
Wie lange noch Strafzinsen? Die Schweizer Banken drohen der Nationalbank mit «Gegensteuer»
In Frankfurt gab am Donnerstag die Europäische Zentralbank um 13.45 Uhr bekannt, wie sie ihre Leitzinsen neu festsetzen will. In der Schweiz sind seither die Nationalbank sowie alle Banken emsig damit beschäftigt, ihre eigenen Strategien neu auszurichten. In den nächsten Wochen zeigen sich die Folgen. Negativzinsen für Kleinsparer rücken näher, negative Hypothekarzinsen könnten sich weiter verbreiten.
In Frankfurt hat die Europäische Zentralbank ihre Leitzinsen gelockert. Sie senkte den Einlagezins noch tiefer ins Minus, zu dem Banken über Nacht bei ihr Geld parkieren können. Der Satz stand vorher bei minus 0,4 Prozent, nun bei 0,5 Prozent. Sie beliess ihren wichtigsten Leitzins auf rekordtiefen 0.00 Prozent. Zu dem diesem Satz bekommen Banken von ihr Geld geliehen. Und die Europäische Zentralbank nimmt eine Sondermassnahme wieder auf, die sie schon ausgesetzt hatte. Sie kauft Anleihen von Staaten oder Unternehmen. Dass sie dieses Instrument wieder hervorholt, ist ein Eingeständnis: Es sind besondere Zeiten, die üblichen Werkzeuge reichen nicht. Die Sondermassnahme laufe weiter, «so lange wie nötig.»
Mario Draghi hat, was er wollte. Der Präsident der Europäischen Zentralbank wollte Geld noch billiger machen, um die kriselnde Wirtschaft zu stützen. Denn, so die Logik, wenn Geld günstiger zu haben ist, investieren Betriebe mehr. Das tun sie noch mehr, wenn ihnen sonst bei den Banken ein Negativzins abverlangt wird. Kritiker konterte Draghi mit Ironie: «Negativzinsen werden das Finanzsystem nicht kollabieren lassen.» Die Investitionen kämen zu rechten Zeit. Die Eurozone brauche Stützung.
Denn in Deutschland schrumpfte die Wirtschaft zuletzt. Auch die Teuerung signalisiert Schwäche. Die Teuerung in der Eurozone stieg nicht an, wie es Boomzeiten zu beobachten ist. Sie liess nach. Aktuell liegt sie weit unter dem Zielwert, für den Draghi zu sorgen hat: nahe von 2 Prozent.
Muss die Nationalbank nun ihren Strafzins erhöhen?
Draghi hat entschieden. In der Schweiz sprang die Börse auf ein neues Hoch. Der Leitindex SMI erreichte zwischenzeitlich einen neuen Allzeitrekord. Der Euro reagierte unmittelbar und fiel vorübergehend unter die Marke von 1.09 Franken. Bei Tagesschluss hatte sich der Euro etwas erholt. Doch das dürfte an der Schweizer Nationalbank gelegen haben, die sich gegen eine stärkere Abschwächung gestemmt hatte. Draghi hat entschieden. Thomas Jordan muss nun nachziehen.
Der Direktor der Schweizer Nationalbank muss heute in einer Woche bekannt geben, wie die Nationalbank ihrerseits ihren Leitzins festlegen will. Sie hat also etwas Zeit, um die neue Situation zu analysieren. Schwächt sich der Euro übermässig ab? Kann sie den Euro ausreichend stützen, wenn sie Euros mit Franken kauft? Oder reicht das nicht – und muss sie ihrerseits ihren Negativzinssatz erhöhen? Aktuell verrechnet sie einen Strafzins von 0,75 Prozent, wenn Banken bei ihr Geld parkieren. Es ist der weltweit höchste Strafzins.
Wie Nationalbank entscheidet – das weiss sie heute wohl selber noch nicht. Hingegen weiss sie, worauf es ihr ankommt. Zuletzt wurde ihre Sicht der Dinge von Thomas Jordan erklärt, im April an der Generalversammlung. Wenn die Europäische Zentralbank negative Zinsen hat, so Jordan sinngemäss, muss die Nationalbank noch tiefere Zinsen haben. Denn die Eurozone gilt am Finanzmarkt als wacklig, die Schweiz hingegen als stabil. Hätte die Schweiz nicht tiefere Zinsen aus die Eurozone – der Franken ginge durch die Decke. Die ohnehin schon teuren Schweizer Unternehmen hätten nochmals höhere Preise als die Eurozone-Konkurrenten: Detailhändler in Basel als jene in Weil am Rhein; Hotels in Graubünden als jene in Vorarlberg; Aargauer Maschinenhersteller als jene in Baden-Württemberg.
Das hätte Folgen in der ganzen Schweiz. Die Teuerung würde ins Negative rutschen. Fallende Preise machen zwar Konsumenten glücklich, nicht aber die Unternehmen. Sie verdienen weniger Geld, doch die Kosten bleiben gleich. Gemäss Jordan wäre auch ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit zu erwarten, das Wirtschaftswachstum würde sich abrupt verlangsamen. Was Jordan nicht sagte, aber dafür der Internationale Währungsfonds in einer Studie: Nach raschen Euroabschwächungen weigern sich die Arbeitgeber, höhere Löhne zu geben. Die Löhne stagnieren.
Der Druck auf die Schweizer Banken steigt: Geben sie die Negativzinsen an die Kleinsparer weiter?
Warten auf Jordan– das müssen nun die Banken. Mit dem Entscheid von Draghi ist zwar schon heute klar: Sie müssen auf Jahre hinaus mit negativen Zinsen leben. Aber ihre Leiden würden grösser, setzt die Nationalbank ihren Strafzins herauf. Anscheinend sind die Leiden der Banken heute schon zu gross, wenn es nach der Bankiervereinigung geht (siehe Artikel rechts). Die Banken müssten jährlich über 2 Milliarden Franken an Negativzinsen abliefern, klagte sie am Bankiertag, und drohten gar in Richtung Nationalbank: «Es stellt sich die Frage, ab wann bei den Negativzinsen Gegensteuer gegeben werden muss.»
Die Banken könnten auch anders. Sie könnten den Strafzins der Nationalbank weiterreichen an die Kunden. Neu würden die Banken ihren Kunden also Negativzinsen berechnen, auf deren Privat- oder Sparkonten. Dieser Schritt widerspräche für viele Bürger jeglicher wirtschaftlichen Logik. Und auch Spitzenökonomen bezeichnen es als «Verstoss gegen die normale Funktionsweise einer Wirtschaft.»
Und doch. Spitzenvertreter des Finanzplatzes rechnen fest mit dem Tabubruch. Es werde schon sehr bald dazu kommen, nicht erst in zwei oder drei Jahren, wie ein Spitzenvertreter einer Schweizer Grossbank gegenüber Medien sagte. Seine Überzeugung wird gestützt durch den Trend der letzten Jahre. Die durchschnittlichen Zinsen auf Spar- und Privatkonten sinken seit vier Jahren ständig tiefer, wie eine Erhebung des Beratungsdiensts Moneyland zeigt. Auf Sparkonten kriegt man noch halb so viel Zins, nämlich 0,05 Prozent, und auf Privatkonten nichts mehr.
Da stellen sich Fragen für die Kleinsparer. Müssen sie wirklich einen Negativzins zahlen – oder könnten sie anders? Würde es sich lohnen, bei den Banken ein Schliessfach zu mieten (Siehe Tabelle)? Platz genug hätte es dort. Wie Moneyland herausfand, können in den kleinsten Fächern noch 3000 Tausender-Noten untergebracht werden. Schweizer Kleinsparer fänden also genug Schutzraum vor den Strafzinsen – der möglichen Folge eines Entscheids von Mario Draghi.