Unterwegs als Paketbote: «Ist heute schon Weihnachten?»

Gehören Sie auch zu denen, die sich freuen, wenn die Post ein Paket bringt? Haben Sie sich aber schon einmal überlegt, was es alles braucht, damit die Sendung zu Ihnen nach Hause, direkt vor die Haustüre kommt?

Montagmorgen, 6.30 Uhr, Paketzentrum Härkingen. Über die Förderbänder laufen nur noch vereinzelte Pakete, es sind neu eintreffende Express-Sendungen. In der Nacht ging hier buchstäblich die Post ab – es wurden 285 650 Sendungen verarbeitet. In grosse Gitterwagen verpackt, warten sie darauf, von den Paketboten sortiert und an den richtigen Ort gebracht zu werden. Einer dieser Verteiler ist Reto Pipino (46) aus Zofingen. Er führt mich in die anspruchsvolle Arbeit ein. «Heute wirds nicht so streng», sagt Pipino, «ich rechne mit etwa 270 Paketen.» Normalerweise sind es mehr, im Schnitt rund 295 pro Tag. Im letzten Jahr wurden über 122 Mio. Sendungen in Härkingen verarbeitet.

Ich reiche Reto Pipino Paket um Paket, er sortiert sie und stellt bereits die Tour grob zusammen. Einen Stadtplan braucht er nicht. Er kennt Zofingen, deren Geschäfte und Bewohner besser als seinen Hosensack. Immer wieder gibt er mir vereinzelte Sendungen zurück. «Dieses Geschäft hat heute geschlossen, das Paket liefern wie erst morgen aus», sagt Pipino. Ich bewundere seine Kenntnisse. Ein besonderes Auge wirft der vierfache Familienvater auf die drei Express-Sendungen, die unserer Tour zugeteilt wurden. Sie müssen bis 9 Uhr ausgeliefert sein und auch in die Altstadt dürfen wir nur bis 12 Uhr hineinfahren. Reto Pipino wirkt ruhig, obwohl der Renault-Bus aus meiner Sicht total vollgestopft ist. Das grösste Paket ist eine schwere Festbankgarnitur, das kleinste ein wattiertes, federleichtes Couvert.

«Erst einmal gebissen»
Die Tour 131 – Stadt Zofingen – wird von den immer drei gleichen Paketboten bedient. Pipino fährt sie nun seit bald zehn Jahren. Wir starten gut, die Kunden sind zu Hause, in den Firmen wird schon gearbeitet. Drei Minuten vor 9 Uhr sind alle Express-Sendungen ausgeliefert. Nun stellen wir die Route für die Altstadt zusammen. Plötzlich klingelt es. Die Zentrale erteilt uns noch zwei Abholaufträge. Mit dem voll beladenen Paketwägeli beliefern wir die Kunden. Pipino erklärt mir den Scanner, mit dem jede Sendung vor der Abgabe eingelesen wird, und schickt mich los. «Mein» vierter Kunde ist nicht zu Hause. Wir legen ihm einen Avisierungszettel in den Briefkasten mit dem Hinweis, er könne die Sendung auf der Post Zofingen abholen. Es ist nicht der letzte Avis-Zettel an diesem Tag. Pakete aus der Schweiz bleiben sieben Tage auf der Post, solche aus dem Ausland fünfzehn Tage, bevor sie zurück an den Absender geschickt werden. Die Zeit vergeht im Flug, der Wagen leert sich langsam. Während der Kaffee-Pause erzählt mir Pipino, dass er in den bald 30 Jahren bei der Post erst einmal von einem Hund gebissen wurde. «Wir sind gut unterwegs», resümiert er vor dem Mittagessen, das wir gemeinsam mit Beat, einem weiteren Paketboten auf der Zofinger Route, einnehmen.

Am Nachmittag beliefern wir hauptsächlich Privatkunden. Ich fühle mich wie der Weihnachtsmann, denn die Empfänger freuen sich, wenn ich ihnen die Pakete bringe. «Ja, ist denn heut scho Weihnachten?», imitiere ich einen alten Werbespruch aus dem Fernsehen. Pipino lacht! «Nein, wenn Weihnachten wäre, hätten wir doppelt so viele Pakete im Auto.» Sein Rekord liegt bei 660 Sendungen an einem Tag. Dann läuft er auch mehr als die knapp 20 000 Schritte, die sein Zähler am Abend anzeigt.

Um 15.50 Uhr fahren wir zur Poststelle Zofingen und liefern die letzten Sendungen, die wir nicht persönlich den Empfängern übergeben konnten ab. Es sind total deren zwölf. Wenige Minuten später klopft mir Reto Pipino auf die Schulter und bedankt sich, der Wagen ist leer, die Arbeit gemeinsam erledigt. Ein gutes Gefühl, finde ich. Noch nie zuvor habe ich an einem Tag so vielen Leuten mit meiner Arbeit Freude bereitet.

Kennt Zofingen in- und auswendig: Reto Pipino verteilt durchschnittlich 295 Pakete pro Tag.
Kennt Zofingen in- und auswendig: Reto Pipino verteilt durchschnittlich 295 Pakete pro Tag.
Überblick über das Paketzentrum Härkingen und die einzelnen Verladerampen.
Überblick über das Paketzentrum Härkingen und die einzelnen Verladerampen.
Jedes Paket, das beim Empfänger abgeliefert wird, muss gescannt werden.
Jedes Paket, das beim Empfänger abgeliefert wird, muss gescannt werden.
Der Rolli kommt zum Einsatz, wenn mehrere Pakete an denselben Ort geliefert werden.
Der Rolli kommt zum Einsatz, wenn mehrere Pakete an denselben Ort geliefert werden.
15.55 Uhr: Reto Pipino und Raphael Nadler haben ihre Montagstour abgeschlossen und die 275 Pakete abgeliefert.
15.55 Uhr: Reto Pipino und Raphael Nadler haben ihre Montagstour abgeschlossen und die 275 Pakete abgeliefert.

MEIN ERSTES MAL

In unserer Sommerserie wagen sich Redaktorinnen und Redaktoren an Dinge heran, die sie schon lange einmal ausprobieren wollten. Heute ist Raphael Nadler als Paketbote der Post unterwegs.