeichnet, dem eigentlichen Oscar des schweizerischen Heimatschutzes. Olten nicht.

Den Anfang machte Solothurn (1980). Das ging in Olten ohne Diskussionen durch, wusste man doch: Solothurn, klar, die schönste Barockstadt der Schweiz. Mochte man ihnen gönnen, «de Heere», wie man die Stadtsolothurner im Niederamt etwas spöttisch bezeichnet: «Wir hingegen haben den Rathskeller, den verschandelten Altstadtbau des einstigen Jelmolikaufhauses, die verkehrsdurchflutete Kirchgasse, eine Kantonsschule aus Beton, das Sälischlössli, das Mühlitäli, die Stadthalle und einen guten Ladenmix, der jeden Samstag auf den Strassen der Innenstadt für einen mittleren Verkehrskollaps sorgt», dachten die Oltner. Denn im Grunde ihres Herzens würden sie sich «selbst genügen», wie einer von ihnen vor wenigen Jahren bei einer Analyse der hiesigen Seele festhielt.

Gelassen bleiben

Solothurn wirkte also nicht beunruhigend, verpuffte. Hellhöriger wurde man, als Grenchen (2008) zum Handkuss kam. «Grenchen, bei Gott», fragte man etwas irritiert. Grenchen, so die verbreitete Ansicht, sei doch ein zur Stadt mutiertes Dorf, im 19. Jahrhundert die industrielle Treppe hochgestolpert und jetzt für immer und ewig, um es in der Boxersprache auszudrücken, angeknockt von der Uhrenkrise. Und so las sich die Begründung der Fachkommission damals: «Die solothurnische Stadt erhält die Auszeichnung für die vielfältigen Aufwertungen des öffentlichen Raums, für die sorgsame Weiterentwicklung der gebauten Stadt und für den respektvollen Umgang mit den zahlreichen Bauten der Nachkriegszeit.»

Die Mitglieder der Oltner Baukommission besuchten deshalb während der ihnen für die Amtsperiode 2005/2009 zustehenden Exkursion die Wakker-Stadt Grenchen. Für die Reise wurden ein paar tausend Franken veranschlagt.

Oltens Stadtpräsident Martin Wey sagt heute: «Wir sind durchaus auch innovativ, freuen uns an der verkehrsfreien Kirchgasse und womöglich dürfte auch die grosszügige Begegnungszone zu unseren Attraktionen zählen.» Und, das macht Wey mit aller Deutlichkeit klar: Die Bestrebungen der Stadt, das Quartier Olten SüdWest mit einem neuen Gestaltungsplan aus dem Negativdrive zu befreien, sei durchaus lobend hervorzuheben. Ebenso die Bemühungen um Entwicklungen in Olten Ost. Dass sich die Stadt bisher zweimal um den Prix Flaneur d’Or bewarb und durchrasselte, erwähnt der Stadtpräsident nur am Rande. Der Preis prämiert Infrastrukturen im öffentlichen Raum, die den Fussverkehr im speziellen Masse fördern und die Qualität, Attraktivität und Sicherheit des Gehens erhöhen.

Item: Dass Olten wohl noch nicht einmal auf der sogenannten Longlist des Heimatschutzes auftaucht, macht den Oltner Stadtvater etwas ratlos, ohne sich deswegen aber graue Haare wachsen zu lassen, wie er sinnbildlich sagt.

2010: Wakker-Preis im Visier

Im Rahmen des Quartierentwicklungsprojektes Chance Olten Ost (Projet urbain) dann wird der Begriff Wakker-Preis in der Stadt aktenkundig. Preise sollte es hageln, würden die Entwicklungsvorstellungen in Olten Ost je wahr werden. Dies jedenfalls meinten die 130 Teilnehmenden der seinerzeitigen Werkstatt. «Unter den Preisideen fand sich auch die des Wakker-Preises», wie Stadtschreiber Markus Dietler sagt.

 

Zwischenzeitlich wurden Aarau (2014) und jetzt Langenthal (2019) ausgezeichnet. Der Druck rückt geografisch näher. Nun: Olten Ost ist mittlerweile eigentlich stets im Sinne der Weiterentwicklung im Gerede: Das Projekt Sälipark 2020, zu dem man stehen kann, wie man will, das Haus Aarauerstrasse 55, welches mitten in der Etablierungsphase als Wohn- und Geschäftshaus steht, die Bildungsstadt, die sich dort verortet und die alte Aarauerstrasse, die sich längst baulich verkehrsberuhigt als Gasse mit dem französischen Flair der gemächlichen Betriebsamkeit gibt. Und das Quartierzentrum Cultibo hat sich seit seiner Gründung (2010) zu einem Hotspot des gesellschaftlichen Schmelztiegels entwickelt. Alles löblich. Selbst der Bahnhof Ost ist auf Vordermann gebracht. Und auch die Weihnachtsbeleuchtung, manchmal scheint diese das Wichtigste zu sein, ist ennet der Aare installiert worden, so quasi als Insigne der Gleichgewichtigkeit beider Stadtteile. Im Industriequartier präsentiert sich das Gerolag Center, wo nach eigener Darstellung «in den Gebäuden der ehemaligen Gerberei Olten die Philosophie Arbeiten, Erholen, Geniessen gelebt wird» und auf dem Gebiet Bahnhof Nord strebt die Stadt «die Verdichtung nach innen an», wie Wey sagt. Links der Aare (vielleicht auch rechts davon) bewegt etwa die quälende Frage, was dereinst mit den leerstehenden Hüllen von Natur- und Kunstmuseum geschehen soll und wie Olten SüdWest gescheit an die Stadt angebunden werden soll.

Punktuell wirken

Alles lobenswert, anerkannt. Aber wer nimmt dieses punktuelle Wirken denn überhaupt wahr? Die Frage an Adrian Schmid, Geschäftsführer Schweizer Heimatschutz, wie eigentlich eine Ortschaft zum Wakker-Preis findet, drängt sich auf. «Es kommt schon mal vor, dass sich jemand direkt an mich wendet», sagt er auf Anfrage. Er gebe dann den Hinweis an das sechsköpfige Fachgremium weiter, worin sich Architekten, Landschaftsarchitekten, Kunsthistoriker finden. «Die machen sich die Aufgabe nicht leicht», so Schmid, führten eine Longlist, später reduziert auf eine Shortlist und legten den Kandidaten fest.

«Es gibt stets einen Einervorschlag», sagt Schmid. Über den jeweiligen Preisträger entscheidet die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten des Schweizer Heimatschutzes. Die Mitglieder des Fachgremiums würden von Projekten, Absichten oder umgesetzten Arbeiten an Fachtagungen und in ihrem beruflichen Alltag und Umfeld erfahren, meint Schmid noch.

Fehlt ein Netzwerk?

Warum es für Olten nicht zum Handkuss reicht? Vielleicht ist man immer ein bisschen spät dran. Eine verkehrfreie Flanierzone ist keine wirkliche Primeur mehr, die Aufwertung von Quartieren gehört zum städteplanerischen Alltag, das Hüten wertvoller historischer Bausubstanz als Idee ist fast schon so alt wie die Menschheit selbst. Die «Verdichtung nach innen» ein populäres Schlagwort. Dennoch die Frage: Fehlt Olten ein Beziehungsnetz? «Grundsätzlich nicht», meint Stadtpräsident Martin Wey. Aber womöglich gebe es Defizite im Bearbeiten entsprechender Kanäle.

Ok, der Wakker-Preis – fürs Erste dahin. Dann vielleicht 2020. Aber Olten deshalb ein hässliches Entlein nennen? Viele Besucher urteilen über die Stadt mit dem Etikett «erfrischend unaufgeregt und ländlich, unkompliziert und hübsch». Wenn das kein Kompliment ist. Denn Fremde, das weiss man seit langem, haben immer recht.