
Zofinger Hausberg verwandelt sich in Hexenkessel
Es gibt sie auch dieses Jahr, diese magischen Heitere-Momente, bei denen man beinahe nichts erwartend vor eine Bühne steht und dann positiv überrascht wird. So dürfte es einigen bei Šuma Čovjek ergangen sein. Der Bandname ist kroatisch und bedeutet «Waldmensch». Die zehnköpfige Gruppe mit Wurzeln aus Algerien, Bosnien und der Schweiz war wohl die vielfältigste Band am diesjährigen Heitere Open Air. Ihr Repertoire reicht vom französischen Chanson über die algerische Ballade bis zum deutschen Rap. Die Texte sind gesellschaftskritisch. Das Publikum war für Nachmittagsverhältnisse schon bestens in Stimmung und die Band sorgte für erste Gänsehaumomente. Der Sänger genoss es offensichtlich auch, denn er nahm ein Bad in der Menge. Das war genial, ihr Waldmenschen!
Danach brachten The Gardener & The Tree die Lindenbühne zum Beben. Obwohl die Schattenplätze abseits der Bühne heiss begehrt waren, wagten sich viele bis an die vorderste Front und wippten schon bald im Takt. Die Schaffhauser Indie-Folk-Band gab Vollgas. Sänger Manuel Felder animierte zum Mitmachen. So sang das Publikum beim Lied «Waterfall» begeistert mit. Die Band präsentierte sich publikumsnah, bedankte sich nach jedem einzelnen Song für den wohlverdienten Applaus. Bevor die Töne von «Mama’s Guitar», dem angekündigten letzten Song, ertönten, gab es bereits Zugabe-Rufe. Nach einem kurzen Songtext-Briefing, «la-la-la», rockten The Gardener & The Tree nochmals die Bühne und wurden dabei tatkräftig vom Publikum unterstützt.
Hatte man bei Šuma Čovjek noch das Gefühl, Publikum und Band würden ineinander verschmelzen, war später beim Züridüütsch-Rapper Stereo Luchs leider keine wirkliche Verbindung spürbar. Erst beim allerletzten Song kam etwas Stimmung auf, als er die Menge, welche er konsequent «Heitere-Crew» nannte, zum Mitsingen aufforderte. Dies hätte er schon früher tun sollen. Man hatte über weite Strecken das Gefühl, der Rapper befände sich während des Auftritts in einer eigenen Welt und würde ohne grosse Rücksicht auf das Publikum sein Programm durchziehen. Begleitet wurde Stereo Luchs von der Basler Reggae-Formation The Scrucialists, welche ihren Job sehr überzeugend machte. Doch auch zwischen dem Rapper und seiner Band bestand nicht wirklich eine Verbindung. Gemütlicher Reggae und einen Wortschwall im Zürcher Dialekt zu verbinden, ist halt schwierig.
Umso publikumsnaher gab sich dafür Bausa. Zum Soundtrack von «Star Wars» betrat er die Bühne und heizte gleich so richtig ein. «Zofingen, was geht ab?», wurde quasi zum Catchphrase. In den ersten Reihen verteilte der Rapper Bier und liess das Publikum mitsingen, mitklatschen und vor allem springen. Hits wie «Casanova», «Was du Liebe nennst» und «Baron» brachten die Menge nicht nur zum Toben, auch die Lyrics sassen einwandfrei. Kein Wunder spielte Bausa diese Songs gleich zwei Mal. Das Publikum wollte mehr und es bekam auch mehr. Zwei Zugaben spielte Bausa. Bei seinem letzten Song stieg er zu seinen Fans hinab und sang mit ihnen, bis die letzten Töne verstummten.
Raye hätte letztes Jahr schon auf dem Heitern auftreten sollen, musste aber wegen Krankheit absagen. Für sie war dann Manillio am Sonntagnachmittag eingesprungen. Heuer hat es geklappt und die Londonerin stand gesund und munter auf der Parkbühne. Zum Glück, denn sie ist eine der wenigen weiblichen Interpreten im Programm. Mit einem strahlenden Lächeln stellte sich Raye mehrmals vor, da immer mehr Menschen im Laufe des Konzerts dazu kamen. Fröhlich tanzte sie zu ihren Songs, die sich irgendwo zwischen Soul, R’n’B und Pop bewegen, dabei aber in den meisten Fällen auch im Club funktionieren würden.
Bei Wincent Weiss war Kreischalarm angesagt. Dem jungen Sänger flogen die Herzen nur so zu. Je näher der 24-Jährige den Fans kam, umso lauter wurde das Gekreische. Bei einigen flossen vor Glück gar die Tränen. Und die Heitere-Besucher, die dem Schwiegermutter-Traum vor dem Konzert eher skeptisch gegenüber standen, wurden eines Besseren belehrt. Weiss besticht nicht nur mit seiner bodenständigen Art und seinem Humor. Stimmlich überzeugte er auf ganzer Linie. Er schlug mal sanfte Töne an, sang von Herzschmerz und Liebe, mal gab er Vollgas. Die Bestnote gibt es auch für die beiden Medleys aus deutschen Pop-Titeln, die er mit seiner Band zum Besten gab. Zu hören waren darunter «Palmen aus Plastik» (Bonez MC & RAF Camora), «Chöre» (Mark Forster), «Das Leichteste der Welt» (Silbermond) und «Ahnma» (Beginner feat. Gzuz & Gentleman). Pflichtprogramm waren seine eigenen Hits «An Wunder», «Musik sein» und «Feuerwerk». Apropos: Untermalt wurde seine Show mit Pyro-Effekten, Ballons und Papierschnipseln, die auf das Publikum niederfielen. Wincent Weiss meinte zur Show: «Fett!». Genau so wars.
Wer danach zu Trauffer in die erste Reihe wollte, hatte keine Chance, die war nämlich schon voll besetzt. Genauso wie die zweite, dritte und noch viele mehr. Der Sänger war freudig überrascht. Er habe sich am Nachmittag die anderen Bands angehört, «eine urbaner als die andere», und habe etwas Angst bekommen, ob er hier gefragt sei. «Aber jetzt weiss ich: Ihr seid genau wie wir – ihr wollt einfach eine gute Zeit haben». Damit waren die Heitere-Besucher ganz einverstanden und setzten dies auch gleich in die Tat um. Sie sangen lauthals mit, ob «Heiterefahne», «Frölein Marty» oder auch «Schacher Seppli». Sie schunkelten, hüpften und tanzten und genossen das Konzert ebenso wie der Alpentainer selbst.
Macklemore ist ein Entertainer durch und durch. Er ist verrückt, witzig und hat seinen ganz eigenen Style, was seine Garderobe betrifft. Das zeigte er auch am Heitere. Mal mit Fransen-Lederjacke, mal mit orangem Zylinder, mal mit glitzerndem Silberumhang und Langhaarperücke, aber immer in Stoffhosen, weissen Tennis-Socken und karierten Vans. Trotz der tanzbaren Beats und der Partystimmung auf dem Zofinger Hausberg – der Hexenkessel kochte regelrecht über – darf nicht vergessen werden: Macklemore thematisiert in seinen Songs sozialkritische Punkte. Er spricht sich für die Gleichberechtigung aller Menschen auf der Erde aus.
Es sei egal, welche Hautfarbe jemand habe, was im Pass stehe, welche sexuelle Orientierung er habe oder welche Toilette er benutze: in seiner Show seien alle willkommen. Das Publikum war eine Einheit, wie aus einer Kehle wurden die Lieder mitgesungen. Den Hit «Thriftshop» brachte Macklemore schon relativ früh in seinem Set. Nicht fehlen durften auch «These Days», «Glorious» und «Can’t Hold Us». Bei «Dance Off» holte er gar zwei Fans auf die Bühne, die gegeneinander tanzen durften. Energiebündel Macklemore hüpfte, tanzte, kickte und rappte, was das Zeug hielt – und der Heitern bebte. (twa/rsw/lej/mec)