
Zu viel Vorsicht oder zu wenig Nachsicht? – MIT AUDIO
Michael Wyss: Diese Woche könnte eine wichtige werden für alle Sportlerinnen, Sportler, Sportvereine und Fans. Der Bundesrat soll informieren, dass die Vorsichtsmassnahmen im Sportbereich weiter gelockert werden. Wie weit? Das ist noch unklar, aber jeder weitere Schritt Richtung Normalität ist ein guter.
Pascal Kamber: Ich kann alle verstehen, die ihren Alltag aus der «Vor-Corona-Zeit» herbeisehnen. Nur bin ich mir nicht so sicher, ob weitere Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt Sinn machen. Das Virus ist nicht einfach so von diesem Planeten verschwunden, selbst wenn die Fallzahlen seit Tagen sinken. Die Gefahr, dass wir uns zu früh wieder annähern und dadurch eine zweite Ansteckungswelle auslösen, ist aus meiner Sicht nach wie vor vorhanden. Deshalb würde ich es begrüssen, wenn wir uns weiterhin gedulden und auf soziale Distanz gehen. Wir haben mehr als zwei Monate durchgehalten, da kommt es doch auf die eine oder andere zusätzliche Woche nicht an. Ich beisse lieber durch und freue mich auf den Moment, wenn wir wirklich nichts mehr zu befürchten haben.
mwy: Diese Ansicht kann ich nachvollziehen, ich habe aber meine Mühe mit Halbherzigkeiten. In einem Lebensbereich achten wir auf alles bis ins kleinste Detail, in einem anderen scheint es keine Ansteckunsgefahr zu geben. Ich bin weder Mediziner noch Virologe, aber mein gesunder Menschenverstand bringt die unterschiedlichen Massnahmen für die verschiedenen Tätigkeiten und Orte nicht zusammen. Deshalb – und weil es die Fallzahlen erlauben – ist für mich klar, dass wir uns wieder Richtung Mannschaftstraining und Sportanlässe mit Zuschauern bewegen müssen.
pka: Die unterschiedliche Auslegung der Massnahmen ist tatsächlich verwirrend – und manchmal auch fragwürdig. Ich möchte aber nicht tauschen mit dem Bundesrat oder den verantwortlichen Personen des Bundesamtes für Gesundheit, die in dieser Krise den Überblick behalten, Vor- und Nachteile sowie Auswirkungen ihrer Entscheide berücksichtigen müssen. Ausserdem befürchte ich, dass sich die Menschen bei weiteren Lockerungen nicht mehr gross an die letzten, verbliebenen Regeln halten werden, sofern es denn noch welche geben sollte. Man denke dabei an die Bilder von letzter Woche vom Mythen, der von Wanderern schier überrannt wurde, oder von der proppenvollen Steinengasse in Basel.
mwy: Siehst du, und schon sind wir dem eigentlichen Problem auf der Spur: Der Mensch scheint auch in oder nach der Krise sehr schnell zu vergessen. Einen halben Tag, nachdem die ersten Lockerungen in Kraft getreten sind, war von Vorsicht oder Rücksichtnahme schon praktisch nichts mehr zu sehen. Wenn sich also sowieso niemand mehr gross Mühe macht, weshalb sollen wir dann die Sportlerinnen und Sportler extra scharf beobachten? Sport ist – meist – gesund und macht damit erst noch die Abwehrkräfte stärker.
pka: Und weshalb sollen wir dann überhaupt Massnahmen während einer Krise ergreifen? Entweder machen wir es richtig oder lassen es sein. Dann kann jeder machen, was er will. Es soll sich im Notfall aber niemand beklagen, dass unser Gesundheitssystem überlastet ist oder die Regierung sich nicht um unser Wohlbefinden kümmert. Ich hätte keine Probleme damit, wenn meine Geduld weiter auf die Probe gestellt werden sollte. Denn ich habe schlicht keine Lust darauf, in ein paar Wochen wieder mit dem ganzen Theater von vorne zu beginnen.