
Vor Ort mitfiebern oder lieber ohne Maske vor dem TV? Mit AUDIO
Michael Wyss: Seit mehr als 30 Jahren nimmt der Sport eine wichtige Rolle in meinem Leben ein. Als Jugendlicher stand ich bis zu sieben Mal pro Woche als Handballer in der Halle und seit 25 Jahren beschäftige ich mich auch beruflich mit der wettkampfmässigen körperlichen Betätigung. Selbstredend habe ich eine solche Situation, wie sie seit einem halben Jahr auf der ganzen Welt herrscht, noch nie erlebt. Deshalb konnte ich nicht abschätzen, was es für die Vereine, Sportlerinnen, Sportler und für mich bedeutet. Ich habe mich nach Spielen, Rennen und Wettkämpfen gesehnt – und darf sie jetzt wieder vereinzelt besuchen. Glücklicherweise ist die Corona-Situation im Regionalsport deutlich weniger kompliziert als im Profibereich – schlicht und einfach, weil es normalerweise weniger Zuschauer hat. Einen nationalen Event mit mehreren tausend Fans zu besuchen, reizt mich hingegen auch ab Oktober nicht. Es gibt zu viele – absolut verständliche – Verbote und Einschränkungen, als dass ich mich unbeschwert über ein interessantes sportliches Duell freuen könnte.
Melanie Gamma: Unbeschwert – das ist ein Gefühl, das uns allen in den letzten Monaten abhanden gekommen ist. Ich habe vergangene Woche alles getestet. Das erste Volleyballtraining seit März war streng und gut, aber auch seltsam, weil wir auf Automatismen wie Abklatschen und Übungen mit Körperkontakt verzichteten und zwischendurch die Hände desinfizierten. Beruflich war ich an Sportveranstaltungen, an denen Maskenpflicht herrschte und an solchen, bei denen bis aufs Eintragen beim Eingang nichts aussergewöhnlich war. Was ich überall gespürt habe: es tut den Menschen gut, wieder gemeinsam etwas machen, über Punkte und Tore zu jubeln, mitzufiebern mit Athletinnen und Teams. Deshalb freue ich mich mit den Fans, dass sie ab Oktober wieder in die Stadien und Hallen dürfen. Wenn man sinnvolle Richtlinien aufstellt, die Stadien nur zur Hälfte füllt und Masken tragen lässt, können wir das Virus in Schach halten.
mwy: Man könnte meinen, dass man sich langsam an das Verzichten von Körperkontakt und das Tragen von Masken gewöhnt haben sollte, aber ich tue mich immer noch schwer damit. Ich halte mich an die Regeln, habe aber noch nicht herausgefunden, wie ich verhindern kann, dass meine Brille je länger je mehr beschlägt. Eine Maske macht mir ebenso wenig Spass wie die Emotionen in einem Stadion nicht richtig ausleben zu können. Ich weiss, dass es viele Sportverbände und -vereine gibt, die ums Überleben kämpfen, aber momentan konsumiere ich publikumswirksamen Passivsport lieber vor dem Fernseher.
gam: Ich werde mir sicher das eine oder andere Eishockeyspiel im Stadion ansehen. Ich will dort die Stimmung spüren und ich bin neugierig, wie die Vereine die Schutzkonzepte umsetzen und wie sie mit den Saisonkartenbesitzern umgehen. Da sind ja noch viele Fragen offen. Und seien wir ehrlich: Von denen, die bei Sportevents neben dem Platz für Stimmung sorgen und den Aufwand von Eintrittskontrolle, Maske und Abstand halten auf sich nehmen, profitieren auch alle vor dem TV. Je besser die Atmosphäre auf den Rängen ist, desto motivierter sind die Athleten auf dem Feld oder Eis und desto besser ist das Spiel. Und eben: keine Zuschauer, kein Umsatz, keine Clubs mehr, kein Sport. Es lohnt sich also, sich zu überwinden und ins Stadion zu gehen.
mwy: Eine Partie mit Zuschauern ist zugegebenermassen deutlich energiegeladener. Aber ich kann nicht leugnen, dass bei mir auch ein wenig Angst mitspielt. Sicherheitskonzepte und Kontrollen in Ehren, aber wer garantiert mir, dass während der Begegnung nicht ein kleiner oder grosser Teil der Fans sich seiner Masken entledigt oder sie aufs Kinn runterzieht? Ich unterstelle niemandem bösen Willen, aber möchte zuerst wissen, dass die Konzepte greifen.
gam: Es werden nie alle die Schutzmassnahmen mittragen, das ist mir auch klar. Aber ich gehe lieber in einem halb leeren Stadion auf Abstand, als mit Angst vor dem Virus in den Keller. Vielleicht verschwindet Corona nie mehr ganz aus unserem Alltag. Deshalb üben wir am besten schnellstmöglich, wie wir damit umgehen – im Stadion, im Training und in der Schule.