
Wenn das Rentenalter kein Grund ist, sich zurückzulehnen
Der abtretende FDP-Ständerat Philipp Müller forderte am Montag, dass das Rentenalter total flexibilisiert, ja sogar komplett abgeschafft werden soll. «Warum soll eine topfitte Frau gleichzeitig mit einer gesundheitlich angeschlagenen in Rente gehen?», fragte er gegenüber dem «Blick». Müller sieht darin den nötigen Schritt, um die marode AHV zu stützen. Mit der Flexibilisierung des Rentenalters könnte aber noch ein weiteres Problem angegangen werden: der Fachkräftemangel. Es ist kein Geheimnis, dass die Schweiz durch die bevorstehende Pensionierungswelle und der damit einhergehenden Verschärfung des Mangels an ausgebildeten und erfahrenen Fachleuten vor einem Problem steht.
Urs Schenker, Leiter des Pflegeheims Sennhof in Vordemwald bestätigt das. «Im Gesundheitswesen ist der Fachkräftemangel augenscheinlich, auch wenn im Sennhof aktuell alle Stellen, ausser bei der Wohnbereichsleitung, besetzt sind.» Bei der ganzen Diskussion dürfe aber nicht vergessen werden, dass andere Sektoren ebenfalls darunter leiden. «Das wird aber nicht ganz so oft diskutiert, weil ein Mangel an Elektrikern etwa weniger emotional und reisserisch ist als ein Mangel an Pflegepersonal», so Schenker.
Arbeitsverträge nach der Pensionierung
Wer im Sennhof arbeitet und demnächst vor der Pension steht, muss nicht zwingend aufhören. «Vor jeder Pension klären wir ab, ob eine Weiterbeschäftigung gegenseitig gewünscht wird und auch aus gesundheitlicher Sicht Sinn macht», erklärt Urs Schenker. Wenn dem denn so ist, wird ein Einjahresvertrag mit einmonatiger Kündigungsfrist unterzeichnet.
Zurzeit gibt es im Sennhof fünf Angestellte, die entweder bereits pensioniert worden sind und weiter abreiten, oder demnächst vor der Pension stehen und bereits einen Einjahresvertrag unterzeichnet haben. Kathrin Jordi, Theres Bont und Esther Lüscher sind alle in der Pflege tätig. Theres Bont hat bereits den zweiten Einjahresvertrag unterzeichnet, reduzierte seit ihrer Pension von 90 auf 40 Prozent. «Pflege ist viel mehr eine Berufung als ein Beruf», so Bont. Ihr gefällt die Arbeit nach wie vor. Ebenso wichtig ist, dass sie fit und gesund ist. Die Arbeit kann sie deshalb ohne Einschränkungen erledigen.
Die gute Gesundheit und die Freude an der Arbeit war auch bei Kathrin Jordi und Esther Lüscher der ausschlaggebende Punkt zum Weitermachen. Lüscher gibt als Schülerbetreuerin ihr Wissen an die nächste Generation weiter und hilft mit, die neue Demenzabteilung aufzubauen. «Die Herausforderung hat mich sehr interessiert. Von meiner Familie geniesse ich dabei die volle Unterstützung», sagt Lüscher. Kathrin Jordi schätzt den Altersmix im Team und die Struktur, welche die Arbeit ihren Tagen verleiht. Auch sie arbeitet in einem Teilzeitpensum und kann so trotz Arbeit den (Teil-)Ruhestand geniessen. Für alle drei war klar, dass sie unmöglich von heute auf morgen aufhören können und wollen.
Der Seelsorger profitiert sogar von seinem Alter
Der einzige Mann, der aktuell über das Pensionsalter hinaus arbeitet, ist Ruedi Schmid. Er ist der hauseigene Seelsorger. «In meiner Arbeit profitiere ich auch etwas von meinem Alter», so Schmid. In den Gesprächen mit den Bewohnern geht es häufig um das Erlebte und ihre Biografien. Der Seelsorger hat Ähnliches erlebt und weiss aus erster Hand, wovon gesprochen wird. «Eine jüngere Person kann vielleicht nur die Rolle des Zuhörers übernehmen.»
Auch wenn im Sennhof niemand aus finanziellen Gründen den Ruhestand hinausschieben muss, ist sich Urs Schenker sicher, dass diese Situation in Zukunft vermehrt auftreten könnte. Und auch wenn die Arbeit gefällt – eine Flucht sollte es nicht sein. «Denn irgendwann kommt der Schnitt so oder so», sagt Schenker. Deshalb lohnt es sich, sich frühzeitig mit der verdienten Pensionierung auseinanderzusetzen, damit sie schlussendlich auch genossen werden kann.