1000 Stimmen abgewürgt

 

Mit Graffiti, aber ohne Ton: Die Gemeinde will den kaputten 100-Stimmen-Tunnel nicht reparieren

Als hätten Eltern ihr ungeplantes Kind sich selbst überlassen: Der 1000-Stimmen-Tunnel beim Bahnhof Aarburg-Oftringen geht immer mehr zugrunde. Erbaut wurde er vor genau zehn Jahren zur Eröffnung der Ortskernumfahrung (OKUA) Aarburg. Passanten, Touristen, Spontanbesucher – sie alle könnten bequem sitzend per Knopfdruck den Geschichten von über 100 Aarburgerinnen und Aarburgern lauschen, während sie den vorbeirauschenden Verkehr durch eine Plexiglasscheibe beobachten.

Doch das war einmal. Seit vier Jahren schon ist es im Tunnel stumm und trist geworden. Wegen eines technischen Defekts beschallen keine Stimmen mehr die Ohren der Besucher. Stattdessen «zieren» Schmierereien die Wände und ab und an trifft der Gast auf Abfall, Zigarettenkippen und kaputte Glasflaschen. In der Plexiglasscheibe klafft zudem seit wenigen Wochen ein Riss.

«Interesse war immer gering»
Warum lässt die Gemeinde das Kunstwerk jahrelang verlottern? Ammann Hans-Ulrich Schär (parteilos), Kultur- und Stadtmarketingverantwortlicher, sagt, der Gesamtgemeinderat habe aufgrund der knappen Finanzen beschlossen, auf eine Reparatur zu verzichten. «Es sei denn, es gäbe einen Sponsor.»

Gebaut wurde der Tunnel, weil bei kantonalen Bauten immer rund ein Prozent der Bausumme für sogenannte «Kunst am Bau» oder «Kunst im öffentlichen Raum» reserviert werden muss. Der Tunnel war das Siegerprojekt von etlichen, sogar aus dem Ausland eingereichten Wettbewerbseingaben. Der Sieger, Künstler Yves Mettler, bedauert sehr, was aus seinem Werk geworden ist. Wirklich überrascht ist er nicht: Die Stadt habe das Kunstwerk gar nie wirklich gewollt (vgl. Nachgefragt rechts). Er hoffe aber noch immer, «dass jemand kommt und findet, dass mein Werk wieder aufpoliert werden sollte.»

Zu teuer, zu sekundär
Nur ein frommer Wunsch? Wie Ammann Schär auf Nachfrage ausführt, würde die Reparatur mehrere tausend Franken kosten, welche die Gemeinde alleine zu tragen hätte. «Aarburg hat kein Geld, da müssen wir die Prioritäten anders setzen», sagt Schär und erwähnt als Beispiel Kindergärten und Spielplätze. Doch ein paar tausend Franken sind nicht alle Welt. Der Ammann gibt darauf angesprochen zu: Nebst den Kosten spiele auch die Grundsatzfrage eine Rolle, ob sich die Stadt überhaupt um ein quasi aufgezwungenes Kunstwerk kümmern soll. Er sei zwiegespalten, sagt Hans-Ulrich Schär. «Natürlich ist der Tunnel heute keine gute Visitenkarte. Ganz aufgeben sollte man ihn aber nicht, er ist beispielsweise auch im Reiseführer ‹111 Orte im Aargau, die man gesehen haben muss› aufgeführt.»

Nur: Geld aufwenden oder Aufwand betreiben und einen Sponsor suchen will die Gemeinde trotzdem nicht. Für den damaligen Projektleiter seitens Gemeinde, Georges Stauffer, ist die negative Entwicklung indes keine Überraschung. «Ich habe das vorhergesehen», meint er kurz und bündig. «Allerdings habe ich eher damit gerechnet, dass es daran liegen wird, dass keine Geschichtenbeiträge aus Aarburg mehr kommen, als dass es an der Technik scheitert.»

Das Nachgefragt mit Yves Mettler und ein Pro/Kontra zur Thematik finden Sie in der Print-Ausgabe vom 07.09.2017.