
Vandalismus im Aargau: Was treibt Jugendliche zur Zerstörungswut?



Hier im Feld ob Dintikon, an der Strasse nach Ammerswil, ist das Gras grün und die Sicht weit. Aus der Wiese ragen schwarze Tafeln mit weissen Nummern. 300 Meter weiter unten thront auf einem Hügel ein Symbol der Souveränität, oder, wenn man so will, eine Filiale des grössten Trainingscenters der Schweiz: der Schützenstand.
Urs Gloor ist konsterniert, lässt den Kopf hängen. Der Präsident der Feldschützen Dintikon öffnet die Tür zum Technikraum unter dem Scheibenstand. Es riecht nach Rauch. Die Wände sind russgeschwärzt. Installationen aus Kunststoff und drei der Zielscheiben hängen geschmolzen an der Wand.
Am Boden liegen Teile der Isolation, verkohlte Gartengeräte, ein grosser Stein, mit dem die Tür eingeworfen worden war. Gloor, Fäuste in den Hosensäcken vergraben, sagt: «Wut. Entsetzen. Unverständnis. Das nimmt dir einfach die Freude am Amt, wenn du immer wieder so etwas antreffen musst.» Vor zwei Wochen waren im Schützenstand unten eine Scheibe und die Aussenbeleuchtung eingeschlagen worden, letzten Herbst hatte jemand mit grüner Farbe das Haus besprayt. «Einfach kaputt», murmelt Gloor und hebt eine der versengten Zielscheiben an. «Das verstehe ich nicht mehr.»
Nicht alles gibt eine Meldung
In den letzten Tagen folgten die Meldungen Schlag auf Schlag: Scheiben des «Buurelädelis» in Spreitenbach eingeschlagen, SBB-Wartehäuschen und Bahnhofsuhr in Neuenhof mutwillig beschädigt, Treffpunkt der Waldspielgruppe «Müsli» in Aarau Rohr zerstört. Zum wiederholten Mal. «Das ist einfach nur noch deprimierend», sagt Spielgruppenleiterin Susanne de Caira.
Und auch gestern Dienstag wieder: Die Jagdgesellschaft Buchs-Suhret hatte neue Hochsitze zur Verteilung im Revier zwischengelagert, einer wurde umgeworfen und zusammengeschlagen. Überall dasselbe Bild: grosser Sachschaden und riesiger Ärger – null Sinn erkennbar. Und das sind nur die Ereignisse der vergangenen Tage. Eine Auswertung der Mitteilungen der Aargauer Kantonspolizei zeigt im letzten Kalenderjahr 26 Fälle, also im Schnitt zwei pro Monat.
In Fällen wie jenem der Waldspielgruppe in Aarau Rohr oder des Bahnhofs in Neuenhof erfolgt gar keine Polizeimeldung. Bernhard Graser, Sprecher der Kantonspolizei Aargau, sagt: «Wir könnten jeden Tag über irgendwelche Sprayereien berichten.» Eine Meldung an die Öffentlichkeit erfolge nur, wenn ein Zeugenaufruf sinnvoll erscheine, eine Tat besonders verwerflich sei oder eine Gefährdung für die Allgemeinheit bestanden habe, etwa bei einem Brand in einer Wohngegend.
Häufig eine Gruppendynamik
Eine Quantifizierung aller Fälle ist laut Graser nicht möglich. Der Grund: Vandalismus wird nicht separat erfasst, sondern fällt unter den häufigen Straftatbestand Sachbeschädigung. Entsprechend könne man keine Statistik führen. Polizeisprecher Graser geht nicht davon aus, dass die Fälle zugenommen haben.
Vandalismus komme immer wieder vor, sei somit aus Sicht der Polizei ein Dauerthema, kein neues Phänomen. «Eher stellen wir jeweils einen saisonalen Anstieg fest. In den wärmeren Monaten halten sich vermehrt Jugendliche draussen auf, um Alkohol zu konsumieren und zu kiffen.» Dies seien die häufigsten Treiber von Vandalenakten. Aus Einvernahmen wisse man, dass meistens eine gewisse Gruppendynamik entstehe: «Jemand macht es vor, andere machen es nach, und die, die es eigentlich nicht gut finden, haben nicht genug Mut, einzuschreiten.»
Täter werden selten gefasst
Vandalenakte trügen in der Regel die Handschrift Jugendlicher. Entsprechend geläutert zeigten sich die Täter, wenn sie ermittelt werden: «Ihnen ist von Anfang an bewusst, dass man nichts Gutes getan hat. Wenn sie dann nüchtern und ausgeschlafen vor der Polizei stehen, ist meistens die Reue spürbar.»
Allerdings ist dies selten der Fall. «Die Aufklärungsquote ist leider minimal», sagt Graser. Der Grossteil der Täterschaften könne nie ermittelt werden, da die Sachbeschädigungen meist erst viel später – beispielsweise nach einem Wochenende – bemerkt würden. Hilfreich sind Überwachungskameras in der Umgebung oder Zeugenaufrufe. Zudem müsse man sich bei Sachbeschädigungen immer die Frage stellen, wie viele Ressourcen man einsetzen solle.
Dennoch gibt es Fälle, die mit viel Ermittlungsaufwand aufgeklärt werden können; so konnte einem Jugendlichen aus der Region Aarau nachgewiesen werden, im Aarauer Telli-Quartier zahlreiche Autos zerstört und Gebäude beschädigt zu haben. Hier waren Spuren und Bilder einer Überwachungskamera entscheidend.
Junge zeigen Unverständnis
Können die Täter gefasst werden, zeigt sich eines: Es handelt sich im Normalfall um einheimische Jugendliche mit lokalem Bezug zum Tatort. Marcus Casutt, Geschäftsführer des Dachverbands Offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz, sagt, es dürfte um den Abbau von Aggressionen und die Beseitigung von Langeweile gehen. Nur die wenigsten Jugendlichen randalierten – deren Taten seien aber sehr gut sichtbar, weil im öffentlichen Raum verübt. Der Druck auf diesen nehme zu, was den Jugendlichen Platz wegnehme, um sich ungestört zu treffen und auszuprobieren.
«Deshalb wäre es wichtig, dass man sie etwa bei der Planung eines neuen Platzes einbezieht», sagt Casutt. Insofern könne man Vandalenakte als geäussertes Unverständnis sehen, «weil niemand an sie denkt». Die offene Jugendarbeit suche das Gespräch und biete Beschäftigung an. «Leider wurde die Jugendarbeit an vielen Orten aus Spargründen gekürzt oder ganz gestrichen», gibt Casutt zu bedenken.
Man müsse Vandalen verurteilen, aber nicht ausschliessen. Sonst bestehe die Gefahr, dass sie weiter versuchen, sich mit Zerstörung Gehör zu verschaffen.
