Warum die Züge heute durch den Bözberg fahren und nicht durch die Staffelegg

Schon in den 1830er-Jahren war die Eisenbahnverbindung zwischen Zürich und Basel ein Thema – also bereits vor der Inbetriebnahme der ersten Bahnstrecke der Schweiz von Zürich nach Baden, die als «Spanischbrötlibahn» am 7. August 1847 eröffnet wurde. Das Teilstück von Baden nach Brugg konnte am 29. September 1856 eingeweiht werden. Die Weiterführung der Bahnlinie Richtung Basel sollte indessen noch Jahre dauern.

Bözberglinie galt als technisch schwierig

Die Zürcher Interessen an einer Schienenverbindung mit Basel fand im Aargau Unterstützung, wobei man die direkte Linie via Bözberg und das Fricktal im Auge hatte. Die Kantone Basel-Stadt und Baselland priorisierten hingegen die Hauensteinlinie nach Olten mit dem Gedanken an eine Weiterführung nach Zürich und in Richtung Gotthard. Im Wettbewerb der beiden Linienführungen machte schliesslich die Hauenstein-Variante, die 1858 eingeweiht werden konnte, das Rennen.

Die Bözberglinie, die ursprünglich in Kehrtunnels und mit einem Scheiteltunnel über den Berg führen sollte, galt aufgrund der Steigungen als technisch schwierig. Erst das Projekt eines 2526 Meter langen Basistunnels führte zur Realisierung dieser Schienenverbindung.

1871 wurde mit dem Bau begonnen, bereits im August 1875 konnte die Bözbergbahn den Betrieb aufnehmen – eine enorme Leistung von über 4000 Arbeitern. Die Strecke Zürich–Basel verkürzte sich im Vergleich mit dem Umweg via Olten und den 1858 eröffneten Hauensteintunnel um mehr als acht Kilometer.

Statt über die Staffelegg fahren die Züge durch den Bözberg – seit Anfang 2020 ist hier der 4-Meter-Korridor realisiert.

Statt über die Staffelegg fahren die Züge durch den Bözberg – seit Anfang 2020 ist hier der 4-Meter-Korridor realisiert.

Keystone

Staffeleggbahn ging in Auseinandersetzung vergessen

Olivier Zschokke: Der Ingenieur war ein engagierter Verfechter des Staffeleggprojekts.

Olivier Zschokke: Der Ingenieur war ein engagierter Verfechter des Staffeleggprojekts.

zvg

In der damaligen Bahneuphorie wurden verschiedene Visionen und Projekte entwickelt, wie der Jura überwunden werden könnte. So standen neben der erwähnten Variante über den Bözberg auch Tunnelprojekte – oder wohl eher Projektideen – durch den Benken, die Schafmatt und die Staffelegg zur Diskussion.

Der Aarauer Ingenieur Olivier Zschokke kam 1869 anhand verschiedener Studien – die der Stadtrat Aarau in Auftrag gegeben hatte – zum Schluss, dass eine Staffelegg-Bahnvariante grosse Vorzüge gegenüber den anderen Projekten habe.

Die Linienführung von Basel via Rheinfelden und Frick zur Staffelegg sah einen Tunnel zwischen Densbüren und Küttigen vor. Von Aarau sollte die Bahnlinie via Lenzburg, Wohlen und Muri zum damals in der Planungsphase steckenden Gotthardtunnel führen. Die Staffelegg-Variante wies in Richtung Innerschweiz gegenüber dem Bözberg verschiedene Vorteile auf, so wäre sie einige Kilometer kürzer und der Bau um rund vier Millionen Franken günstiger gewesen.

Das Längenprofil der geplanten Staffeleggbahn mit einem Scheiteltunnel.

Das Längenprofil der geplanten Staffeleggbahn mit einem Scheiteltunnel.

zvg

Es entspann sich ein hart umkämpfter regionaler Wettbewerb. Aarau wie Brugg schreckten vor Gehässigkeiten nicht zurück. Der Brugger «Hausfreund» polemisierte, die Vorteile einer Bözbergbahn seien

«von solcher Wichtigkeit und Grösse, dass man bald auf den Gedanken kommen muss, als bezwecke man mit dem Staffeleggprojekt einfach nur, die anerkennenswerten und auf das Erfreulichste gediehenen Bözbergbahnbestrebungen zu hintertreiben.»

Aarau als Kantonshauptstadt sah in einer Staffeleggbahn primär eine wirtschaftliche Aufwertung.

Basel und Zürich entschieden über Staffeleggbahn

Nun, warum hatte die Staffeleggbahn gegenüber der Bözbergbahn keine Chance? Ausschlaggebend waren die Städte Zürich und Basel, die an einer kurzen, direkten Eisenbahnlinie interessiert waren und es heute noch sind. Unterstützung erhielt das Bözbergbahnprojekt von einer Versammlung in Baden.

Laut «Volkstimme aus dem Fricktal» nahmen «ungefähr 60 der wägsten und besten Männer» aus dem Freiamt und aus den Bezirken Baden und Lenzburg teil. Sie sicherten dem Bözbergprojekt, das von Brugg via Lenzburg ins Freiamt führen soll, «die moralische und pekuniäre Unterstützung zu». In den Bezirken Baden und Brugg zeichnete sich eine Allianz mit Fricktaler Gemeinden ab, die sich mit grossen Beträgen hinter das Bözbergprojekt und gegen das Staffeleggprojekt stellte.

So sicherte Rheinfelden 350’000 Franken zu und erhöhte später auf 500’000 Franken, die Stadt Brugg bewilligte 400’000 Franken und Frick stockte den ursprünglichen Beitrag von 100’000 Franken auf 150’000 Franken zugunsten der Bözbergbahn auf. Die Einwohnergemeinde Aarau bewilligte auf der andern Seite im Jahr 1869 eine Million Franken für das Staffeleggprojekt.

Visionäre Projekte, die nie realisiert wurden
 

Rentabilität sprach für Bözbergbahn

Die Rentabilität indessen als zentraler Punkt sprach eindeutig für die Bözbergbahn als Verbindung zwischen Basel und Zürich mit Anschlussmöglichkeit Richtung Freiamt und Gotthard. Das Projekt Staffeleggbahn, das primär auf den Transitverkehr Richtung Gotthard ausgerichtet war, konnte da regional bedeutend weniger punkten.

Die Promotoren des Bözbergprojekts zeigten sich zudem wesentlich agiler und reichten am 5. Juli 1869 beim Kanton ein Konzessionsgesuch ein – sie liefen damit den Initianten der Staffeleggbahn den Rang ab.

Die Idee einer Staffeleggbahn war damit aber nicht begraben. Sie bildete auch in den folgenden Jahrzehnten immer wieder ein Thema. Dies, obwohl das schweizerische Eisenbahnnetz auf den Hauptlinien Basel–Gotthard und Basel–Zürich, mit der Eröffnung der Hauensteinlinie 1858, respektive der Bözbergbahn 1875, in groben Zügen festgeschrieben war.

Strassenbahn statt Staffeleggbahn

Am 10. Januar 1897 trafen sich die Delegierten der an einer Bahnverbindung zwischen Aarau und Frick interessierten Gemeinden im Gasthof Löwen in Herznach. Wie die «Aargauer Nachrichten» am 13. Januar 1897 berichteten, wies ein Referent auf die schwierigen Terrainverhältnisse hin, die eine Vollbahn verunmöglichen. Die moderne Technik lasse jedoch den Bau einer Strassenbahn zu.

Die Postkutsche Frick-Aarau macht einen Zwischenhalt beim Restaurant Kreuz Küttingen.

Die Postkutsche Frick-Aarau macht einen Zwischenhalt beim Restaurant Kreuz Küttingen.

zvg

Hingewiesen wurde auf die wirtschaftliche Bedeutung einer solchen Bahn für die Region, die klare Konkurrenzvorteile bringe. Anhand einer Vorstudie wurde aufgezeigt, dass keine unüberwindbaren baulichen Schwierigkeiten zu erwarten waren. Eine Aufstellung «von kompetenter Stelle» zeigte zudem, dass von Küttigen rund 300, von Biberstein 150, von Densbüren und Asp 120 Arbeiter nach Aarau zur Arbeit fahren würden. Für diese Arbeiter wäre eine Strassenbahn eine grosse Erleichterung.

An der erwähnten Versammlung vom 10. Januar 1897 wurde beschlossen, ein «Aktions-Comité» mit je einem Gemeindevertreter zu bestimmen. Bereits 14 Tage später tagte dieses Gremium. Vertreten waren alle Gemeinden, die an der Versammlung in Herznach teilgenommen hatten, mit Ausnahme von Zeihen, wo gemäss Protokoll «durch Gemeindeschlussnahme eine Beteiligung an den Bestrebungen für die Staffeleggbahn abgelehnt wurde».

Die Comité-Sitzung beschloss, einen Fonds zu schaffen. Doch bereits an der zweiten Sitzung am 22. Januar 1900 im Gasthof zum Wilden Mann in Aarau breitete sich angesichts der finanziellen Situation Ernüchterung aus. In den Fonds war bisher bloss die Hälfte einbezahlt worden. Mit zwei zu neun Stimmen wurde beschlossen, die Tätigkeit des Aktions-Comités für eine Staffeleggbahn bis auf weiteres zu sistieren.

Wiederbelebung endet auf Abstellgleis

Ein erneuter Wiederbelebungsversuch erfolgte 1905. Nationalrat Conradin Zschokke, ein Neffe des Staffelegg-Projektverfassers Olivier Zschokke, wies in seiner Festansprache am Aargauer Kantonalschützenfest 1905 in Rheinfelden auf eine Versammlung vom 23. Juli 1905 im Hotel Bahnhof in Frick betreffend Staffeleggbahn hin. Der Stadtrat Aarau entsandte eine hochkarätige Delegation mit Stadtammann Max Schmidt und Vizeammann Hans Hässig. Die Versammlung führte zur Gründung eines «Initiativkomite für die Bahn Aarau–Frick» unter dem Präsidium von Nationalrat Conradin Zschokke.

Zeitungsnotiz im Badener Tagblatt vom 3. Juli 1905.

Zeitungsnotiz im Badener Tagblatt vom 3. Juli 1905.

Picasa / Aargauer Zeitung

An der nachfolgenden Sitzung vom 2. September 1905 wurde ein Kredit von 4000 Franken beschlossen, inklusive den aus einem von früheren Projekten vorhandenen Fonds von 853.10 Franken. Damit sollten «die Vorarbeiten zur Überschienung des Jura» ermöglicht werden, wie es in einem handgeschriebenen Brief an den Stadtrat Aarau heisst. Die allgemeine Wirtschaftssituation und der Erste Weltkrieg bremsten jedoch das Bahnprojekt. Damit befand sich das Projekt Staffeleggbahn vorerst auf dem Abstellgleis.

Erneuter Anlauf nach 15 Jahren

An einer Volksversammlung in Frick am 23. November 1920 wurde ein neues, provisorisches Aktionskomitee für die Staffeleggbahn ins Leben gerufen. Dieses lud auf den 23. Januar 1921 zu einer Versammlung in die Turnhalle Küttigen ein «um ein richtiges Bild der Stimmung in den direkt betroffenen Landesteilen zu erhalten», wie es in der Einladung heisst. Ein Grossaufmarsch von über 600 Personen dokumentierte das enorme Interesse an der Staffeleggbahn.

Am 23. Oktober 1921 ist die Aargauische Eisenbahnvereinigung gegründet worden, die sich «die zielbewusste Förderung aller Bahnbestrebungen im Kanton» auf die Fahne geschrieben hatte. Als erstes Ziel wird in den Statuten ausdrücklich «die Förderung und Finanzierung der Bahnlinie Frick–Aarau» festgehalten.

Der in den 1920er-Jahren aufkommende Postautoverkehr über den Jura drängte das Bahnprojekt Frick–Aarau allerdings in den Hintergrund. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem nachfolgenden Wirtschaftsaufschwung der 1950er- und 1960-Jahre und dem damit einhergehenden Glauben an den Individualverkehr geriet das Staffelegg-Bahnprojekt völlig in Vergessenheit.