Zehn Brutpaare in Brittnau: Das Storchendorf macht seinem Namen alle Ehre

Er ist ein genauer Beobachter, der Brittnauer «Storchenvater» Peter Hartmann. Am 16. Februar hat er die ersten Störche gesichtet. «Sie sind extrem früh aus ihrem Winterquartier zurückgekommen», stellt er fest. Wahrscheinlich seien sie von den warmen Temperaturen angelockt worden, sicher sei das aber nicht. «Die Zugvögel folgen ihrem Instinkt, er gibt ihnen vor, wann der richtige Zeitpunkt zum Abflug gekommen ist», sagt er.

Viel Flugverkehr am Brittnauer Himmel

Fast pausenlos lassen sich am Brittnauer Himmel Flugbewegungen beobachten. «Es sind sehr viele Störche hier», betont Hartmann, zehn Brutpaare hat er in Brittnau, drei weitere in Zofingen gezählt. Eigentliches «Storchenzentrum» ist der Raum rund um das Schulhaus, wo sieben Paare nisten. Ein Storchenpaar belegt das Nest auf der Kirche, zwei weitere finden sich im Graben. «Es muss den Störchen gefallen und vor allem muss das Futterangebot ausreichend sein, sonst wären sie nicht hier», betont der 72-jährige Storchenbetreuer, der sich seit 1987 um das Wohl der Weissstörche kümmert.

Weissstörche errichten ihren Horst auf hohen freistehenden Gebäuden, Masten oder hohen Bäumen. Ein Gelege umfasst meist 3 bis 5 Eier, Brutbeginn ist meist im April, wobei die Bebrütung durch beide Elternteile erfolgt. Bei 13 Brutpaaren in der Region darf man also auf viel Nachwuchs hoffen? «Das kann man nicht vorhersagen», betont Peter Hartmann, «das ist stark wetterabhängig.» Jungstörche würden häufig eine Lungenentzündung einfangen, wenn es gleichzeitig kalt und nass sei. Bei trockenem und warmem Wetter könnten sie am besten gedeihen.

Rund zwei Monate dauert die Nestlingszeit. Ein Jungstorch wiegt beim Schlüpfen etwa 70 Gramm und nimmt täglich rund 60 Gramm an Gewicht zu. Gefüttert werden die Jungtiere durch beide Elternteile. Ein Altvogel bleibt während der Nestlingszeit stets auf dem Horst, um die Jungtiere zu bewachen sowie vor Regen und Sonne zu schützen.

Ende August gehts wieder Richtung Süden

Nach acht bis neun Wochen sind die Jungtiere flügge – etwa Anfang Juli wird man sie in der Region Brittnau erstmals in der Luft beobachten können. Etwa Ende August begeben sich die Weissstörche dann wieder auf ihre grosse Reise Richtung Süden. «Rund einen Monat kann ihre Reise je nach Thermik dauern», sagt Peter Hartmann. Nicht alle Störche machen aber die Reise mit. «Vielleicht sind es die Schlaueren, welche hierbleiben», sagt Peter Hartmann lachend, bevor er präzisiert: «Wahrscheinlich haben diese älteren Störche bemerkt, dass sie hier ein genügend grosses Futterangebot haben.» Und sie würden im Winter auch nicht so viel Energie verbrennen.

Wiederansiedlung klappte im dritten Anlauf

Aus dem schweizerischen Mittelland war der Weissstorch 1950 vollständig verschwunden, weil immer mehr Flüsse und Bäche verbaut und Feuchtgebiete trockengelegt wurden. Zur gleichen Zeit starteten Versuche, den Storch wieder in der Schweiz anzusiedeln, ausgehend von der Storchensiedlung Altreu mit Pionier und Storchenvater Max Bloesch. Auch im Storchendorf Brittnau gab es 1960 ein erstes Projekt. «Man versuchte, vier Jungstörche aus Algerien auf der alten Turnhalle anzusiedeln», weiss Peter Hartmann. Der Versuch misslang, ein zweiter im Folgejahr ebenso.

Erst der dritte Versuch 1967 zeitigte Erfolg, indem man die Jungstörche in einem eigens erstellten Gehege aufzog und nach Erlangung der Brutreife freiliess. «Diese Störche kehrten immer wieder nach Brittnau zurück», sagt Hartmann. 1972 wurde das Gehege in den Graben verlegt, ab 1997 wurden die Störche nicht mehr gefüttert. Ein Umdenken hatte eingesetzt: Nicht mehr Zucht und Auswilderung sollten im Mittelpunkt stehen, sondern die Aufwertung des Lebensraums. Der Storch war wieder zum frei lebenden Wildtier geworden. «Ich war einer der ersten Storchenbetreuer in der Schweiz, der mit der Fütterung aufgehört hatte», blickt Peter Hartmann nicht ohne Stolz zurück. 2004 wurde das Gehege im Graben abgerissen – die Störche sind geblieben und gehören wieder zum Ortsbild von Brittnau.

Der Storch, der danke sagte

Ein kleines Gehege gibt es nach wie vor in Brittnau. «Ich habe eine Voliere zu Hause, die ich gelegentlich brauche, um kranke Tiere zu pflegen», sagt Peter Hartmann. «Da gibt es viele schöne Erinnerungen und Geschichten», sagt der Brittnauer Storchenbetreuer. Die vielleicht berührendste lässt er sich ganz zum Schluss des Gesprächs entlocken.

Er habe einst einen Storch «aufgepäppelt». «Als ich ihn freilassen konnte, wollte er partout nicht abfliegen», erzählt Peter Hartmann. Ein paar Tage später habe er es nochmals probiert. «Nach längerem Zögern ist der Storch dann weggeflogen, kurz darauf kehrte er wieder zurück, drehte drei oder vier Runden über meinem Haus – wie wenn er sich nochmals für die Pflege bedanken und verabschieden möchte.» Dann habe er Brittnau endgültig Richtung Süden verlassen.