
Vier Tote Rehe innerhalb von fünf Tagen – Jagdaufseher und Polizei vermuten wildernde Hunde
Am Sonntagmorgen, 3. Mai, geht die erste Meldung ein. Ein Wanderer hat einen toten Rehbock im Wald beim Engelberg ob Dulliken aufgefunden. Gemäss Viktor Müller, der seit 28 Jahren Jagdaufseher des Reviers ist, hat ein sachkundiger Bauer, der selbst Jäger und Metzger ist, den Kadaver danach untersucht. Das Tier hatte einen leeren Magen, aber Blut in der Lunge, was auf Erstickung hindeutet. Am Hals entdeckt er eine hellere Stelle, «als hätte man das Tier sehr grob gestreichelt.»
Am folgenden Dienstag meldet ein Wanderer ein totes Reh am Strassenrand. Diesmal rückt Müller selber aus und entdeckt dieselbe Marke am Hals des Tieres. Ein Tag danach ruft eine Lehrerin den Jagdaufseher an, sie habe ein verletztes Kitz entdeckt. Das Tier verstarb, weist ebenfalls eine Marke auf. Am Donnerstag entdeckt ein weiterer Wanderer noch ein totes Reh. Gleiche Marke.
Für Müller ist klar: Das Tier wurde zu Tode gehetzt. Und nicht etwa von einem Tier, das es auch fressen wollte. «Es war eindeutig ein Hund.» Denn bei Luchsen, die in diesem Jagdrevier ein- bis zweimal im Jahr Rehkadaver hinterlassen, sind deutliche Bissspuren aufzufinden.
Sowas hat Müller in diesen Wäldern noch nie erlebt: In fünf Tagen vier gerissene Rehe entdecken. Er hat am gleichen Donnerstag die Polizei benachrichtigt und ihnen Bilder geschickt.
Polizei ermittelt den Fall
Diese bestätigt auf Anfrage, dass sie den Fall ermittelt. «Weil die Rehe zum Zeitpunkt der Meldung bereits entsorgt worden sind, war eine Untersuchung der Tiere durch die Polizei nicht möglich. Die Polizei ist aber im Besitz von entsprechenden Fotos und anhand dieser Bilder muss tatsächlich ein Hund als Verursacher in Betracht gezogen werden», schreibt die Kantonspolizei Solothurn.
Hunde haben eigentlich eine Leinenpflicht
Dass Hunde wildern, kommt immer wieder vor. Sie entkommen beim Spaziergang der Aufsicht ihrer Halter, werden von ihnen nicht an der Leine gehalten oder flüchten von zu Hause. Ihr Jagdinstinkt ist trotz der Domestizierung noch ausgeprägt.
Seit 2018 herrscht deshalb im Kanton von April bis Juli Leinenpflicht im Wald. Trotzdem wurden im vergangenen Jahr 15 Rehe durch wildernde Hunde umgebracht. «Ich finde immer wieder nicht einsichtige Hundehalter, die ihre Hunde im Wald nicht an die Leine halten. Es ist richtig schlimm», sagt Jagdaufseher Müller.
Auf der Karte hat Jagdaufseher Viktor Müller die Fundstellen der toten Rehe rot markiert.
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Jedes Jahr sterben Hunderte Rehe wegen Hunden
In der Schweiz kommen jährlich zwischen 400 und 600 durch wildernde Hunde um. Das kantonale Amt für Wald, Jagd und Fischerei zählt seit Anfang dieses Jahres bereits vier andere Rehe, die Hunden erlegen sind – die vier vom Engelberg sind dem Amt noch nicht gemeldet worden. «Die Hälfte der Hunde werden vor Ort erwischt», erklärt das Amt. Gemäss der kantonalen Jagdverordnung könnten solche Hunde unter gewissen Umständen sogar ohne Entschädigung erschossen werden – wenn die Verwarnung gegen den Halter erfolglos geblieben war, wenn sie für das Wild eine unmittelbare Gefahr darstellen oder ihre Halter unbekannt sind. Viele Fälle werden jedoch oft von Hundehaltern selber gemeldet.
Wenn aber, wie im Fall von Engelberg, die Hunde nicht sofort ausfindig gemacht werden, ist es praktisch unmöglich, die Tat auf den Hund und dessen Halter zurückzuführen, sagt das Amt für Wald, Jagd und Fischerei weiter.
Strafanzeige gegen unbekannt eingereicht
Die Polizei hat dennoch eine Strafanzeige gegen unbekannt eröffnet wegen Widerhandlungen gegen das Jagdgesetz, das Hundegesetz und wegen Tierquälerei. Gemäss Bundesgesetz droht einem Halter bis zu 20’000 Franken Busse, ausserdem kann der Halter des Hundes dem betroffenen Jagdrevier eine Entschädigung schuldig sein.
Müller sieht im Wald weitere von Menschen verursachte Gefahren für Wildtiere. «In letzter Zeit nutzen zu viele Menschen den Wald für ihre Freizeit.» Er versteht das Bedürfnis der Leute zwar, in die Natur hinauszugehen, doch momentan seien coronabedingt sehr viele Menschen auf Waldwegen unterwegs. Vor allem kritisiert er aber Velofahrer, die die Pfade von Wildtieren als ihre Bike-Strecke brauchen. Dadurch käme das Wild kaum zur Ruhe.