Zum Palmsonntag: Ein Wunder zeigt sich nicht nur in den Momenten des Triumphs

Claudia Steinemann, Pfarrerin der ref. Kirche Kölliken (zvg)
Claudia Steinemann, Pfarrerin der ref. Kirche Kölliken (zvg)

Was soll ich Ihnen noch Neues erzählen über Palmsonntag? Jedes Jahr schreiben Pfarrpersonen zu kirchlichen Festtagen einen Beitrag und ich bin deshalb überzeugt: Ich werde das Rad dieses Jahr bestimmt nicht neu erfinden. Was ich heute aber tun möchte, ist, Ihnen zu sagen, was mir der Palmsonntag persönlich bedeutet.

Was ist der Palmsonntag? An Palmsonntag erzählen wir uns die Geschichte, wie Jesus vor seiner Gefangennahme und Kreuzigung in Jerusalem einreitet. Er setzt sich auf einen Esel und die Menschen, die ihn jubelnd empfangen, breiten ihre Kleider als Teppich auf der Strasse vor ihm aus wie einen roten Teppich. Ich stelle mir vor, wie diese Geschichte für eine nicht eingeweihte Leserin klingt. Dass jemand triumphierend in eine Stadt einzieht, ist durchaus verständlich. Aber das mit dem Esel, das mit dem König und das mit den Kleidern auf dem Boden erscheint reichlich seltsam.

Folgende Fragen sind mir wichtig: Was bedeutet der Palmsonntag für meinen Glauben? Wieso soll ich als Christin im Jahr 2021 Palmsonntag feiern? Klar, es gibt die Antwort: «Das ist halt Tradition.» Für mich und viele Menschen meiner Generation ist dies allein aber kein Argument mehr. Wir suchen nach der tieferen Bedeutung, nach dem Sinn für unser Leben. Wir möchten einen Anknüpfungspunkt finden, sonst lassen wir es lieber sein.

Die Geschichte von Palmsonntag, wie sie im Lukasevangelium erzählt wird (Lukasevangelium 19,28-40), beeindruckt mich besonders. Das hat drei Gründe. Der erste Grund ist die Begeisterung der Menschen um Jesus herum. Sie feiern Jesus, sie rollen ihm gewissermassen den roten Teppich aus, weil sie Wunder erlebt haben, die sie in Begeisterung versetzt haben. Mit diesen Wundern hat Jesus sie nachhaltig beeindruckt. Der zweite Grund ist dieses Bild des Königs, der auf einem Eselchen reitet. Stellen Sie sich jemanden vor, der mit ganz vielen Gaben und Talenten gesegnet ist und diese Talente nun nicht dafür einsetzt, um möglichst reich zu werden, sondern der diese Talente für seine Mitmenschen einsetzt. Und das nicht nur so ein kleines bisschen, indem er was spendet oder eine Stiftung in seinem Namen einrichtet oder jedes Mal CO2-Kompensation bezahlt, wenn er einen Flieger besteigt. Ich rede von einem kompromisslosen Einsatz für andere Menschen.

So ähnlich und doch ganz anders ist es mit Gott. Ich habe vorher geschrieben, dass die Menschen jubeln, weil sie Wunder miterlebt haben und von diesem Jesus und seiner Tatkraft beeindruckt sind. Sie haben in diesen Wundern Gottes Glanz, seine Macht erlebt. Was aber nun geschehen wird, hat zumindest auf den ersten Blick nicht gerade viel mit Macht oder mit Glanz zu tun. Jesus stirbt am Kreuz einen gewaltvollen Tod. Er kommt zunächst nicht mit dem Leben davon und Gott setzt nicht seine Macht ein, um diesen Tod zu verhindern. Die meisten Menschen werden sich von ihm abwenden. Sie sind vielleicht enttäuscht, dass Gott nun nicht in einem erneuten Wunder seine Macht beweist, so wie sie das erwartet haben, sondern dass Gott schwach wird, sich gefangennehmen lässt und stirbt.

Ein Wunder zeigt sich aber nicht nur in den Momenten des Triumphs, wo sich Kraft und Macht zeigen, sondern in der vermeintlichen Schwäche. Darum geht es an Palmsonntag. Und so ist für mich das Wunder ein anderes: Gottes Sohn sitzt wie ein normaler Mensch auf einem Eselchen und nicht auf dem hohen Ross. Und er wird wie ein Mensch sterben. Er wird all das durchmachen, was Menschen durchmachen. Gott erlebt das Äusserste und er weiss, was es heisst, Mensch zu sein. Er weiss, was es heisst, verlassen zu sein, Schmerzen zu haben, nicht mehr weiterzuwissen. Und er will das so. Er setzt sich kompromisslos bis zum Letzten ein für uns Menschen. Das erscheint vielleicht nicht glanzvoll oder grossartig, aber diesen Gott feiere ich, weil es ein Gott ist, den ich verstehen kann und der mich versteht. Das dritte, was mich an dieser Geschichte bewegt, ist der Satz, den Jesus am Schluss sagt: «Ich sage euch, wenn sie schweigen, dann werden die Steine schreien!» Ich staune gerade als relativ junge Christin immer wieder, dass Menschen über meinen Glauben an Jesus Christus verwundert sind. Immer wieder erlebe ich, dass ich mich, beziehungsweise meinen Glauben, erklären und verteidigen muss. Ich mache das eigentlich nicht gerne, weil ich immer das Gefühl habe, in der Defensive sein zu müssen. Aber es ist meine Aufgabe, nicht zu schweigen, sondern davon zu erzählen, was mich bewegt und was mir so viel Hoffnung gibt im Leben.

Was gibt mir nun also Hoffnung und was bedeutet mir der Palmsonntag persönlich? Ich finde, dass ich durch diese Geschichte eine klitzekleine Ahnung erhalte, wie Gott sein könnte. Es ist ein Gott, der Wunderbares vollbringt. Es ist aber auch ein Gott, der sich kompromisslos einsetzt für uns Menschen, auch wenn dies keinen Ruhm, keine Macht verspricht. Mein Gott geht bis ins Äusserste und versteht, wie es sein kann, Mensch zu sein. Dass unser Gott kompromisslos solidarisch ist, hilft mir, die Erfahrungen der letzten zwölf Monate besser zu verdauen. Palmsonntag erzählt von meinem Gott, über den ich sprechen und von dem ich nie mehr schweigen möchte.