
Zertifikatspflicht für Restaurants? Anzeichen dafür verdichten sich – Bundesrat stellt Weichen
Das Risiko, dass die Spitäler in wenigen Wochen an den Anschlag kommen? Bedeutend, schon in vier bis sechs Wochen könnte es so weit sein. Die aktuelle Quote von knapp 51 Prozent doppelt geimpften Personen? Zu tief, um eine neue Welle an Corona-Infektionen zu verhindern. Die grundsätzliche Lage? Angespannt. So beschrieb Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit am Dienstag das Geschehen an der Coronafront. Man könne die Situation als vierte Welle bezeichnen.
Sorgen bereitet den Seuchenbekämpfern des Bundes die steigende Zahl der Spitaleinweisungen. Etwa 150 Coronapatienten benötigen Intensivpflege. Der Reproduktionswert R beträgt 1,22. Das bedeutet, dass zehn infizierte Personen zwölf weitere anstecken – und sich das Infektionsgeschehen beschleunigt.
Frustration beim Gesundheitspersonal
Unerfreulich auch: Mit der Delta-Variante landen Personen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auf der Intensivstation, wie Urs Karrer, Vizepräsident der Covid-19-Taskforce und Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital Winterthur, ausführte. Es mache hellhörig, wenn auch 20- bis 30-Jährige ohne Vorerkrankung einen schweren Krankheitsverlauf hätten.
Karrer berichtete von gewissen Frustrationen beim Gesundheitspersonal, da neun von zehn Covid-19-Patienten ungeimpft seien. «Klatschen ist gut, impfen ist besser», sagte er – und präsentierte eine interessante Auswertung von Spitälern. 40 Prozent der Hospitalisierten geben eine Reise als Ansteckungsort an. Bei diesen 40 Prozent wiederum handelt es sich zu 80 Prozent um Personen aus Südosteuropa.

Hoher Anteil bei den Spitaleinweisungen: Ungeimpfte Reiserückkehrer.
Mit anderen Worten: Ungeimpfte Ferienrückkehrer aus dem Balkan füllen die Spitäler. Im aktuellen wissenschaftlichen Briefing präzisiert die Covid-19-Taskforce, dass diese Personen vor allem aus dem Kosovo und Nord-Mazedonien stammten. Es ist nicht auszuschliessen, dass der Bundesrat im Hinblick auf die Herbstferien wieder die Einreisequarantäne einführen wird.
Oberster Kantonsarzt will Meinungsmacher als Impfmotivatoren einspannen
Doch weshalb schreitet die Impfkampagne bei einem Teil der Migranten offenbar nur schleppend voran? Die «NZZ am Sonntag», die in ihrer jüngsten Ausgabe über dieses Phänomen berichtete, schrieb, es handle sich oft um schlecht qualifizierte und schlecht informierte Personen, die neben der Arbeit keine Energie hätten, sich noch um eine Impfung zu kümmern. Mathys nannte Sprachbarrieren als einen möglichen Grund. Das Bundesamt für Gesundheit versuche seit längerem, diese Bevölkerungsgruppe zu erreichen.
Mit dem Verteilen von Flyern erziele man nicht genügend Fortschritte, sagte Rudolf Hauri, Präsident der Vereinigung der Schweizer Kantonsärzte. Man müsse an die Meinungsmacher innerhalb der Migrantengruppen gelangen. Die Kantone und Gemeinden versuchten dies, ganz so einfach sei das aber nicht.
Kommt bald die Zertifikatspflicht für Restaurants?
Mit dem Ferienende entschärft sich zwar das Problem der Coronavirus verbreitenden Ferienrückkehrer. Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit gab aber zu bedenken, dass die Rückkehr in die Betriebe, der Schulanfang und das intensivere Vereinsleben die Pandemie befeuern könnten.
Durch die sich zuspitzende Lage wird die Rückkehr zur Normalität, die der Bundesrat noch vor zwei Wochen ausrief, immer fragiler. Noch damals taxierte Gesundheitsminister Alain Berset die Forderung, die Zertifikatspflicht (geimpft, genesen, getestet) von Grossveranstaltungen auch auf den Besuch von Restaurants, Kinos und Fitnesscentern auszuweiten, als «bizarr». Noch vor einer Woche schien die erweiterte Zertifikatspflicht gemäss Recherchen von CH Media auch im Gesamtbundesrat nicht mehrheitsfähig. An seiner Sitzung vom Mittwoch dürfte er zwar keine Ausdehnung beschliessen, aber einen entsprechenden Vorschlag den Kantonen zur Konsultation geben.
Der St. Galler Gesundheitsdirektor Bruno Damann würde diese Massnahme begrüssen, wie er auf Anfrage sagt. «Hält die Dynamik an, dann ist die Ausweitung der Zertifikatspflicht naheliegend», sagt auch Tobias Bär, Sprecher der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK). Die Entwicklung sei besorgniserregend; allfällige Massnahmen müssten auf jeden Fall ergriffen werden, bevor die Spitalkapazitäten ausgeschöpft seien.
Die Kantone könnten in Eigenregie die Zertifikatspflicht erweitern, die GDK plädiert aber für eine bundesweite Lösung: «In der gegenwärtigen Situation mit einer schweizweit ungünstigen Entwicklung sind kantonal unterschiedliche Regelungen wenig zielführend.» Nicht alle Kantone drängen allerdings auf eine Verschärfung bei den Zertifikatsregeln: «Die Anstrengungen für die Eindämmung der Pandemie liegen auf einer hohem Impfquote», sagt etwa der Berner Gesundheitsdirektor Pierre-Alain Schnegg.
Rudolf Hauri begrüsst als oberster Kantonsarzt die Diskussion um die Ausweitung des Covid-Zertifikats. «Ich könnte mir das durchaus vorstellen», sagt Hauri an der Pressekonferenz. Die Taskforce fordere das nicht, sagte Urs Karrer, der Entscheid liege bei der Politik. Karrer hält es aber für eine denkbare Option, um eine Bremswirkung zu erzielen.
Impfung für alle Jugendlichen ab 12 Jahren empfohlen
Das Bundesamt für Gesundheit und die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) empfehlen derweil neu allen Jugendlichen ab 12 Jahren eine Impfung mit den Vakzinen von Pfizer/Biontech und Moderna. «Diese Anpassung erfolgt aufgrund der epidemiologischen Lage und der jetzt verfügbaren Daten», sagte EKIF-Präsident Christoph Berger. Es gehe auch darum, den Jugendlichen durch das Verhindern von Ansteckungen Quarantäne und Isolation zu ersparen.