Wie wird sich eine Umarmung nach Corona anfühlen?

Man sagt ja, der Mensch sei ein Gewohnheitstier. Wie stark dieses Wesen in uns ausgeprägt ist, erlebe ich gerade am eigenen Leib. Wie so viele sitze ich zurzeit vermehrt vor dem Fernseher und bin immer wieder aufs Neue verblüfft. Nicht etwa ob der Brutalität der Gangster in der Serie «Fargo» oder ob der Kreativität in «Parasite», der einen Oscar in der Kategorie «Bester Film» erhalten hat. Nein – meine Verblüfftheit gilt der Szene selbst.

Wenn sich etwa die Hauptdarstellerin am Anfang in die menschenvollen Strassen aufmacht. Oder zwei Protagonisten sich zur Begrüssung die Hand schütteln. In solchen Momenten ruft für einen Sekundenbruchteil alles in mir «Halt! Corona!» Relativ schnell merke ich zwar, dass sich damals die Regisseure dieser Szenen nicht für aktuelle Todes- und Infektionszahlen interessierten. Und trotzdem passiert mir das andauernd wieder.

Ich erinnere mich noch an die Zeit vor Corona, als ich Behörden verschiedenster Gemeinden traf. Ganz am Anfang schüttelten wir uns noch die Hände, schliesslich macht man das so. «Ich habe keine Angst, du etwa?» oder «Hier schütteln wir uns noch die Hände» waren gängige Sprüche. Damals signalisierte mir mein Gehirn eine Abweichung von der Normalität, wenn ich von zwei Metern Distanz jemandem zuwinkte, anstatt einen festen Händedruck auszuüben. So schnell können sich Gewohnheiten ändern.

Wie wird es sein, jemandem nach Corona wieder die Hand zu geben? Einander zu umarmen und in einem vollen Stadtsaal dem «Gummibaum» von Patent Ochsner zuzuhören? Sinnvoll wäre aus meiner Sicht eine langsame Annäherung an die frühere Normalität. So werde ich es nicht persönlich nehmen, wenn sich der Gemeindeammann nach dem Händedruck die Hände desinfiziert – die Macht der Gewohnheit, schätze ich. Wenn meine Mitarbeiterin niest, werde ich nicht sofort in Deckung gehen und annehmen, sie sei am neuen Corona-Virus erkrankt. Vielmehr werde ich ihr liebevoll Gesundheit wünschen. So wird mit jeder inneren Warnung, die ich richtig einordnen kann, die Normalität zurückkehren.