
Vortritt für Autofahrer am Zebrastreifen?
Pro: «Auch Fussgänger sorgen für Kleinkrieg am Zerbrastreifen», schreibt Philippe Pfister
Zugegeben, der Vorschlag von SVP-Nationalrat Thomas Burgherr geht sehr weit. Wohl zu weit. Aber bevor man ihn niederschreit, darf man ruhig mal den täglichen Kleinkrieg am Fussgängerstreifen zur Kenntnis nehmen – ein Kleinkrieg, der auch von egoistischen Fussgängern inszeniert wird. Klar: Fussgänger sind die Schwächsten. Wo immer sie auftauchen, müssen Autofahrer weg vom Gas. Und ja, Fussängerstreifen müssen besonders geschützte Zonen bleiben, auf denen auch der kleinste Unfall einer zuviel ist. Tatsache ist aber auch: Viele, zu viele Fussgänger tun so, als ob Zebrastreifen ihnen ganz persönlich gehörten. In den Zeiten der allgegenwärtigen Smartphones hat sich die Situation verschärft: Mit Stöpseln im Ohr, übergezogener Kapuze und starrem Blick nach vorne springen sie im letzten Moment auf die Strasse – um sich darüber zu freuen, den Vortritt erzwungen zu haben. «Ich gehöre auch zu denen, die Autofahrer nicht gernhaben. Die oft ohne Blickkontakt den Fussgängerstreifen überquert», sagte Irène Kälin, Fraktionspräsidentin der Grünen, im Fernsehen. «Weil ich der Meinung bin, dass das mein Gebiet ist.» Nein, Frau Kälin, das ist es nicht. Es ist Ihre und mein Gebiet, es gehört uns allen. Als Fussgänger ist man nicht automatisch ein besserer Mensch, und Blickkontakte mit Autofahrern zu vermeiden ist pubertärer Schwachsinn. Vorsicht und Vernunft müssen beide walten lassen: Der Autofahrer vor dem und der Fussgänger auf dem Zebra
Contra: «Vortritt für den gesunden Menschenverstand», meint Oliver Schweizer
Thomas Burgherrs Forderung, den Autofahrern auf Fussgängerstreifen den Vortritt zu erteilen, ist ein schlechter Scherz und dient einem einzigen Zweck: Aufmerksamkeit erregen. De facto würde Burgherrs Vorschlag einer Abschaffung der Zebrastreifen gleichkommen. Etwas konkreter verlangt Burgherr, Fussgänger müssten auf ein Handzeichen des Autofahrers warten, bevor sie den Fussgängerstreifen überqueren. Dass Autofahrer und Fussgänger vor einem Zebrastreifen im Idealfall Blickkontakt haben sollten, ist alles andere als eine Burgherrsche Idee, das lernt man als Fahrschüler bereits im VKU. Was man im VKU allerdings auch lernt: der Idealfall ist – wie der Name schon sagt – ein Fall, den man in der Realität eher selten antrifft. Ja, es gibt Menschen, die Kopfhörer tragen und auf ihr Handy starren statt auf den Verkehr zu achten. Es gibt hör- und sehbehinderte Menschen. Oder solche, die den Bus nicht verpassen wollen und deshalb unachtsam über den Zebrastreifen rennen. Es gibt Kinder, die ohne Vorwarnung mit Kickboards auf Zebrastreifen flitzen. Was Herr Burgherr wohl im Eifer des Gefechtes vergessen hat: Genauso viele unachtsame Menschen sitzen in Airbag-gepolsterten Autos. Um schlimme Unfälle auf Zebrastreifen zu verhindern, braucht es gar keine neuen Regeln, es reicht, wenn sich alle Verkehrsteilnehmer wieder öfter daran erinnern, dass Achtsamkeit Leben retten kann. Leben von Fussgängern, nicht von Autofahrern notabene.