
Zuweilen ist es äusserst schwierig, unparteiisch zu bleiben – MIT AUDIO
Melanie Gamma: Unser Job als Journalisten im Regionalsport ist extrem vielseitig und spannend. Mal sind wir bei den Fussballern zu Gast, dann beim Inlinehockey, eine Woche später beim Dressurreiten, mal an einem Duathlon oder in der Leichtathletik. Etwas aber fällt mir auf den verschiedenen Sportanlagen immer wieder auf: wie Athleten, Trainer und Zuschauer über die Schieds,- Kampf-, oder Wertungsrichter, oder wie die Uparteiischein auch immer heissen, fluchen. Das ist manchmal echt frech und niveaulos. Schliesslich ist für die meisten Referees im ambitionierten Breitensport das Pfeifen ebenso ein Hobby wie für die Athleten. Ich würde echt nicht Schiedsrichterin sein wollen, in keinem Sport. Würdest du dir das antun?
Michael Wyss:Vor vielen Jahren waren Einsätze als Schiedsrichter Teil meiner Ausbildung zum Handball-Trainer. Es war damals ein notwendiges Übel, das mir nicht wirklich Spass gemacht hat. Nicht etwa, weil ich den Sinn nicht sah oder ich den Aufwand und die Verantwortung gescheut hätte, sondern weil ich mich als junger Bursche vor den Reaktionen der etwas älteren Trainer gefürchtet habe. In jeder Sportart, in jedem Wettkampf und in jedem Spiel gibt es Situationen, die nicht absolut eindeutig sind und diese sorgen auf der einen oder anderen Seite für Unmut. Ich kenne dieses «Problem» auch aus der Sicht des Trainers. Heute würde ich mir aber durchaus zutrauen, mit einer gewissen Ruhe die Meute zu bändigen. Allerdings würde ich mir definitiv nicht soviel bieten lassen wie gewisse Unparteiische, denen ich während meiner Arbeit täglich begegne.
gam: Ich war kürzlich an einem Vorbereitungsturnier erstmals Schiedsrichterin. Im Volleyball ist es angenehmer als in anderen Sportarten. Als Schiri stehst du auf einem Schwedenkasten und hast den besseren Überblick, als ihn ein Fussball-Referee auf dem Feld hat. Und der Ton ist im Volleyball respektvoller als in Disziplinen mit direktem Körperkontakt. Aber ich war nach drei Sätzen fix und fertig. Für mich war es anstrengender, nonstopp präsent zu sein und Entscheide zu treffen, als selber zu spielen. Ein solcher «Perspektivenwechsel» würde vielen Sportlern gut tun und vielleicht deren verbale Attaken gegen Unparteiische mindern. Obwohl ich sagen muss, dass es unter Referees wie unter Sportlern Talente und Antitalente gibt. Wie reagiertest du auf einen schlechten Schiri?
mwy:Ich muss zugeben, ich war nicht der vorbildlichste Sportler diesbezüglich – andere würden vielleicht sogar sagen ein Hitzkopf. Mit dem Alter bin ich aber ruhiger geworden, weil auch der Blick ein anderer geworden ist. Ich kann heute gelassener einer Partie beiwohnen, das heisst, zumindest gegen aussen wirke ich ruhiger. Ich erwische mich aber auch immer wieder dabei, wie die Galle in mir hochsteigt und gegen die Vernunft hie und da einige Worte nach aussen dringen. Auch wenn ich stets deutlich über der Gürtellinie bleibe, schäme ich mich schon Sekunden später dafür und gelobe Besserung. Der gute Wille hält einige Wochen, bis sich der Frust in einem kurzen Moment wieder einmal entlädt. Der Umgang mit der Psyche verschiedenster Menschen in Stresssituationen kann aber auch etwas sehr Inspirierendes haben. Es ist eine Herausforderung, die sich in jeder Sekunde in die eine oder andere Richtung bewegen kann. Und das finde ich extrem spannend.
gam: So legen es sich viele Schiedsrichter wohl auch zurecht. Dass es nicht nervig, sondern spannend ist, sich mit den verschiedensten Charakteren abzugeben. Manchmal kann ich aber auch verstehen, wenn ein Athlet seinem Ärger verbal Luft verschafft. Sicherheit soll ein Referee ausstrahlen, bei einigen kippt das aber in Arroganz, und das nervt. Ich erinnere mich an einen Funktionär beim Powerman Zofingen, der mit kleinlichen Zurechtweisungen und seinem Getue den Anschein machte, er müsse seine Macht als Unparteiischer demonstrieren. Ich ziehe den Hut vor jenen Referees, die einen Mittelweg zwischen Autorität und Kooperation finden, alles im Blick haben und Weghören können bei doofen Kommentaren.
mwy: Ich glaube, das ist auch einer von vielen Punkten, vor allem im mentalen Bereich, der einen guten Schiedsrichter ausmacht. Konzentriert und fokussiert bleiben, auch wenn Schimpftiraden und gelegentlich kleine Gegenstände aufs Feld fliegen. Der Lohn ist neben einem meist relativ geringen Entgeld die eigene Befriedigung, etwas Gutes getan zu haben, das Lob eines Beobachters und ab und zu auch eines Trainers oder eines Akteurs. Hilfe beim Vergessen von unschönen Ereignissen bietet der Fakt, dass der Mensch grundsätzlich die Schuld immer zuerst beim Gegenüber sucht und er sich mit jeder gröberen Verfehlung selbst disqualifiziert.