Wirbel um Astrazeneca-Impfstoff: Was es mit den Meldungen zu Blutgerinnseln auf sich hat – und warum die Antibabypille in der Diskussion auftaucht

Mehrere EU-Staaten und zuletzt auch Deutschland haben die britische Astrazeneca-Impfung vorläufig gestoppt. Grund dafür ist eine Empfehlung des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) nach einigen Meldungen über thromboembolische Ereignisse, also Blutgerinnsel, im Umfeld der Astrazeneca-Impfung. Das Institut schreibt, dass gemäss der Europäischen Arzneimittelagentur EMA 30 Fälle von thromboembolischen Ereignissen bei mehr als fünf Millionen mit dem Astrazeneca-Impfstoff geimpften Personen in ganz Europa gemeldet worden sind.

Elf Fälle von Thrombose im Umfeld von 1,2 Millionen Impfungen

In Deutschland waren es bei 1,2 Millionen Impfungen elf Meldungen über unterschiedliche Thrombosen, davon ein Fall einer speziellen Hirnblutung und sechs Fälle von Sinusvenenthrombose. Dabei verstopft ein Blutgerinnsel eine Vene im Gehirn. Betroffen waren Frauen mittleren Alters, die 4 bis 16 Tage nach der Impfung erkrankten, drei davon verstarben. Diese zeitliche Nähe zur Impfung veranlasste das PEI – trotz der sehr geringen Anzahl an Fällen –, den Stop zu empfehlen. In Grossbritannien, wo der einheimische Astrazeneca-Impfstoff der Oxford Universität am meisten eingesetzt wird, sind bis heute bei rund elf Millionen verimpften Dosen drei Fälle einer Sinusvenenthrombose registriert worden.

Fallzahl ist nicht höher als sonst in der Bevölkerung

Allerdings hält das Paul-Ehrlich-Institut fest: «Die festgestellte Anzahl ist nicht höher als die Zahl der thromboembolischen Ereignisse, die statistisch zufällig in der exponierten Bevölkerung auch ohne Impfung vorkommen würden.» Es gehe darum, diese Fälle der eher unerwarteten Sinusvenenthrombose zu klären. Noch gebe es gemäss den verfügbaren Informationen keinen Hinweis darauf, dass diese festgestellten Erkrankungen durch den Astrazeneca-Impfstoff verursacht worden seien.

Die EMA will nun prüfen, ob die Fälle in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung stehen. Wenn man Millionen Menschen impfe, sei es unausweichlich, dass man seltene oder ernsthafte Vorkommnisse von Erkrankungen habe, die nach der Impfung auftreten, sagte EMA-Chefin Elmer Cooke. Diese könnten auch durch Zufall auftreten. Deshalb brauche es eine wissenschaftliche Bewertung. Noch fehlten die Fakten für eine endgültige Beurteilung. Der Nutzen der Impfung überwiege aber die bekannten Risiken.

Deswegen nicht auf Impfungen verzichten

Das sieht Wolfgang Korte, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung und Chef des Zentrums für Labormedizin in St. Gallen, auch so. Die Gesellschaft beobachte die Situation sehr genau. «Diese Thrombosefälle müssen geklärt werden; zurzeit gibt es Überlegungen zu verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten und erste Untersuchungsergebnisse, die aber noch keine definitive Beurteilung zulassen», sagt Korte. Noch wisse man nicht, ob diese sehr seltenen Thrombosen wegen der Impfung oder einfach parallel dazu aufgetreten sind. Die Datenlage mit diesen extrem seltenen Komplikationen sei noch zu dünn, deshalb sollte man deswegen nun keinesfalls auf Impfungen verzichten.

Die Zulassung von Therapien und Impfungen ist immer eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Wo eine gewünschte Wirkung ist, kann auch eine Nebenwirkung sein. Thrombosen sind generell nicht selten und treten jährlich 1000- bis 3000-mal pro eine Million Menschen auf. Die Gründe sind verschieden, extrem selten auch als Nebenwirkung eines Medikaments. Grosse Schlagzeilen machte vor zwölf Jahren der tragische Fall der damals 16-jährigen Celine, die nach der Einnahme der Antibabypille «Yasmin» eine Lungenembolie erlitt und danach schwerbehindert war.

Trotz Thrombose-Risiko werden Antibabypillen häufig genutzt

Trotz dieses bekannten Risikos wird diese Antibabypille weiterhin sehr häufig eingenommen. «Ein Thrombose-Risiko ist bei hormonellen Therapien generell möglich. Insbesondere bei jenen, die direkt Östrogen zuführen oder einen Östrogen-Schub verursachen», sagt Korte. Das Risiko ist je nach Art der Antibabypille unterschiedlich. Möglich sind auch indirekte Thrombose-Risiken durch Interaktionen von Medikamenten. Bekannt ist die erhöhte Gefahr von Blutgerinnseln, wenn sich Menschen nicht bewegen können im Spitalbett oder auf einem Langstreckenflug. Man unterscheidet zwischen angeborenem Risiko und erworbenem – zum Beispiel durch das Rauchen oder Übergewicht. Eine Schwangerschaft erhöht das Thrombose-Risiko um bis zum Fünffachen.

«Der Körper richtet sich seit Urzeiten während der Schwangerschaft darauf ein, dass nach der Geburt so wenig Blut wie möglich verloren geht, das Blut also dicker wird», sagt Korte. Diese verstärkte Blutgerinnung baut der Körper während der Schwangerschaft auf, was bei einem zunehmenden sitzenden Lebensstil mit weniger Bewegung mit einem höheren Thromboserisiko einhergeht.

Die im Zusammenhang mit den ­Astrazeneca-Impfungen festgestellten Fälle von Sinusvenenthrombosen sind eher selten. Sie kündigen sich zum Beispiel im Gegensatz zu einer akuten Lungenembolie meistens an – häufig mit Unwohlsein und Kopfschmerzen. So bleibt in der Regel noch Zeit eine Untersuchung und Behandlung in die Wege zu leiten. Ein generelles Thrombose-Risiko sei bei einer Beurteilung immer zu berücksichtigen – deshalb auch nach Corona-Impfungen. Korte hält aber fest:

«Die nun berichtete Häufigkeit liegt aber um ein Vielfaches unter jener bei einer Covid-19-Erkrankung.»

Wer an Covid-19 erkrankt und deshalb ins Spital aufgenommen werden muss, bekommt in rund 10 Prozent der Erkrankungen eine Thrombose; Patienten, die wegen Covid-19 auf einer Intensivstation behandelt werden müssen in rund 30 Prozent.

Keine Zulassung in der Schweiz für diesen Impfstoff

Sobald die EMA die Sicherheit des Astrazeneca-Impfstoffs bestätigt, wollen die EU-Staaten die Impfung wieder freigeben. In der Schweiz hat der Impfstoff noch keine Zulassung der Swissmedic erhalten. 5,3 Millionen Dosen hat der Bund bestellt. Patrick Mathys vom BAG wollte nicht direkt auf die Vorgänge in Deutschland eingehen: «Swissmedic wird die neuen Erkenntnisse in die Überlegungen für die Zulassung miteinbeziehen.» Der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri erklärte, dass deswegen bereits Fragen aus der Bevölkerung an ihn herangetragen worden seien. Fragen der Angst müsse man ernst nehmen. Das Schweizer Impfziel sieht Hauri deswegen nicht in Gefahr.