
Wenn Stimmberechtigte sich von politischen Prozessen verabschieden und als «Wutbürger» auftreten
Das Strassenbauprojekt Untere Vorstadt, das am letzten Sonntag zur Volksabstimmung gelangte, ist ein sehr wichtiger Meilenstein in der Verkehrs- und Raumpolitik in Zofingen. Der Stadtrat wie auch der Einwohnerrat haben das Projekt deshalb mit grösster Sorgfalt und Umsicht vorbereitet und beraten. Das Resultat ist eine klare Ja-Mehrheit von 61 Prozent an der Urne.
Trotzdem wird in zwei Leserbriefen vom «Zofinger Polit-Establishment» gesprochen, das die Anliegen der Bevölkerung übergehe, unseriöse Arbeit leiste, ja sogar mit falschen Fakten hantiere. Dies kann und darf nicht so hingenommen werden. Im Gegenteil, wir empfinden diese Vorwürfe als übles Nachtreten, das im Fussball normalerweise mit einer roten Karte sanktioniert wird.
Wir wollen keine roten Karten verteilen, sondern sehen uns in der Pflicht, zu den diversen Punkten Stellung zu nehmen.
Die Schweiz kennt das System der direkten Demokratie. In Zofingen bildet der Einwohnerrat die Legislative mit klar definierten Kompetenzen. Volksabstimmungen werden beispielsweise dann nötig, wenn Kredite über 3 Millionen Franken beschlossen werden müssen. Solche Abstimmungen hatten wir in Zofingen immer wieder, die letzte am 24. November 2019. In den allermeisten Fällen deckte sich bisher der Volksentscheid mit dem Entscheid des Einwohnerrates. Die Aussage, dass der Einwohnerrat am Volk vorbei politisiere, entbehrt also jeglicher Grundlage. Weit gravierender ist jedoch die Unterstellung, dass das Volk arglistig getäuscht wird. Dies ist eine böswillige Diffamierung. Denn das Kreisel-Projekt wurde keinesfalls durchgewunken. Es wurde seriös diskutiert, Argumente dafür und dagegen waren durchaus vorhanden. So hat der Einwohnerrat beispielsweise mit 29:5 Stimmen einen Zusatzantrag gutgeheissen, dass die Gestaltung des Kreiselzentrums gemäss dem modernsten Wissen der Verkehrsplanung zu erfolgen hat und die Vollzugshilfe des Bundesamts für Strassen (Astra) anzuwenden ist, das die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden fordert.
Auch die Behauptung, dass das Strassenbauprojekt zum Gestaltungsplan Untere Vorstadt gehört, ist falsch. Dies ist in der Einwohnerratsvorlage vom 24. Juni 2019 nachzulesen. Richtig ist, dass der Gestaltungsplan in der überarbeiteten, aktuellen Fassung bisher nicht öffentlich aufgelegen ist. Zwar wurde 2011 ein Mitwirkungsverfahren zum ursprünglichen Plan durchgeführt, und nach der kantonalen Vorprüfung folgte 2014 dessen öffentliche Auflage. Aufgrund von vier Einwendungen wurde der Plan überarbeitet. Nach der deswegen notwendigen zweiten kantonalen Vorprüfung wird dieser wohl demnächst öffentlich aufgelegt. Dann besteht wiederum die Möglichkeit, Einwendungen zu deponieren. Und erst, wenn dieser Verfahrensschritt erledigt sein wird, kann der Gestaltungsplan rechtskräftig werden. Die Aussage, dass mit dem Ja zum Strassenbauprojekt auch der Gestaltungsplan umgesetzt werden kann, ist also nachweislich völlig falsch. Ebenso falsch ist die Behauptung, dass niemand wisse, was der Inhalt dieses Gestaltungsplans ist. Am 30. Oktober 2008 sowie am 23. April 2014 haben diesbezüglich öffentliche Informationsveranstaltungen stattgefunden. Konkret bedeutet dies, dass seit über zehn Jahren bekannt ist, was auf diesem Areal geplant wird.
Es besteht leider seit längerem eine Tendenz, dass sich einzelne Stimmberechtigte von politischen Prozessen verabschieden, umgekehrt aber in Tageszeitungen und vor allem auf Social Media als «Wutbürger» auftreten – offensichtlich ohne fundiertes Wissen. Dies ist aber auch in Gemeinden ohne Einwohnerrat der Fall, die Präsenzen an Gemeindeversammlungen sprechen da eine deutliche Sprache.
Konstruktiv wäre, wenn sich interessierte Bürgerinnen und Bürger engagieren würden. In Zofingen besteht dazu die Möglichkeit, sich der Wahl ins interessante Amt eines Einwohnerratsmitglieds zu stellen. Als gewähltes Mitglied wird man in die politischen Prozesse eingebunden, und somit liegt es auf der Hand, dass man einen gewissen Wissensvorsprung erhält. Spätestens bei der Inpflichtnahme muss man sich aber bewusst sein, dass Einzelinteressen zurückzustellen sind. Der Amtseid lautet nämlich, dass die Ehre und die Wohlfahrt der Stadt Zofingen zu fördern sind und man gemäss den Verfassungen und Gesetzen nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln hat. Wir als gewählte Einwohnerrätinnen und -räte nehmen diesen Auftrag sehr ernst. Deshalb stehen wir ausdrücklich hinter dem Vorgehen bei der Beratung des Kreisels Untere Vorstadt – auch wenn wir durchaus unterschiedliche Auffassungen zu den Vor- und Nachteilen des Geschäfts haben.
Einwohnerrätinnen und Einwohnerräte: Jan Bachmann, Mischa Berner, Adrian Borer, Maja Freiermuth, Markus Gfeller, Stefan Giezendanner, Rudolf Günthardt, Liliane Hofer, Tobias Hottiger, Irma Jordi, André Kirchhofer, Franziska Kremer, Nadja Kuhn, Jakob Lang, Christian Läubli, Raphael Lerch, Marco Negri, Christian Nöthiger, Sandra Olar, Erich Roth, Vreni Schmid, Claudia Schürch, Yolanda Senn Ammann, Pascal Stenz, Michael Wacker, Robert Weishaupt