
Unsere Erde ist nur ein Staubkörnchen
Chefredaktor Philippe Pfister über die sieben neu entdeckten Geschwister und ihre Nähe zu uns.
Ich weiss nicht, wie es Ihnen ergangen ist, aber eine Nachricht hat mich diese Woche besonders elektrisiert: Forscher entdeckten gleich sieben Planeten, die unserer Erde alle sehr ähneln. Sie sind etwa halb bis eineinhalbmal so gross wie die Erde, bestehen wohl aus Gestein und umkreisen den Stern Trappist-1, einen so genannten Roten Zwerg. Das Zwergsternsystem liegt knapp 40 Lichtjahre entfernt. Aus kosmologischer Sicht eher eine lächerliche Distanz, für uns Menschen immer noch unvorstellbar weit weg: Müsste man die Strecke mit dem Auto zurücklegen, bräuchte man bei zügigen 120 Sachen pro Stunde immer noch etwas über 350 000 Jahre. Auf den sieben Trabanten, die Trappist-1 umkreisen, herrschen wahrscheinlich gemässigte Temperaturen. Möglich, dass es dort Wasser gibt. Möglich, dass es dort Leben gibt. Möglich, dass es dort Wesen gibt, die in diesem Augenblick ihre Teleskope auf unser Sonnensystem richten und sich fragen, ob es da draussen irgendwo Leben gibt.
Die Frage nach ausserirdischem Leben treibt uns seit Jahrhunderten um, und nie scheint sie etwas von ihrer Faszination zu verlieren. Diese Tatsache sagt mehr über uns Menschen aus, als wir auf den ersten Blick vielleicht vermuten würden.
Im Zuge wissenschaftlicher Revolution vermass der Mensch erst jeden Winkel der Erde, um dann das Vermessen ins All zu verlegen. Doch je tiefer der Mensch in den Kosmos blickte, desto winziger wurde ihm die Erde. Wer heute Kosmologen zuhört, dem wird schwindlig: Unsere Erde ist nur ein Staubkörnchen in einem unvorstellbar grossen Ozean voller Galaxien, Sternenhaufen und schwarzen Löchern.
Dummerweise zog der Mensch aus dieser Erfahrung nicht unbedingt die richtige Konsequenz. Statt demütig zu staunen, blähte er sich auf. Anthropozentrik nennt sich dieses Phänomen: Angesichts der Abgründe kosmischer Verlorenheit stellte der Mensch sich selbst erst recht in den Mittelpunkt. Erst mit der Grenzenlosigkeit des Universums trat der grenzenlose Fortschritts- und Technologieglaube auf den Plan.
Das zu beklagen bringt natürlich nichts, und nichts liegt mir ferner als Kulturpessimismus. Trotzdem: Ist es nicht verräterisch, wie wir den Verheissungen neuer Technologie immer wieder von Neuem erliegen? Schlagende Beispiele sind etwa die Produktepräsentationen von Apple, die Hochämter des Internet-Zeitalters schlechthin. CEO Tim Cook präsentiert seine iPhones, iPads und Macs mit sakraler Ernsthaftigkeit, nur unterbrochen vom Applaus und Jubel seiner Jünger.
Oder da sind die selbst fahrenden Autos, die uns das Leben schon bald unendlich viel einfacher machen sollen: Befreit von Staustress und Gedränge sollen wir die Zeit am Steuer entspannt und in vollen Zügen geniessen können, so das kühne Versprechen. Und da sind die Haushaltroboter, die uns bald aufs Wort gehorchen werden, automatisch Milch nachbestellen, wenn der Vorrat im Kühlschrank zur Neige geht, und uns warnen, wenn wir bei aufziehendem Regen die Wohnung ohne Schirm verlassen.
Nachrichten wie jene über die sieben Geschwister der Erde kann man als weiteren Triumph des menschlichen Entdeckungswillens lesen. Die Präzision, mit welcher Wissenschafter Lichtjahre entfernte Himmelskörper beschreiben, ist eine unglaubliche Leistung. Und es geht weiter: Mit noch besseren Teleskopen wollen die Forscher Ozon in den Atmosphären der Exoplaneten suchen – Ozon wäre ein Indikator für Leben auf einem Planeten.
Aber man kann solche Nachrichten auch anders lesen. Jeder Versuch, da draussen irgendwo Leben aufzuspüren, macht unseren Planeten nur noch erstaunlicher – gläubige Menschen halten ihn für ein Werk Gottes, Wissenschafter sprechen von einmaligen Zufällen, die für die richtigen Bedingungen sorgten. Weitere Versuche, ausserirdische Lebensformen aufzuspüren, werden zweifellos folgen – mit noch aufwendigeren Methoden. Finden werden die Wissenschafter: wohl eher nichts.
So gesehen kann man die Nachrichten über die 40 Lichtjahre entfernten Geschwister der Erde als Aufforderung lesen, über das zu staunen, was am naheliegendsten ist: über die ersten Frühlingsboten beispielsweise, die gerade überall spriessen.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.