
Ungeimpften droht im Herbst Quarantäne – Bundesrat prüft Massnahmen für Reiserückkehrer
Die Situation auf den Intensivstationen spitzt sich zu: Bereits in jedem vierten Bett liegt eine mit Corona infizierte Person. Intensivmediziner aus allen Regionen des Landes schlagen Alarm. Vielerorts müssen bereits Operationen verschoben werden, um genügend Kapazitäten für die Behandlung der Covid-Kranken zu haben. Dazu gehören auch Eingriffe am Herzen oder Tumorentfernungen.
Ein Grund für die angespannte Lage ist das Ende der Sommerferien. Gemäss einer Auswertung der Taskforce von letzter Woche waren 40 Prozent der hospitalisierten Covid-Patienten Reiserückkehrer. Deshalb prüft der Bundesrat die Wiedereinführung der Reisequarantäne. Im Hinblick auf die Herbstferien müsse man überlegen, was nötig sei, wie Gesundheitsminister Alain Berset gegenüber der «NZZ am Sonntag» sagte: «Da könnte auch die Reisequarantäne wieder eine Rolle spielen.»
«Bundesrat muss rasch kommunizieren»
Damit steht eine Massnahme vor dem Comeback, die im Lauf der Pandemie viel zu reden gab. Um der Ausbreitung des Coronavirus Herr zu werden, setzte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Länder oder einzelne Gebiete mit hohen Inzidenzwerten auf die Risikoliste. Wer aus einem dieser Risikogebiete in die Schweiz zurückkehrte, musste sich für zehn Tage (mit einem negativen PCR-Test auf sieben Tage verkürzbar) in Quarantäne begeben. So manche Ferienpläne wurden durch die Massnahme durchkreuzt.
Stand heute gilt jedoch für kein einziges Land mehr eine Quarantänepflicht bei der Einreise in die Schweiz. Zudem hat der Bundesrat diese Pflicht für doppelt geimpfte Personen im Juni generell aufgehoben. Sollte die Landesregierung ernst machen mit den von Berset angetönten Überlegungen, könnten die Herbstferien im Ausland für ungeimpfte Rückkehrer wieder in der Quarantäne enden.
Die Aargauer Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel ist Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission. Sie würde eine Wiedereinführung der Reisequarantäne für Risikogebiete begrüssen: «Der Bundesrat muss rasch kommunzieren, welche Anforderungen im Herbst für Reisende gelten werden.»
Sie wünscht sich eine generelle Testpflicht bei der Einreise in die Schweiz. Ungeimpfte Rückreisende aus Ländern mit hohen Übertragungsraten sollten zusätzlich für einige Tage in Quarantäne, bis sie ein aussagekräftiges zweites negatives Testergebnis vorweisen können. «Das würde sicherlich einige Unentschlossene oder Zögerliche dazu motivieren, sich impfen zu lassen», sagt Humbel.
Auch die Berner SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen glaubt, dass die Wiedereinführung der Reisequarantäne die Impfquote nochmals erhöhen kann. Noch wichtiger seien aber gezielte Informationen und niederschwellige Angebote für Bevölkerungsgruppen mit bisher tiefer Impfbereitschaft. Die Quarantäne habe zwar vielerlei problematische Aspekte. So könnten Kinder den Schulunterricht verpassen und der Wirtschaft die Fachkräfte ausfallen: «Aber angesichts der ernsten Situation müssen wir alle Massnahmen in Betracht ziehen.»
Grenzkontrollen «völlig unzureichend»
Die Zeit drängt: Der Zeitraum von der ersten Impfdosis bis zur vollständigen Immunisierung vierzehn Tage nach der zweiten Dosis beträgt rund sechs Wochen. In vielen Kantonen haben dann bereits die Herbstferien an den Schulen begonnen. Für Mitte-Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel ist deshalb klar: «Es braucht jetzt Tempo vom Bundesrat.»
Sukkurs dafür gibt es von wissenschaftlicher Seite: Der Genfer Epidemiologe Antoine Flahault, Mitglied der Taskforce, bezeichnete die aktuellen grenzsanitarischen Kontrollen der Schweiz gegenüber «Le Matin Dimanche» als «völlig unzureichend», um eine Einschleppung des Virus zu verhindern.
Flahault verwies darauf, dass die Taskforce bereits im Juli verpflichtende PCR-Tests und Quarantänepflicht für ungeimpfte Rückkehrer aus Gebieten mit hoher Inzidenz empfohlen hatte. Das sollte der Bundesrat jetzt nachholen: «Es ist nie zu spät, die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen», sagt Flahault.
Aeschi will systematische Kontrollen an der Grenze
Skeptisch gegenüber der Quarantäne zeigt sich SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Die Erfahrung habe gezeigt, dass die Massnahme nur ungenügend eingehalten werde und bei mit dem Auto oder Zug Einreisenden kaum durchgesetzt werden könne. «Ich bin grundsätzlich dagegen, Gesetze zu beschliessen, die nicht kontrolliert werden können», so Aeschi.
Viel wichtiger wären «systematische Grenzkontrollen, mit denen alle Rückkehrer erfasst werden und mit Tests sichergestellt wird, dass sie virusfrei sind.» Beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 habe es eine lückenlose Erfassung gegeben: «Doch leider hat der Bundesrat diese aus falscher Rücksichtnahme auf die EU aufgegeben». Natürlich seien systematische Grenzkontrollen «mit gewissen Unannehmlichkeiten» verbunden: «Aber eine effektive Grenzkontrolle während einer Pandemie ist der Preis dafür, dass wir im Inland unsere Freiheiten behalten können», sagt Aeschi.