Yanik Neff ist der Schneeglöckchen-Mann

Das Schmelzwasser tröpfelt vom Dach. Noch liegt Schnee neben der Haustür. Was für eine Wohltat, wenn man die ersten Schneeglöckchen entdeckt! Die zarte Blume mit dem leicht irisierenden Weiss ist ein Versprechen: Der Winter ist bald überstanden.

Strahlend weisse Schneeglöckchen bilden ganze Kolonien in Parks und Gärten. Jedes Kind kennt sie. Und die meisten glauben, dass es nur eine Art davon gebe, das allgegenwärtige Galanthus nivalis. Das dachte auch Yanik Neff – bis er eines Tages durch den Botanischen Garten in St. Gallen spazierte. Dabei fiel dem damals 19-Jährigen auf, dass es mehrere Arten gibt: Galanthus plicatus, Galanthus elwesii, Galanthus gracilis. «Zu Hause googelte ich – da ging für mich eine neue Welt auf.»

In ganz Europa, vor allem in England, Deutschland, Österreich, Holland und Belgien sind Gartenfreunde verrückt nach den zarten Eisbrechern. Es gibt einen Begriff dafür: Galanthomanie. Die Galanthophilen, wie man die Schneeglöckchenfans nennt, veranstalten Galas zu Ehren der weissen Pracht, mit Kunstausstellungen und Gebäck zum Thema. «Die meisten Sammler in England lassen niemanden in ihre Gärten, aus Angst, dass die Blumen gestohlen werden könnten», sagt Neff. In der Schweiz sei das Schneeglöckchenfieber noch weniger verbreitet.

«Viele Leute denken, je grösser und bunter eine Blume, desto schöner. Ich finde, dass auch kleine Blumen sehr speziell sein können, wenn man im Detail etwas entdecken kann.» Natürlich muss er sich manchmal Sprüche von Freunden anhören. «Aber es gefällt mir, ein aussergewöhnliches Hobby zu haben.» Auch in der modernen Wohnung von Neff im Dorf Wald in Appenzell Ausserrhoden dreht sich alles um die weissen Blumen, die zu den Amaryllisgewächsen zählen. Selbstgeschossene Schneeglöckchenfotos hängen über dem Cheminée, über dem Esstisch prangt ein Schneeglöckchenposter.

Bienen sind unerwünscht

Seit sieben Jahren sammelt Yanik Neff Schneeglöckchen. Schon über 300 Sorten spriessen in seinem Treibhaus, das er in Wald gemietet hat. «Jetzt blühen besonders viele», sagt der sportlich gekleidete 26-Jährige mit dem akkurat getrimmten Bärtchen und öffnet die Glastür zu seinen Blumen. Ein schneeweisses, zart duftendes Blütenmeer liegt einem zu Füssen. Es ist betörend. «Das sind die griechischen und türkischen Schneeglöckchen, sie blühen am frühsten», sagt der Landschaftsarchitekt. Manche sind wenige Zentimeter klein, andere erreichen Wuchshöhen von über 50 Zentimetern. Auch Bienen sind schon summend unterwegs – ungebetene Gäste. «Ich kreuze meine Blumen lieber selber», sagt der Züchter.

Neff dreht eine Blüte um, sodass man sieht, dass sie mit einer Rosette gefüllt ist – «eine Ballerina». Seine Lieblingsblume ist derzeit «Rosemary Burnham», die in seinem Garten besonders prächtig gedeiht: «Sie war das erste komplett grüne Schneeglöckchen. Mittlerweile gibt es grünere, doch so gut wächst kein anderes.» Anfängern empfiehlt er, mit einer grossen, robusten und wüchsigen Sorte wie «Sam Arnott» loszulegen.

Wer Schneeglöckchen sammelt, muss vor ihnen auf die Knie fallen. Die typischen Merkmale der Blüte lassen sich nur aus der Nähe erkennen. Immer wieder bückt sich Yanik Neff. Da sind Blütenkelche mit zarten grünen Streifen. Es gibt Schneeglöckchen mit einfachen und gefüllten Blüten, mit grünen Blütenblättern oder gelben Fruchtknoten. Sie tragen Namen wie Green Tear, Franz Josef, Lady Beatrix Stanley und Blonde Inge. Einige sind selten und teuer: Das goldgelbe Golden Fleece erzielte an einer englischen Auktion über 1700 Franken.

Entdeckung auf dem Friedhof

Wie viele Galanthus-Arten tatsächlich existieren, darüber streiten sich Botaniker: sind es 20 oder weniger? Tatsache ist, dass es von einigen Arten eine kaum überschaubare Anzahl von Sorten gibt und dass sie sich in der freien Natur manchmal auch kreuzen. Auch bei seiner Arbeit hält Landschaftsarchitekt Yanik Neff stets die Augen offen nach speziellen Schneeglöckchen. So hat er auf einem Friedhof in St. Gallen schon ein Exemplar mit besonderen Mutationen erspäht, oder auch bei einem Einkauf in der Landi.

Neff sichtet Schneeglöckchen mit besonderen Zeichnungen auf den Blütenblättern und kreuzt sie. Eines hat er «Paul Schöb» genannt – zu Ehren seines Grossvaters, dem er als Kind gern im Schrebergarten half. Einen grünen Daumen hatte Neff schon früh: «Mit neun begann ich, Bonsais zu züchten.» Später kamen tropische Orchideen dazu. Seine Orchideensammlung will er nun aber verkaufen. Sie blühen allzu selten und benötigen Licht- und Bewässerungssysteme, die ins Geld gehen. Schneeglöckchen seien unkomplizierter und pflegeleichter – und doch so speziell, dass alle verwundert reagieren, wenn er von ihnen erzählt. Sie blühen, verblühen und kommen im nächsten Jahr wieder. Auch wenn die Glöckchen auf den ersten Blick zart aussehen, sind sie hart im Nehmen. Schnee und Kälte machen vielen Sorten nichts aus.

Die Sorten, die das Sammlerherz höherschlagen lassen, sind teuer und rar. «Zu den seltenen Pflanzen kommt man nur durch die richtigen Kontakte.» Es gebe eine «Community mit angefressenen Leuten». Die meisten gärtnern aber im Verborgenen. Man müsse sich ein Netz aufbauen. Darum betreibt Yanik Neff seine Website swiss-drops.ch, auf der er jedes Schneeglöckchen liebevoll porträtiert. «Ich gebe Informationen preis – dadurch kommen viele Sammler auf mich zu.» Neff wurde sogar schon in einem Hotel in Norddeutschland angesprochen: «Sind Sie der Mann von der Schneeglöckchen-Website?» Online betreibt Neff auch einen Schneeglöckchen-Shop, um die eigene Sammlung zu finanzieren.

Der verstorbene Günter Waldorf war Wegbereiter für die Galanthomanie in Deutschland. Der Züchter veranstaltete Schneeglöckchentage, die Sammler von weit her anzogen. Darum zieht es Neff immer wieder nach Deutschland. Der junge Blumenfreund ist ein Exot in der Szene, «die meisten Sammler sind über 50; darunter auffallend viele aus der Finanzbranche.» Mit ein paar Galanthophilen hat er sich angefreundet, darunter mit einem Holländer und zwei Belgiern. Mit ihnen fliegt er nächsten November auf eine griechische Insel – eine Schneeglöckchenreise.

Seine Freundin Sereina, die mit ihm zusammen wohnt, treibt lieber Sport, als zu gärtnern. Aber sie hat Verständnis für seine Passion: «Ich finde es megacool und stehe voll hinter Yanik», sagt die Sportartikelverkäuferin. «Bei diesem Hobby kommt man mit der Natur in Verbindung», sagt sie, die ihn auf seinen Schneeglöckchen-Expeditionen begleitet. Denn Yanik Neff schreibt gerade ein Buch über die letzten wilden Schneeglöckchen der Schweiz und sucht ihre Standorte auf. Sie seien extrem selten. Neff will im Buch die gängige Annahme widerlegen, dass wilde Schneeglöckchen überall in der Schweiz wachsen. Er glaubt, dass diese fast alle auf den Menschen zurückgehen. Es seien verwilderte Blumen, die es schattig und feucht mögen. «Die echten wilden Schneeglöckchen sind thermophil. Sie mögen warme, sommertrockene Standorte in Laubwäldern. Allzu trocken darf es aber dann auch nicht sein, das ist entscheidend.» Sie wachsen nicht in Gruppen und würden niemals auf einer Wiese und in einem Fichtenwald gedeihen – da wäre der Boden höchst unpassend. «Optisch sehen die wilden Pflanzen praktisch gleich aus wie die verwilderten, aber in der DNA unterscheiden sie sich.»

Im Juragebirge in den Kantonen Aargau, Solothurn, Baselland und Zürich vermutet Neff die letzten wilden Schneeglöckchen der Schweiz. «Das ist noch nicht gänzlich erforscht.» Mit detektivischem Spürsinn studiert er botanische und geologische Zusammenhänge. Und was macht er Ende Mai, wenn die allerletzten Frühlingsboten in seinem Garten verblüht sind? «Es gibt immer etwas zu tun», sagt Neff. Dann arbeitet er an der Homepage, an Vorträgen, seinem Buchprojekt oder versendet einige seiner Kostbarkeiten an Schneeglöckchenfreunde.