
WM ohne Azzurri: «Nun ist die Absenz Italiens real – jetzt leide ich»
ZUR PERSON
Francesco Calarco (53) lebt in Oftringen. Er ist in der Schweiz aufgewachsen, seine Vorfahren stammen jedoch aus Apulien. Bis 2014 war er Kommunikationsverantwortlicher und Vorstandsmitglied des SC Zofingen
Herr Calarco, «Ihr» Italien ist an der Fussball-Weltmeisterschaft in Russland nicht dabei. Schauen Sie die Spiele trotzdem?
Francesco Calarco: Ja, ich schaue hin und wieder Spiele, einfach anders. Es ist dieses Jahr mehr eine Kopfsache.
Wie meinen Sie das?
Wenn Italien spielt, dann bin ich mit dem Herzen dabei. Dann geht dieses spezielle Gefühl vom Herzen in den Bauch und in den ganzen Körper. Man leidet mit. Dieses Jahr fehlt mir etwas. Italien ist für mich wie eine Ehefrau. Wenn ich mir jetzt ein Spiel anschaue, ist es, als würde ich mit irgendeiner Frau ausgehen.
Wie haben Sie im November reagiert, als sich Italien nicht für die WM qualifizieren konnte?
Ich habe das damals sachlich gesehen. Für mich war die Niederlage in der Barrage gegen Schweden eine Möglichkeit für einen Neuanfang. Aber nun ist die Absenz Italiens real und jetzt leide ich.
Müssen Sie als Italien-Fan während dieser Tage auch Häme und Spott einstecken?
Ja! Ich bekomme von meinen Freunden jeden Tag mindestens drei Whatsapp-Nachrichten mit Italien-Witzen zugeschickt.
Gibt es nun eine andere Mannschaft, der Sie bei dieser WM die Daumen drücken?
Ich unterstütze Argentinien. Im Klubfussball bin ich Fan von Juventus Turin. Und im argentinischen Kader sind mit Paulo Dybala und Gonzalo Higuaín zwei Juve-Spieler vertreten.
Und wie sieht es mit unserer Schweizer Nati aus?
Klar drücke ich der Schweiz die Daumen. Aber anders als andere Schweizer habe ich am Sonntagabend in der Nachspielzeit gegen Brasilien nicht mitgelitten. Mitleiden kann ich nur mit Italien. Man kann sich fragen, ob ich deswegen ein schlechter Schweizer bin. Aber ich kann das nun mal nicht steuern.
Wie sieht es in Ihrer italienischen Heimat Apulien aus? Verfolgt man dort die WM?
Kaum. Man trifft sich nicht in den Beizen, um gemeinsam die Spiele zu schauen und mitzufiebern. Wenn man mal ein Spiel schaut, dann weil man zufällig reinzappt. Die Einschaltquoten im italienischen Fernsehen sind während dieser WM miserabel. Aber im Sommer verbringt man in Italien die Tage sowieso draussen und nicht vor dem Fernseher.
Blicken wir in die Zukunft: Wird Italien in vier Jahren bereits wieder an der Weltspitze mitspielen?
Nein, dieser Neuanfang ist ein Prozess, welcher länger dauern wird. Das hat auch viel mit Politik zu tun. Wenn man keine neuen Stadien baut, schadet dies dem italienischen Fussball. Man muss auch sehen, dass es an den grossen Turnieren immer weniger «kleine Teams» gibt. Deutliche Favoritensiege gibt es immer seltener und die vermeintlichen Aussenseiter können oft gut mit den grossen Fussballnationen mithalten, wie wir es an dieser WM nun schon häufig gesehen haben. Dies erschwert Italien die Rückkehr an die Weltspitze.
Wer wird Weltmeister?
Ich tippe auf Spanien. Die meisten Spieler im spanischen Kader spielen bei Real Madrid oder dem FC Barcelona. Die Mannschaft ist deshalb nicht so zusammengewürfelt, wie einige andere. Ausserdem haben sie ihre interne Stimmungskrise wegen des Abgangs von Trainer Jolen Loptegui vor dem Turnier rechtzeitig überwunden. Bei Deutschland hingegen ist die Stimmung in der Mannschaft während des Turniers schlecht, was sich auf die Leistungen auswirkt.