Wer nicht «Alfred Müller» heisst, hat schlechtere Wahlchancen

«Durch die Diskriminierung verlieren nicht nur die Kandidierenden mit Migrationshintergrund.» Lea Portmann, Forscherin
«Durch die Diskriminierung verlieren nicht nur die Kandidierenden mit Migrationshintergrund.» Lea Portmann, Forscherin

Wenn sich die Schweiz am 1. August jeweils selber feiert, dann sieht sie sich gerne als moderne Demokratie, in der – dank 50-jährigem Frauenstimmrecht – mittlerweile Gleichberechtigung und Chancengleichheit herrschen. Dass an der Chancengleichheit aber noch gearbeitet werden muss, zeigt eine Studie der Universität Luzern: Um die Wahlchancen von Menschen mit Migrationshintergrund zu untersuchen, analysierte Lea Portmann für ihre Doktorarbeit zusammen mit Professor Nenad Stojanović während sechs Jahren Wahlzettel von den Nationalratswahlen 2015. Dabei interessierten sie sich für veränderte Wahlzettel, das heisst: Wahlzettel, bei denen die Wähler Kandidierende gestrichen, kumuliert oder panaschiert hatten. Angaben von über 600 000 solcher Wahlzettel haben die beiden Forschenden berücksichtigt.

Dabei stellten sie fest, dass Kandidierende mit Namen, die schweizerisch klingen, gleich zwei Vorteile gegenüber Kandidierenden mit ausländisch klingenden Namen hatten. Zum einen wurden schweizerisch klingende Namen häufiger kumuliert und panaschiert. «In-group favouritism», nennt das Portmann und erklärt, dass dabei Menschen bevorzugt werden, die man als «zur gleichen sozialen Gruppe gehörend» wahrnimmt. Zum anderen werden ausländisch klingende Namen öfter gestrichen. «Out-group hostility» heisst das im Fachjargon, gemeint ist eine Ablehnung gegenüber Menschen, die man nicht zur eigenen «Gruppe» zählt.

Vor allem rechte Wähler neigen zur Diskriminierung

Im Schweizer Wahlsystem bedeutet also der «in-group favouritism» eine Bevorteilung von Kandidierenden mit schweizerisch klingenden Namen und die «out-group hostility» eine Benachteiligung von solchen mit ausländisch klingenden Namen. «Das kann beides gleichzeitig vorkommen, wenn jemand zum Beispiel bewusst die ausländischen Namen streicht und dafür Schweizer Namen kumuliert. Oder es kann separat auftreten, wenn jemand zwar nur Schweizer Namen kumuliert, aber beim Streichen einfach auf die Listenplätze achtet und nicht auf die Namen selbst – oder umgekehrt, wenn jemand nur die ausländisch klingenden Namen streicht, ohne sie zu ersetzen», erklärt Lea Portmann. Beides, so die Studie, findet man vermehrt im rechten politischen Spektrum. Ob die als ausländisch wahrgenommenen Namen ursprünglich aus westlichen Ländern wie den USA und Skandinavien stammen oder aus dem Osten, zum Beispiel aus den ehemaligen Ostblock-Staaten, macht dagegen keinen Unterschied.

Solche Chancenungleichheiten aufzuzeigen und Mechanismen wie den «in-group favouritism» und die «out-group hostility» besser zu verstehen, könne dabei helfen, solche Benachteiligungen zu adressieren, sagt Lea Portmann. Und dass man dies angeht, sei essentiell, denn: «Durch die Diskriminierung verlieren nicht nur die Kandidierenden mit Migrationshintergrund, auch die Schweiz als repräsentative Demokratie verliert», sagt sie. Schliesslich sind Schweizer und Schweizerinnen mit Migrationshintergrund ein wichtiger Bestandteil der Bevölkerung. Gegensteuer zur dieser Ungleichheit können sowohl die Parteien wie auch die Medien geben, denkt die Politikwissenschaftlerin. So können Parteien darauf achten, dass Kandidierende mit ausländisch klingenden Namen gute Listenplätze auf den Wahlzetteln erhalten.

Fussball-Nati als Beispiel für inklusive Schweiz

Die Medien dagegen sollten versuchen, Menschen mit Migrationshintergrund vermehrt auch mit Geschichten aufzunehmen, die nichts mit Migration zu tun haben. «Es wäre wichtig, dass Politikerinnen und Politiker, deren Namen nicht typisch schweizerisch klingen, zu ganz verschiedenen Themen zu Wort kommen», sagt sie. Denn am Ende geht es im Grund auch darum, wer als «Schweizer» oder «Schweizerin» – also als Mitglied der eigenen sozialen Gruppe – wahrgenommen wird. Wie bereichernd ein inklusiveres Bild der Schweiz sein kann, sollte nach der Fussball-EM eigentlich einleuchten: Schliesslich wäre auch die Schweizer Fussball-Nati ohne Namen wie Xhaka, Embolo oder Shaqiri um einiges weniger erfolgreich.