
«You can say you to me»
Mit meiner Coiffeuse Sindy, einer dunkelhäutigen Ostschweizerin, bin ich seit dem ersten Termin vor drei Jahren per Du. Dass man in einem Friseursalon die Kunden duzt, wenn sie ungefähr gleich alt wie die Angestellten sind, ist legitim. Sowieso habe ich den Eindruck, dass immer mehr Unternehmen mit einer jüngeren Zielgruppe bei der Kundenansprache konsequent auf das Du setzen. Umso irritierter war ich, als ich zum ersten Mal bei meiner Coiffeuse auf dem Stuhl sass und diese zur kaum volljährigen Lehrtochter sagte: «Frau Ristic, können Sie mir noch einen Föhn aus dem Schrank holen?»
Wie bitte? Mit den Kunden ist man sofort per Du, während die Lehrtochter, mit der man jeden Tag zusammenarbeitet, in der Höflichkeitsform angesprochen wird? Was, wenn die Lehrtochter vor ihrer Ausbildung schon Kundin des Salons war? Muss sie die Kollegen dann plötzlich wieder siezen? So ähnlich ist es mir bei der Verteidigung meiner Bachelorarbeit an der Fachhochschule ergangen. Der Dozent, welcher meine Arbeit betreute und mir bei der zweiten Sitzung das Du angeboten hatte, kam kurz vorher auf mich zu: «Du kannst gerne schon in den Raum gehen. Und übrigens: Während der Präsentation sind wir dann per Sie.» Ich überlegte mir dann, ob Autorität so sehr vom «Sie» abhängig ist und ob Völker, in deren Sprachen keine Höflichkeitsform existiert, deswegen einen weniger höflichen Umgang pflegen. Ich gehe nicht davon aus und plädiere dafür, uns vermehrt ein Beispiel an Helmut Kohl zu nehmen, welcher damals Ronald Reagan das grosszügige Angebot gemacht haben soll: «You can say you to me.»