
Vergewaltigung oder perfider Raub? Barbetreiber aus der Region Zofingen wirft seinen Angreifern einen Komplott vor
Das Obergericht Aargau befasste sich am Mittwochvormittag mit einem Fall wie aus einem Fernsehkrimi. Im Oktober 2015 wurde ein damals 59-Jähriger mit Kopfverletzungen ins Spital eingeliefert. Zuvor wurde er in seiner Kaffeebar in der Region Zofingen aufgefunden. Drei Monate später – davon neun Tage im Koma – konnte er das Spital verlassen. Der Mann türkischer Herkunft gab der Polizei zu Protokoll, dass er in seinem Lokal betäubt, zusammengeschlagen und ausgeraubt worden sei. Fünfeinhalb Jahre später leidet er noch immer an den Folgen des Überfalls.
Nach rund einem Jahr ermittelte die Polizei tatsächlich zwei Männer, die den Türken 2015 zusammengeschlagen haben sollen. Diese gaben das sogar zu. Allerdings nicht, um ihn auszurauben, sondern um eine Freundin aus dem Lokal zu befreien, die dort vom damals 59-Jährigen festgehalten und vergewaltigt worden sei. Das Zusammenschlagen sei ein impulsiver Racheakt gewesen.
Das Opfer der Vergewaltigung begab sich gleichentags noch ins Kantonsspital Frauenfeld, wo sich auf der Unterwäsche und einem Abstrich der Vagina tatsächlich die DNA beziehungsweise das Y-DNA-Profil des Türken feststellen liess. Zudem wurden leichte Verletzungen festgestellt, die von der Vergewaltigung herrühren könnten. Sämtliche Beweise gegen den damals 59-Jährigen liessen das Bezirksgericht Zofingen im Februar 2020 eine Strafe von vier Jahren Gefängnis für Vergewaltigung und Nötigung sprechen.
Opfer war per Video aus Bosnien zugeschaltet
Dagegen wehrte sich der Beschuldigte am Mittwoch nun in Aarau. Er habe niemanden vergewaltigt. Vielmehr sei er von einer organisierten Bande ausgeraubt worden. Laut ihm wurden aus seinem Portemonnaie, der Kasse und den Räumlichkeiten seines Lokals mehrere hundert Franken entwendet. Die Vergewaltigung sei ihm bloss angehängt worden. Die DNA-Spuren erklärt er so, dass es ja ein Leichtes gewesen sei, diese irgendwo anzubringen, als er – nachweislich – bewusstlos war.
Zur Verhandlung wurde das Opfer der Vergewaltigung per Video-Call aus ihrer Heimat Bosnien zugeschaltet. Während der Befragung des Opfers, die über einen Dolmetscher stattfand und bei der die gesamte Handlung rekapituliert wurde, gab es aber gewichtige Diskrepanzen zu vorherigen Aussagen. So gab die Bosnierin früher zu Protokoll, dass sie der Türke unter Morddrohungen dazu genötigt habe, ja nichts von seiner Tat zu erzählen.
Am Mittwoch erzählte sie aber auf mehrmaliges Nachfragen der Richterinnen, dass er ihr nie gedroht habe. Vielmehr habe er den Eindruck vermittelt, als ob seine Tat das Normalste der Welt sei und es gar nichts zu verbergen gäbe. Das Opfer schilderte aber auch, dass sie sich wegen der Vergewaltigung und ihres kulturellen Hintergrunds als Muslima in einer kaum aushaltbaren Situation befinde. Mit niemandem könne sie über das Thema sprechen, da es sonst Schande über die Familie bringen würde. Noch heute habe sie Albträume und wandle zwischen Trauer und Wut.
Zu viele Zufälle und Ungereimtheiten
Der Fall weist einige Ungereimtheiten auf. Wie Verteidiger Thomas Fingerhuth in seinem Plädoyer festhielt, gibt es unvollständige Akten, rechtswidrig erhobene Beweise und «spezielle Zufälle». Ein solcher Zufall sei etwa, dass sich die Bosnierin im Kantonsspital Frauenfeld am gleichen Tag, an dem die Vergewaltigung gemäss ihr geschehen sein soll, untersuchen liess und dort Kleidungsstücke mitbrachte, auf denen die DNA beziehungsweise das Y-DNA-Profil des Türken sichergestellt werden konnte. Allerdings habe sie nur Kleidungsstücke – Slip und BH – mitgenommen, auf denen sicher Spuren festgestellt werden konnten – als ob sie gewusst hätte, wo das der Fall sei.
Zudem führte die Verteidigung ins Feld, dass während der Beweismittelsammlung keine Videos von Sicherheitskameras sichergestellt wurden, die etwa die Ankunft des Beschuldigten in seinem Lokal hätten belegen können.
Staatsanwalt Burger fordert acht Jahre Freiheitsstrafe
Staatsanwaltschaft Simon Burger nennt die Version des Beschuldigten «abenteuerlich». Dass zwei Männer den damals 59-Jährigen überfielen und als Absicherung die DNA ihres Opfers auf einer Kollegin anbrachten, sie gar leicht verletzten und anschliessend ins Kantonsspital Frauenfeld schickten, um die DNA-Spuren zu untersuchen, halte er – gelinde gesagt – für Quatsch. Er fordert deshalb eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren für Vergewaltigung und Nötigung.
Das Gericht kam am Mittwoch noch zu keiner Entscheidung, da neue Umstände, wie die von der Verteidigung vorgebrachte Frage zur Verwertbarkeit von Beweisstücken, geprüft werden müssen. Die Urteilsverkündung erfolgt deshalb zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich.