Verbunden trotz Distanz: Warum wir dieses Jahr Auffahrt feiern sollten

Auffahrt war für mich in den letzten Jahren kein richtiger Feiertag. Denn über Auffahrt war ich jeweils in der Leitung unseres Konfirmationslagers engagiert und mit einer Gruppe von Jugendlichen im Berner Oberland unterwegs. Und ich muss gestehen, dass ich ganz froh darüber war, mich in den letzten Jahren nicht mit Auffahrt beschäftigen zu müssen.

Während die Gottesdienste und Feiern anderer Feiertage wie Ostern und Weihnachten für meinen persönlichen Glauben wichtig sind, ist mir Auffahrt immer irgendwo durch fremd geblieben. So war ich ganz froh, mich der ganz praktischen Organisation eines Jugendlagers zu widmen, wo es meist eher um irdische Dinge ging. Vielen anderen geht es ähnlich: Auffahrt ist für viele ein fremder Feiertag. Die Bedeutung des Festes, das Christinnen und Christen in der ganzen Welt immer 40 Tage nach dem Ostersonntag feiern, ist nicht mehr allgemein bekannt.

Der Feiertag geht auf eine äusserst eindrückliche und bei genauerem Hinsehen tiefgründige Geschichte zurück. Auffahrt ist die schweizerische Bezeichnung für den Feiertag Christi Himmelfahrt. Der Name Himmelfahrt bezieht sich auf eine Geschichte, die in der Bibel in Apostelgeschichte 1,1-11 festgehalten wird: 40 Tage lang war der auferstandene Jesus mit den Jüngerinnen und Jüngern zusammen. Und auf einmal «wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, weg vor ihren Augen» (Apostelgeschichte 1,11).

Die Geschichte der Himmelfahrt hat etwas Spektakuläres und so wird die Auffahrt in der Kunst meist auch dargestellt: Der mächtige Herr Jesu, der den erstaunten Jüngern gegen Himmel entschwindet. Doch eigentlich geht es bei der Himmelfahrt um etwas viel Tieferes und Emotionales, das diese Bilder nicht zeigen. Mit der Himmelfahrt wird eine Veränderung markiert, besonders für die Jünger Jesu. Sie können es kaum fassen: Hat Jesus nicht erst gerade gesagt, dass er bis ans Ende der Welt mit ihnen bleibt?

Diese neue Zeit ist für sie herausfordernd und löst Ängste und Unsicherheiten aus. Angesichts dieser Unsicherheiten ist es nur verständlich, dass einige der Jünger den Blick gegen Himmel richten, wo sie Jesus vermuten. Sie hangen an Jesus wie an einem Fixpunkt. Sie haben Mühe mit der neuen Situation, den Veränderungen, dem neuen Auftrag, der für sie vorgesehen ist. Doch ihnen wird gesagt: «Und ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut gegen Himmel?»

Die Geschichte macht unmissverständlich klar: Da ist ein markanter Umbruch. Ihnen wird klar, dass Verbundenheit und Liebe in Jesus Christus auch möglich ist ohne sichtbare Nähe, durch ein unsichtbares Netzwerk. In der Krise wird die Einheit der Jüngerinnen und Jünger gestärkt, sie werden zu einer Gemeinschaft, die wie ein Herz und eine Seele waren (Apostelgeschichte 4,32). Sie brechen in alle Richtungen auf und gründen Gemeinden an verschiedenen Orten, verbunden miteinander trotz der Distanz, durch ein unsichtbares Netzwerk.

Ich habe den Eindruck, dass wir diese Verbundenheit in der Corona-Krise neu gespürt haben. Zwar war physische Distanz gefordert. Und das ist und bleibt nicht einfach: Viele vermissen die körperliche Nähe, sei es durch einen freundschaftlichen Händedruck oder eine Umarmung. Doch trotz dieser körperlichen Distanz hatte ich den Eindruck, dass sich einige Beziehungen auch intensiviert und vertieft haben. Der Begriff «Social Distancing» ist darum nicht zutreffend für die Art, wie wir in den letzten Wochen Beziehungen gepflegt haben: In Nachbarschaften wurden neue Kontakte geknüpft, der Wert von Freundschaften wurde vielen neu bewusst. Bei uns in der Kirchgemeinde haben wir stärker denn je gemerkt, dass Kirche nicht in erster Linie ein Gebäude ist, sondern dass Kirche Menschen sind, die sich untereinander verbunden fühlen und sich für andere engagieren.

Auffahrt hat für mich dieses Jahr durch die Corona-Krise eine neue Bedeutung. Die Geschichte der Himmelfahrt zeigt, dass in der Krise auch die Chance eines neuen Aufbruchs liegt. Der christliche Glauben erzählt davon, dass es von Anfang an immer wieder Veränderungen, Umbrüche und Krisen gab. Veränderungen können Unsicherheit und Ängste auslösen. Doch sie können – wie in der Geschichte der Himmelfahrt – auch der Anfang eines neuen Aufbruchs mit neuen Zielsetzungen sein. Erst in der Krise merkte ich: Auffahrt ist ein richtiger Feiertag.

An Auffahrt feiern wir, dass Gott uns in allen Veränderungen immer wieder festen Boden und neue Perspektiven schenkt. An Auffahrt feiern wir, dass die Güte Gottes keine Grenzen kennt, Himmel und Erde berühren sich, ein wunderbares Bild. Das ist für mich allemal Grund, dies für einen Tag zu feiern. Oder wie meine Jugendlichen im Konfirmationslager vielleicht sagen würden: «Das feier ich!»

Lukas Stuck, Pfarrer Reformierte Kirche Zofingen