
Wie bringt man die Heiratsstrafe für Ehepaare endlich zum Verschwinden?
Das Bundesgericht hat 1984 entschieden, dass die kantonalen Steuergesetzgebungen Ehepaare im Verhältnis zu Konkubinatspaaren nicht stärker belasten dürfen. Die meisten Kantone haben seither ihre Gesetzgebung angepasst (vgl. Box unten). Faktisch ist es auf nationaler Ebene aber heute noch so, dass Ehepaare und Personen in eingetragener Partnerschaft mehr Steuern zahlen (und als Pensionierte weniger AHV bekommen) als Konkubinatspaare.
Grosser Rat machte 2016 Druck mit Standesinitiative
Diese sogenannte Heiratsstrafe steht auf der politischen Agenda weit oben. Doch bisher sind alle Lösungsversuche gescheitert. Letztmals scheiterte eine nationale CVP-Initiative knapp, wohl nicht zuletzt, weil der Bundesrat – wie sich nachher herausstellte – mit viel zu tiefen Zahlen Betroffener argumentiert hatte. Nach der Ablehnung schickte der Aargauer Grosse Rat 2016 auf Antrag der CVP eine Standesinitiative nach Bern, um die Heiratsstrafe endlich zu bodigen. Doch sie ist immer noch da.
Die Mitte (vormals CVP) will weiterhin eine steuerliche Splittinglösung und versucht jetzt, mit gleich zwei neuen nationalen Initiativen eine Lösung bei Steuern und AHV zu finden.
FDP: Individualbesteuerung
Auch die FDP hat sich die Abschaffung der Heiratsstrafe auf die Fahne geschrieben. Sie setzt hingegen auf die Individualbesteuerung. In einem Vorstoss im Grossen Rat wollte sie die Haltung der Kantonsregierung ergründen. Dabei machte Sabina Freiermuth als Sprecherin gleich klar, was sich ihre Partei davon erhofft: «Die Individualbesteuerung weist das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis auf: Bei verhältnismässig niedrigen Steuerausfällen resultiert eine vergleichsweise hohe Erwerbszunahme.»
Studien von Avenir Suisse (2020) und Ecoplan (2019) zeigten, dass eine Erwerbszunahme um 40’000 bis 60’000 zusätzliche Vollzeitstellen zu erwarten sei, rechnete Freiermuth im Vorstoss vor. 300’000 erwerbstätige Frauen würden ihr Erwerbspensum um 20 Prozent steigern, was zu entsprechend höheren Steuereinnahmen führen würde.
Regierung: Im Aargau gibt’s keine Heiratsstrafe mehr
«Die meisten Kantone hätten ihre Gesetzgebung längst angepasst, antwortete die Regierung, das gelte auch für den Aargau. Hier werde das Gesamteinkommen von Paaren zum Steuersatz des halben Gesamteinkommens besteuert. Fazit der Regierung: «Es gibt im Kanton Aargau somit keine Heiratsstrafe.» Bei der Bundessteuer gebe es sie in der Tat noch. Für die Lösung der FDP hat sie aber kein Musikgehör. Bei Beachtung der Komplexität und des grossen Aufwands sei «eine Anpassung der heutigen Tarifgestaltung angezeigt, idealerweise durch ein Vollsplitting oder Teilsplitting, wie es die Mehrheit der Kantone bereits kennt», schreibt der Regierungsrat und ist überzeugt: «Damit wäre die Heiratsstrafe auch bei der Bundessteuer beseitigt.»
Diese Antwort wiederum enttäuscht die FDP, wie die neue Kantonalpräsidentin Freiermuth im Grossen Rat sagte. Gewiss sei die Einführung der Individualbesteuerung anspruchsvoll, man fürchte Mehraufwand, obwohl die Digitalisierung doch vielerlei Lösungsmöglichkeiten biete.
Jetzt liegt der Ball auf Bundesebene. Denn nicht nur Die Mitte will erneut sammeln. Ein mehrheitlich aus freisinnigen Frauen bestehendes Komitee (darunter die Aargauer FDP-Nationalrätin Maja Riniker, aber auch die frühere CVP-Bundesrätin Ruth Metzler) hatte für ihre Initiative für die Individualbesteuerung bis am Montag um 15.30 Uhr bereits 22’821 Unterschriften beisammen. Man wird sehen, welche Lösung das Rennen macht. Wenn es nur endlich eine Lösung gibt.
So führt das heutige System auf Bundesebene zur Heiratsstrafe
Aktuell gilt auf Bundes- und Kantonsebene für Ehepaare die Gemeinschaftsbesteuerung. Obwohl Ehepaare verschiedentlich Abzüge geltend machen können, kann es zu einer steuerlichen Benachteiligung gegenüber unverheirateten Paaren in ähnlicher wirtschaftlicher Situation kommen. Die Kantone korrigieren die Benachteiligung teilweise. Im Aargau etwa gilt ein Vollsplitting. Weiter führt die gemeinsame Veranlagung der Paare dazu, dass das Einkommen des Zweitverdieners auf Bundesebene (meist die Frau) zu einem deutlich höheren Steuersatz besteuert wird, als dies bei einer individuellen Veranlagung der Fall wäre. Damit werden negative Arbeitsanreize geschaffen und viele Frauen arbeiten weiterhin mehrheitlich niedrigprozentig. (az)