Wenn daheim die Fetzen fliegen – Umgehen mit Elternstreit

Die Sekklasse 1a hat mit (hinten v. r.) Lehrer Christoph Hofer, NCBI-Expertin Anina Schmid und Schulsozialarbeiterin Veronica Graber Konfliktlösungen erarbeitet. egu
Die Sekklasse 1a hat mit (hinten v. r.) Lehrer Christoph Hofer, NCBI-Expertin Anina Schmid und Schulsozialarbeiterin Veronica Graber Konfliktlösungen erarbeitet. egu

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Das Sprichwort trifft in Familien auf keinen Fall zu. «Wenn Eltern sich streiten, ist das für Kinder ganz schwierig auszuhalten», sagt Christoph Hofer. Der Rothrister Sekundarlehrer weiss dies aus seiner langjährigen Erfahrung und unzähligen Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern. Deshalb hat er sich sofort bereit erklärt, am Workshop «Wenn die Fetzen fliegen» mit seiner Klasse mitzumachen. «Dieses Projekt zur Gewaltprävention wird durch die Abteilung Soziale Arbeit der Berner Fachhochschule untersucht und wir helfen dabei mit», betont Christoph Hofer. Unterstützung hat er durch Veronica Graber. Die Leiterin der Rothrister Schulsozialarbeit konnte einige Lehrpersonen zum Mitmachen motivieren.

Brücken bauen

«Familiäre Konflikte und Gewalt werden in unserer Gesellschaft weitgehend tabuisiert, weil in der Schweiz die Familie noch allzu oft als Privatsache gilt, in die sich niemand einmischen darf», sagt Anina Schmid vom National Coalition Building Institute (NCBI) was mit Brückenbauer-Institut übersetzt werden kann. «Wir setzen uns für den Abbau von Vorurteilen, Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art ein», erklärt die Expertin des gemeinnützigen Vereins NCBI Schweiz, der seit 1995 besteht. Dank der finanziellen Unterstützung von Bund und privaten Stiftungen kann der Verein mit Sitz in Thalwil den Gewaltprävention-Workshop in Rothrist kostenlos anbieten.

Was und wer in der Not hilft

«Speziell an diesem Projekt ist, dass Mädchen und Buben erfahren, wie sie sich verhalten können, wenn sie von einem Streit unter Erwachsenen betroffen sind», unterstreicht Lehrer Christoph Hofer. «Meistens stehen sie nämlich in solchen Situationen zwischen den Fronten, leiden und können nichts dafür.» In der Schule falle dies dann durch sinkende Noten und mangelnde Konzentration auf. «Das muss nicht sein», sagt Hofer. Und genau hier setzt der Workshop an. Ziel ist, dass die Teilnehmer lernen, dem Streit und der damit verbundenen negativen Spirale auszuweichen. Kinder und Jugendliche erfahren, dass sie sich nur bedingt in einen Streit einmischen sollten. Und wenn, dann indem sie ihre Gefühle ausdrücken – im Sinn von «es macht mich traurig, wenn ihr so laut streitet» oder «euer Streit macht mir Angst». Die Kinder lernen, dass sie diese Belastung nicht allein bewältigen müssen, sondern sich Hilfe holen sollen. Sei es durch ein Gespräch mit der Grossmutter, einer anderen Vertrauensperson oder bei einer Beratungsstelle. So bei der Jugendarbeit, Kinder- und Jugendberatungsstelle, Schulsozialarbeit, dem Kindernotruf 147 oder in gefährlichen Situationen bei der Polizei. Die Kinder wissen nun auch, ob es besser für ihre Gefühlswelt ist, alles aufzuschreiben, in den Wald hinauszugehen und laut zu schreien oder die Probleme im Freundeskreis anzusprechen.

Selbstgeschriebenes Theater

In vier Lektionen erarbeiteten Lehrer Christoph Hofer, Schulsoziarbeiterin Veronica Graber und NCBI-Fachfrau Anina Schmid das Thema mit der Sekundarklasse 1a. «Das Thema hat bei allen nachgewirkt, und auch über die Lektionen hinaus haben wir uns damit befasst», sagte Christoph Hofer am Projektabend. Zu diesem hatten die Schüler ihre Eltern ins Klassenzimmer des Schulhauses Dörfli 4 eingeladen. Bis auf die etwas aufgeregten Mädchen und Buben, die mit ihren Präsentationen und ihrem Theater im Mittelpunkt standen, war die Atmosphäre entspannt. Für die Eltern gab es blaue und rote Karten, mit denen sie über den Verlauf des selbst geschriebenen Theaterstücks entschieden. «Während sich die Eltern über die Ferienplanung streiten, kommen die drei Töchter von der Schule nach Hause», fasste ein Schüler die Handlung zusammen, die sechs Verläufe nehmen kann.

Neben dem Theater führte eine Gruppe Interviews mit Kindern und Erwachsenen, wie sie Streit erleben. Eine andere Gruppe fasste auf Plakaten die gemeinsam erarbeiteten Strategien zusammen und ebenso, wo Unterstützung und Hilfe angeboten wird. «Im Workshop hatten die Teilnehmer einen geschützten Rahmen, um sich auch mit ihren Gefühlen auseinandersetzen zu können», sagte Anina Schmid. Sie betonte die Wichtigkeit des Austausches, um zu merken, «ich bin nicht allein mit diesem Problem».

Das verantwortliche Trio sowie die Schüler sind sich einig, dass das Thema und die Suche nach Konfliktlösungen einiges bewegt hat. Dass das Streit-Thema im Schulhaus interessiert, zeigte auch das Kommen von einigen Schülern aus anderen Klassen. «Der Workshop war ein Impuls, der nun weiter- wirkt», sagte Anina Schmid.