Wie findet der Aargau als Wirtschaftsstandort zurück in die Erfolgsspur?

Vor einigen Tagen hat an dieser Stelle Landammann Markus Dieth dargelegt, mit welchen strategischen Initiativen die Regierung die Wirtschaftskraft und das Steuersubstrat im Aargau stärken will, um weniger vom Finanzausgleich abhängig zu sein. Nebst einer vertieften fiskalpolitischen Analyse mit dem Ziel einer neuen Steuerstrategie gehören Themen wie Innovationsförderung, Arealentwicklung, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Mobilität oder Fachkräfteförderung dazu. Wie kommt das bei den Empfängern an?

Kurt Schmid, Präsident des Aargauischen Gewerbeverbandes, begrüsst die strategischen Initiativen der Regierung sehr. Sie seien vielversprechend und gut, schreibt er in der neusten «Aargauer Wirtschaft». Es brauche aber mehr, sagt er gegenüber der AZ. Zuoberst steht der Ruf nach Bürokratieabbau. So ärgert ihn etwa, dass man für eine Baubewilligung trotz Digitaloffensive des Kantons nach wie vor die unterzeichneten Baupläne auf Papier einreichen müsse. Schmid sagt: «Man könnte viel Zeit und Papier sparen, wenn man inklusive digitale Unterschrift endlich das ganze Dossier nur noch elektronisch einreichen müsste.»

Schmid: Handwerker durch Auflagen aus Zentren gedrängt

Ein grosses Thema sind im Gewerbe Bauzonen und die Arealbewirtschaftung überhaupt. Das sei eine Verbundaufgabe zwischen Kanton und Gemeinden, die diese gemeinsam angehen müssten. Schmid fordert mehr Arbeitszonen und wehrt sich dagegen, dass Handwerker über immer mehr Auflagen aus den Zentren verdrängt werden. Wenn dann noch die Gewerbezone zu klein ist, drängten Handwerker in die Wohnzone, was auch nicht die Lösung sein könne. «Man fordert bezahlbaren Wohnraum, aber auch das Gewerbe braucht bezahlbaren Wirtschaftsraum. Und zwar dort, wo die Kunden sind. Wenn das Gewerbe weit in die Agglomeration hinaus gedrängt wird, werden die Fahrten zu den Kunden immer länger und teurer. Nachhaltig ist das schon gar nicht.» Auf der Wunschliste des Gewerbepräsidenten stehen auch Steuer- und Gebührensenkungen, Verkehrserschliessungen, Inlandbegünstigung in der Arbeitsvergabe oder eine Lockerung des Ortsbildschutzes.

Kurt Schmid, Präsident des Aargauischen Gewerbeverbands. Bild: Claudio Thoma

Kurt Schmid, Präsident des Aargauischen Gewerbeverbands. Bild: Claudio Thoma

© Foto: Claudio Thoma / Aargauer Z

Wie erreicht man, dass mehr Unternehmen gegründet werden? Schmid verlangt «endlich gleich lange Spiesse für Handwerker, die sich an den Höheren Fachschulen (HF) weiterbilden, etwa ein Polymechaniker zum TS (Technikerschulen) oder ein Schreiner zum Schreinermeister». Für Fachhochschulabsolventen und Unistudenten zahlt der Staat abgesehen von den Semestergebühren die Ausbildung. Wer eine HF-Ausbildung machen wolle, müsse 20’000 bis 30’000 Franken selbst in die Hand nehmen, der Kanton zahle immer noch wenig daran, sagt Schmid. Das sei unfair und für junge Leute sehr viel Geld, was viele daran hindere, diese Ausbildung zu machen. Schmid fordert: «Wir brauchen endlich gleich lange Spiesse für Absolventen der Höheren Fachschule, zumal die Bundesverfassung sagt, dass die ­Berufsbildung der universitären Ausbildung gleichgestellt wird. Dann steigt die Chance, dass Weiterbildungswillige die Ausbildung machen, die ihnen am meisten nützt, wovon die Unternehmenslandschaft und letztlich der Kanton profitieren.»

Gewerkschaft Arbeit Aargau: Folge von Steuergeschenken

Ganz anders lautet die Einschätzung von Selina Egger, Geschäftsführerin von Arbeit Aargau, dem Dachverband der Arbeitnehmendenverbände im Kanton. Sie sagt: «Die eher schlechter als erwartete Positionierung des Aargauer Wirtschaftsstandortes lässt sich auch mit Steuergeschenken der letzten Jahrzehnte und der Abbaupolitik der letzten Jahre begründen.» Entsprechend wäre eine Reduktion der Gewinnsteuer für Unternehmen kontraproduktiv, sagt die Gewerkschafterin, und weiter: «Solche Steuerausfälle würden zwangsläufig in einem weiteren Leistungsabbau für die Bevölkerung resultieren, was von uns in jedem Fall abgelehnt wird.»

 
Der Ressourcenindex zeigt: Die wirtschaftliche Stärke des Kantons Zug ist unerreicht. Der Aargau steht derzeit auf Rang 16. 2015 lag er noch auf Rang 11.

Der Ressourcenindex zeigt: Die wirtschaftliche Stärke des Kantons Zug ist unerreicht. Der Aargau steht derzeit auf Rang 16. 2015 lag er noch auf Rang 11.

© Aargauer Zeitung

Wichtiger wäre aus der Sicht des Gewerkschafts-Dachverbandes eine zielführende Industriepolitik, die den Aargau bewusst fördert, sagt Egger. Der Wirtschaftsstandort Aargau sei nur dann stark, wenn es auch den Arbeitnehmenden im Kanton gut gehe. Daher brauche es einen starken Service pu­blic, Prämienverbilligungen sowie faire Arbeitsbedingungen und Löhne. Letzteres sei unter anderem auch im öffentlichen Dienst für die Angestellten im Gesundheitswesen oder für die Lehrpersonen notwendig, «zumal wir hier in der Lohnpolitik verglichen mit unseren Nachbarkantonen stark hinterherhinken.» Weiter fordert Egger die vermehrte Schaffung familienergänzender Strukturen. In diesem Zusammenhang könne man die strategischen Initiativen des Regierungsrats, vor allem die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Mobilität und Fachkräfteförderung, «durchaus als sinn- volle Massnahmen unterstützen, da wir diese als zielführend und arbeitnehmerfreundlich erachten», erläutert Egger.

Wirtschaft ruft dringend nach tieferen Gewinnsteuersätzen

Die Massnahmen respektive Handlungsfelder der Regierung, die Finanzdirektor Markus Dieth kürzlich präsentiert hat, «erachten wir als zielführend», sagt Beat Bechtold, Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer (AIHK). Wichtig sei insbesondere die Fachkräfteförderung aufgrund des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften. Es brauche aber weitere Massnahmen, damit der Aargau für gut ausgebildete und qualifizierte junge Menschen attraktiv bleibe oder attraktiver werde, betont Bechtold. Er denkt an Absolventinnen und Absolventen der hiesigen Ausbildungsstätten, wie zum Beispiel jene der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Sie sollen im Aargau wohnhaft bleiben und bei ansässigen Unternehmen eine Beschäftigung finden, wünscht sich Bechtold.

 
Einige Jahre sanken die Ausgleichszahlungen für den Aargau, weil er stärker wurde. Doch seit 2016 steigen sie wieder. 2021 gibt es pro Einwohner(in) 741 Franken.

Einige Jahre sanken die Ausgleichszahlungen für den Aargau, weil er stärker wurde. Doch seit 2016 steigen sie wieder. 2021 gibt es pro Einwohner(in) 741 Franken.

© Aargauer Zeitung

Damit dies möglich werde, brauche es gewisse Voraussetzungen: «Dazu gehört auch die Senkung der Gewinnsteuersätze für juristische Personen, damit die Unternehmen attraktive Arbeitsplätze schaffen können.» Die Steuerbelastung sei und bleibe ein massgebender Faktor der Standortqualität, sagt Bechtold, der das anders sieht als Selina Egger: «Gerade in Krisenzeiten können Steuersenkungen helfen, einen möglichen Arbeitsplatzabbau zu verhindern. Die Senkung der Gewinnsteuern ist zudem für die im Aargau ansässigen Unternehmen eine zentrale Voraussetzung, damit wir als Kanton im Steuerwettbewerb bestehen können. Ebenso werden wir als Wirtschaftsstandort attraktiver für Neuansiedlungen ausländischer Unternehmen.»

Dies führe letztlich zu grösseren Investitionen und der Schaffung von neuen, oft sehr innovativen Arbeitsplätzen. Zugleich sei bei weiteren Rahmenbedingungen an der Attraktivität des Aargaus zu arbeiten, z.B. mit weniger Regulierungen, Vorschriften und Auflagen. Er denkt wie Schmid «an den grossen bürokratischen Aufwand bei Baueingaben».

Doch was kann die Aargauer Wirtschaft selbst tun? Die jüngste Digitalisierungswelle mit Videokonferenzen, Homeoffice und Online-Absatzkanälen soll als Chance genutzt und weiter vorangetrieben werden, sagt Bechtold. Es sei zudem unerlässlich, dass Unternehmen weiterhin auf Innovation setzen. Ihm ist bewusst, dass dies in der Coronakrise leichter gesagt sei als getan, «doch die Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen ist der Schlüssel zum Erfolg – und letztlich zu neuen Arbeitsplätzen sowie mittelfristig höherem Steuerertrag.»