Vom Fall Burger zum Fall Kantonspolizei

Auf den ersten Blick sieht Simon Burger aus wie der klare Verlierer in der Geschichte. «Der Regierungsrat beschliesst Disziplinarverfahren gegen Leitenden Staatsanwalt» heisst es im Titel der Medienmitteilung, welche die Staatskanzlei gestern verschickt hat.

Worum geht es dabei überhaupt? Blenden wir zurück: Im Frühling stellte sich eine Gruppe von Mitarbeitenden in der Staatsanwaltschaft Zofingen-­Kulm gegen ihren Chef Simon Burger und reichte bei der Oberstaatsanwaltschaft eine Beschwerde ein, welche letztlich beim Regierungsrat landete. Die Vorwürfe waren happig, aber – zumindest gegen aussen – nicht ganz klar: Der leitende Staatsanwalt Simon Burger falle durch schlechte Amtsführung auf. Er verbreite intern eine Angst-Kultur, sickerte durch. Er mische sich einseitig in Verfahren von Kollegen ein und mache Druck, höhere Strafmasse zu beantragen.

Der Regierungsrat liess die Vorwürfe extern untersuchen. Einerseits durch den ehemaligen Zürcher Staatsanwalt Ulrich Weder, anderseits durch das auf Organisationsberatung spezialisierte Institut «iafob». Diese Untersuchungen habe der Regierungsrat nun zur Kenntnis genommen, meldet der Kanton.

Burger gegen Polizei: der Hintergrund

Wer nun aber daraus schliesst, dass Burger ein Disziplinarverfahren wegen der Mitarbeiterbeschwerde am Hals hat, liegt falsch. Vielmehr betrifft das Disziplinarverfahren den «persönlichen Umgang des Leitenden Staatsanwaltes mit der Partnerorganisation Kantonspolizei», wie es in der Mitteilung der Regierung heisst.

Der Hintergrund: Burger hat sich in der Vergangenheit einen Namen als Kritiker der Kantonspolizei gemacht. Der Staatsanwalt (er politisiert für die SVP auch im Einwohnerrat Aarau) soll dabei auch herablassende Ausdrücke über die Polizei und ihre Arbeit gebraucht haben, die nun zu diesem Disziplinarverfahren geführt haben, welche man als Abmahnung lesen kann; weitere Konsequenzen hat es für Burger nicht.

Der Staatsanwalt bleibt im Homeoffice

Auf die ursprünglichen Vorwürfe von Burgers Mitarbeiterinnen (es sind vor allem Frauen) geht der Regierungsrat in der Medienmitteilung nicht ein. Sprich: Disziplinarisch oder gar juristisch ist betreffend Amtsführung nichts hängen geblieben, das Burgers Stuhl hätte ins Wanken bringen können.

Zwischen den Zeilen der Regierungsmitteilung ist aber zu lesen, dass der Haussegen bei der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm weiterhin schief hängt. Jedenfalls hat der Regierungsrat die Firma für Organisationsberatung beauftragt, bei der Staatsanwaltschaft eine «begleitende Organisations- und Führungsentwicklung umzusetzen». Diese Massnahme soll beitragen, die Situation in der Staatsanwaltschaft Zofingen-­Kulm «nachhaltig zu verbessern». Und: Der Regierungsrat werde «bei Bedarf weitere flankierende Massnahmen veranlassen».

Dass sich Burger und einige seiner Mitarbeiterinnen vorläufig besser aus dem Weg gehen, zeigt die Antwort von Regierungssprecher Peter Buri auf die Frage, wie die Zusammenarbeit denn jetzt konkret weitergehe. Buri: «Der Leitende Staatsanwalt wird bis zum Beginn der Umsetzung dieses Unterstützungsprozesses seine Aufgaben bei der Staatsanwaltschaft Zofingen-­Kulm aus dem Homeoffice wahrnehmen.» In Zeiten von Corona dürfte das nicht weiter auffallen. Anfang Jahr soll die Beraterfirma mit dem Coaching der Staatsanwaltschaft beginnen.

Als Protagonist der Vorgänge kommentiert Staatsanwalt Burger die neusten Massnahmen wie folgt: «Ich bin froh, dass die Administrativuntersuchung abgeschlossen ist und sich die teils ausserordentlich schweren Vorwürfe weitgehend nicht erhärtet haben.» Zudem begrüsse er es, dass der Regierungsrat «meinen Antrag auf Führungsunterstützung gutgeheissen hat».

Vor allem ist Burger «froh, dass der Regierungsrat erkannt hat, dass gravierende Missstände in der Aargauer Strafverfolgung bestehen und diese jetzt endlich angegangen werden».

Polizei hält Gesetz bei Festnahmen nicht immer ein

Damit lenkt der Leitende Staatsanwalt auf den zweiten Teil der Beschlüsse, die der Regierungsrat am Dienstag kommuniziert hat und mit den Unstimmigkeiten bei der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm wenig zu tun haben, aber viel mit Missständen, die es bei der Kantonspolizei gemäss Regierung offenbar gibt.

Konkret hat sich der Regierungsrat mit «Anhaltungen und vorläufigen Festnahmen von verdächtigen Personen» durch die Polizei befasst. Ein Rechtsgutachten von Professor Andreas Donatsch kommt zu einem brisanten Schluss. Der Regierungsrat schreibt: «Aufgrund dieser Erkenntnisse wurde in verschiedenen Bereichen Handlungsbedarf festgestellt. Namentlich muss sichergestellt werden, dass die Kantonspolizei im Umgang mit verdächtigen Personen die Bestimmungen der Strafprozessordnung umfassend einhält.» Im Klartext: Die Kantonspolizei hat in der Vergangenheit offenbar immer wieder widerrechtliche Festnahmen vorgenommen.

Deshalb werden von der Kantonspolizei die Handlungsrichtlinien für den Umgang mit verdächtigen Personen bis Ende Jahr überarbeitet, damit den Bestimmungen der Strafprozessordnung «vollumfänglich Nachachtung verschafft wird», so der Regierungsrat. Weitere Massnahmen betreffen die Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft und der Kantonspolizei in der Abwicklung vorläufiger Festnahmen.

Im Verlaufe des Frühlings 2021 soll der Schlussbericht von Donatsch vorliegen. Der Regierungsrat will sich dann mit dem «daraus resultierenden weitergehenden Handlungsbedarf befassen».

SVP-Fraktionschefin Stutz fragt nach Konsequenzen bei Polizei

Interpellation SVP-Fraktionschefin Desirée Stutz stellt dem Regierungsrat in einem Vorstoss kritische Fragen zu den Vorwürfen, die Kantonspolizei nehme widerrechtliche Festnahmen vor. «Ich möchte insbesondere wissen, wie die Regierung und das zuständige Departement mit den festgestellten Missständen umgeht, wie das aufgearbeitet wird und welche Konsequenzen die Vorfälle bei der Kantonspolizei nach sich ziehen», sagt Stutz. Es zeige sich nun auch, dass es sich nicht um ein persönliches Problem zwischen Simon Burger und der Kantonspolizei handle, sondern zwischen der Staatsanwaltschaft und der Kapo generell. Stutz will wissen, welche Rolle die Staatsanwaltschaft bei den widerrechtlichen Verhaftungen seitens der Polizei gespielt habe. (roc)