Zusammen oder doch lieber separat auf der Bühne? – MIT AUDIO

Pascal Kamber: Noch bis am Sonntag finden in Tokio die Sommer-Paralympics statt. Zwei Wochen nach dem Abschluss der Olympischen Sommerspiele werden in 22 Wettbewerben 539 neue Goldmedaillengewinnerinnen und -gewinner gekürt. Keine dieser Entscheidungen habe ich bisher gesehen, was auch selbstverschuldet ist. Allerdings habe ich nicht zum ersten Mal das Gefühl, dass die Paralympics in Sachen Berichterstattung unter dem Radar fliegen. Im Vergleich zu den Sommerspielen finde ich auf den verschiedenen Medienkanälen nur einen Bruchteil an Beiträgen über die grösste Sportveranstaltung für Athletinnen und Athleten mit einer Körper- oder Sehbehinderung. Die löbliche Ausnahme bildet das Schweizer Fernsehen, dass täglich live sendet und sechsmal pro Woche das Tagesgeschehen in einem Magazin zusammenfasst. Die paralympischen Sportlerinnen und Sportler leisten mindestens gleich Grosses wie jene ohne Einschränkungen. Warum also nicht Paralympics und Sommerspiele gleichzeitig austragen, damit alle die gleiche Aufmerksamkeit erhalten?

Melanie Gamma: Grundsätzlich gebe ich dir recht, da ich eine Verfechterin von Inklusion bin. Sportler sind Sportler – ob mit oder ohne körperliche Einschränkung. Und dann gäbe es ja noch die Special Olympics für Athleten mit geistiger Beeinträchtigung, die Deaflympics für Hörbehinderte und die World Transplant Games für Organtransplantierte. Ich bezweifle, dass die Behindertensportler mehr Publicity erhalten würden, wenn man alle olympischen Spiele zeitgleich austragen würde. Viele Wettbewerbe würden parallel laufen und die handicapierten Athleten wiederum medial untergehen. Wie sollen wir Journalisten entscheiden, ob wir Sprinter Usain Bolts 9,81 Sekunden über 100m grösser bringen in der Zeitung als die 13,90 Sekunden des schnellsten Rollstuhlfahrers über dieselbe Distanz? Lassen wir also den Paraathleten ihre eigene Bühne – mit mehr Medienpräsenz hierzulande. Zudem wäre das Ganze auch logistisch ein kaum stemmbarer Kraftakt.

pka: Dass die Organisation eines solchen Events noch komplexer wird, versteht sich von alleine. Ich denke aber, wenn man alles zusammenpackt und dafür diese Spiele über drei oder vier Wochen laufen lässt, gäbe das mehr Zeit und Raum zur Umsetzung. Wenn irgendwann wieder Zuschauer ins Stadion dürfen, wäre das doch auch für die Para-Athletinnen und -Athleten ein tolles Erlebnis, wenn sie direkt nach dem 100-m-Final vor ausverkauften Rängen um Gold kämpfen könnten. Leider ist ja oft das Gegenteil der Fall, selbst Cracks wie der Schweizer Rollstuhlathlet Marcel Hug sind es gewohnt, in leeren Stadien zu fahren.

gam: Vor wenig Publikum sportliche Höchstleistungen zu erbringen, kennen auch Nichtbeeinträchtigte in vielen Sportarten – und geben trotzdem Vollgas. Ich glaube, dass Inklusion im Sport nicht auf olympischer Ebene, sprich im Leistungssport, anfangen sollte, sondern im Nachwuchsbereich. Dass handicapierte Kinder mit «gesunden» gemeinsam in die Jugi oder in den FC gehen sollen.

pka: Da gebe ich dir recht. In der Schweiz ist das bereits der Fall – zumindest dort, wo es den Umständen entsprechend möglich ist. Wer weiss: Folgen andere Länder diesem Beispiel, erleben wir in Zukunft vielleicht doch einmal Olympische Spiele für alle?

gam: Den Umständen entsprechend kann aber ein Rollstuhlfahrer vielleicht nicht in die Jugi, weil der Weg in die Turnhalle über eine Treppe führt. Was ich mir von den Paralympics erhoffe, ist, dass die Erfolge der Schweizer helfen, Barrieren zwischen Handicapierten und Nichthandicapierten abzubauen, bauliche und mentale.