Vergiftete Gewässer und stinkende Deponien: Als die Schweiz noch ihren Müll in Flüsse kippte

Der Abfall verschwindet rasch aus unserem Leben. Im Kehrichtsack vor der Haustüre oder in Tonnen der Recycling-Stellen. Sind die Strassen aufgeräumt und die Natur plastikfrei, verschwenden wir kaum Gedanken an den Müll. Wer weiss schon von sich, wie viel er produziert? In der Schweiz sind es gemäss Bundesamt für Umwelt jährlich 700 Kilogramm pro Person. Das ergibt mehr als sechs Millionen Tonnen Siedlungsabfälle pro Jahr. Etwa die Hälfte davon landet in den Kehrichtverbrennungsanlagen – eine Erfindung der Moderne. Bereits im 15. und 16. Jahrhundert hatten die Städte begonnen, ihre Kehrichtabfuhr zu organisieren. Einige richteten Sammelstellen in den Quartieren ein, wohin die Anwohner ihren Abfall und ihr Wischgut bringen mussten. Die Hausbesitzer waren nicht nur für die Ordnung im eigenen Heim zuständig, sie mussten auch den Strassenabschnitt vor der Haustür bis zur Gassenmitte kehren. Städtische Fuhrleute entsorgten schliesslich den gesammelten Kehricht ausserhalb der Stadtmauern. Anders in Winterthur: Dort ordneten die Behörden an, den Abfall am Samstagmorgen in den Stadtbach zu schmeissen. Nachmittags öffneten sich die Schleusen am Stadtweiher und es spülte den Müll fort.

Häftlinge sortieren den Abfall

Ende des 19. Jahrhunderts wurde es vor allem für grössere Städte immer schwieriger, Orte zu finden, um ihren stinkenden Müll abzuladen. Die Stadt Bern karrte den Abfall per Eisenbahn nach Gampelen ins Seeland. Dort mussten ihn Häftlinge aus einem nahe gelegenen Gefängnis sortieren. Ein Modell, das sich aus finanziellen Gründen in verschiedenen europäischen Grossstädten durchgesetzt hatte. Denn die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung war gering, um sich des Kehrichts zu entledigen. Zu der zunehmend schwierigen Suche nach Müllhalden gesellten sich weitere Probleme: Mit dem Wohlstand wuchsen die Abfallberge und die schlecht oder nicht abbaubaren Komponenten im Müll nahmen zu. Und dies nicht erst seitdem der Plastik unseren Alltag erobert hat. Bereits früher belasteten etwa Metalle oder die Schlacken von Steinkohleheizungen die Umwelt.

Recycling-Quote übertroffen

Erst Mitte des 20. Jahrhunderts erfolgte der Kurswechsel: Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) wurden gebaut, Gesetze zum Schutz der Umwelt erlassen und die Wiederverwertung vorangetrieben. Die erste KVA der Schweiz baute Zürich 1904. Zehn Jahre später folgte Davos; die dortigen Behörden fürchteten die Tuberkulosebazillen ihrer Kurgäste. Doch die beiden KVA blieben Ausnahmen. Jahrelang. Die restliche Schweiz schüttete bis nach den beiden Weltkriegen ihren Müll weiter in Gruben, in Abfallhalden, in Gewässer und an deren Ufer.

Das ist heute ebenso undenkbar, wie eine leere Pelati-Dose in den Müll zu werfen. Gemäss Swiss Recycling rezyklieren wir rund 54 Prozent der Siedlungsabfälle. Am häufigsten bringen Schweizerinnen und Schweizer Glas (96 Prozent) und Aluminium (90 Prozent) zurück. Nähme das Pflichtbewusstsein ab, drohten Pfandgebühren. Der Bund schreibt bezüglich Glas, PET und Alu eine Recyclings-Quote von 75 Prozent vor. Seitdem sie im Jahr 2000 in Kraft trat, wurde sie stets übertroffen.