«80 Prozent der Audi-Fahrer sind Machos»

In einem Container an der Oberen Brühlstrasse in Zofingen unterrichtet Andy Hofer den Fahrschülern den obligatorischen Verkehrskundeunterricht.  Bild: Tobias Walt
In einem Container an der Oberen Brühlstrasse in Zofingen unterrichtet Andy Hofer den Fahrschülern den obligatorischen Verkehrskundeunterricht. Bild: Tobias Walt
In einem Container an der Oberen Brühlstrasse in Zofingen unterrichtet Andy Hofer den Fahrschülern den obligatorischen Verkehrskundeunterricht.  Bild: Tobias Walt
In einem Container an der Oberen Brühlstrasse in Zofingen unterrichtet Andy Hofer den Fahrschülern den obligatorischen Verkehrskundeunterricht. Bild: Tobias Walt

ZUR PERSON

Andy Hofer (69) aus Oftringen ist gelernter Plattenleger und arbeitet seit 47 Jahren in der Region Zofingen als Fahrlehrer. Er ist Inhaber von «Andy’s Fahrschule», welche er gemeinsam mit seiner Frau betreibt. Das Theorielokal befindet sich seit zwei Monaten in einem Container an der Oberen Brühlstrasse in Zofingen, hinter dem Brocki und dem Jugendtreff OXIL. Das ehemalige Lokal an der Äusseren Luzernerstrasse in Oftringen übergab Hofer derweil an einen anderen Fahrschulanbieter.

Andy Hofer, Sie wurden vor einigen Tagen 69 Jahre alt. Seit 47 Jahren sind Sie nun Fahrlehrer. Das bedeutet ja, dass Sie schon mehrere Generationen unterrichtet haben.

Andy Hofer: Das ist korrekt. Ich habe tatsächlich Fahrschüler, dessen Grosseltern und Eltern bereits bei mir das Autofahren gelernt haben.

Haben Sie mal gezählt, wie viele Fahrschüler Sie bereits hatten?

Ja, das waren grob geschätzt zwischen 2800 und 3000.

War da auch die eine oder andere prominente Person dabei?

Ja, das gab es auch. Beispielsweise nahm der Rothrister Autorennfahrer Fabio Leimer bei mir Fahrstunden.

Also treffen Sie auf der Strasse dauernd auf ehemalige Fahrschülerinnen und Fahrschüler.

Immer wieder winkt mir jemand zu. Ich weiss dann oft nicht, wer das genau war. Wenn man dann ein paar Worte wechselt, erzählen Sie dann, sie seien doch vor 30 Jahren mal bei mir in der Fahrschule gewesen. Das ist schon lustig.

Wie wurden Sie zum Fahrlehrer?

Zuerst erlernte ich den Beruf des Plattenlegers und arbeitete im Unternehmen meines Vaters. Ich hätte die Firma übernehmen sollen, doch als die Branche in den 70er-Jahren kriselte, liess mein Vater mich gehen und ich konnte meinen Traum verwirklichen. Der Beruf des Fahrlehrers hat mich schon immer interessiert.

Was gefällt Ihnen an diesem Beruf?

Das Arbeiten mit den Leuten. Jede Person ist wieder anders. Ich komme mit Menschen und Motoren gleichzeitig in Kotakt. Die Faszination für Motoren trage ich schon lange in mir. Bereits mit 14 Jahren verkaufte ich in Oftringen frisierte Mofas. Mein Beruf macht mir heute immer noch Spass. Aber er befindet sich leider in einem negativen Trend.

Warum?

Bei gewissen Fahrlehrern muss man sich heute fragen, was für eine Philosophie sie haben. Ich übernehme immer wieder Schüler aus anderen Fahrschulen, welche bereits 60 Lektionen absolvierten und zwei Mal durch die Prüfung gefallen sind. Wenn ich dann sehe, dass diese Leute noch immer keine Ahnung vom Autofahren haben, ärgere ich mich manchmal schon über meine Berufskollegen.

Was macht denn Ihre Konkurrenz anders als Sie?

Es gibt grössere Fahrschulunternehmen, welche die Kunden mit tiefen Preisen anlocken. Gerade junge Leute mit kleinem Budget sind dafür empfänglich. Diese Fahrschulen haben eine ganz andere Philosophie. Oft unterrichten dort Praktikanten, welche noch gar keine Fahrlehrer sind und praktisch nichts verdienen. Deshalb kann man sich dort die tiefen Preise leisten. Die Erfolge an den praktischen Prüfungen dieser Schüler sind jedoch oft bescheiden.

Wie können Sie gegen diese Billigkonkurrenz bestehen?

Ich konnte den Preis für den Verkehrskundeunterricht auf 140 Franken reduzieren, da ich die Infrastrukturkosten an unserem neuen Standort senken konnte. Bei den Fahrstunden bin ich hingegen machtlos.

Sie betreiben Andy’s Fahrschule gemeinsam mit Ihrer Frau Regula. Da sie etwas jünger ist, gehe ich nicht davon aus, dass Sie sich in der Fahlehrerausbildung zum ersten Mal begegnet waren.

Nein, das war beim Tennis. Als ich Regula sah, wusste ich sofort: Das ist meine Frau! Zuerst hielt sie nicht sehr viel von mir, da ich meine spielerischen Mängel mit meiner grossen Klappe kompensieren musste. Regula war damals selbst noch Fahrschülerin. Später hat sie mir dann erzählt, sie habe insgeheim gehofft, durch die Prüfung zu fallen, um danach noch bei mir Fahrstunden nehmen zu können. Sie hat dann aber bestanden und ist heute trotzdem meine Frau. Seit 14 Jahren ist sie ebenfalls Fahrlehrerin.

Wie kam es dazu, dass Sie heute ebenfalls diesen Beruf ausübt?

Meine Hüften haben sie dazu gezwungen. Aufgrund einer Operation war ich drei Monate lang ausser Gefecht gesetzt. Da sagte ich ihr «Jetzt musst du ran».

Wie teilen Sie und Ihre Frau sich die Arbeit auf?

Meine Frau nimmt die Anmeldungen entgegen. Der Fahrschüler darf entscheiden, zu wem er will. Wenn es ihm keine Rolle spielt, schauen wir, wer gerade Kapazität hat.

Bestehen manchmal berufliche Differenzen zwischen Ihnen beiden? Beispielsweise bezüglich der Unterrichtsmethoden oder des Verhaltens auf der Strasse?

Meine Frau ist grundsätzlich froh über die Tipps, welche ich ihr geben kann. Ich habe mehr Erfahrung, während sie auf der psychologischen Ebene besser ist als ich. Sie wirft mir jeweils vor, ich könne doch einem Fahrschüler nicht sagen, er sei eine «Pumpi». Und ich sage dann, dass das mein Stil sei. Sonst haben wir es wahnsinnig gut zusammen. In der Freizeit reden wir aber sehr wenig über das Berufliche.

Man munkelt ja sogar, dass Sie das Auto am Wochenende nicht einmal brauchen. Stimmt das?

Ja, das ist korrekt. Im Sommer benutze ich am Samstag nur mein Motorrad für die Moto-Grundkurse. Das Auto hingegen steht von Freitagabend bis Montagmorgen fast immer in der Garage. Wenn du unter der Woche so viel Zeit im Auto verbringst, suchst du andere Beschäftigungsmöglichkeiten für die Freizeit. Am Sonntag bin ich gerne mit dem Bike unterwegs.

Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei Ihnen aus?

Ich bin kein Frühaufsteher. Der früheste Termin, den man bei mir buchen kann, ist um 8 Uhr. Über den Mittag mache ich sehr viel Sport. Ohne Sport könnte ich nicht leben. Mit meiner Frau und dem Hund bike ich anderthalb Stunden im Wald, und zwar bei jedem Wetter. Dann gehe ich nach Hause und mache mich frisch. Erst im Laufe des Nachmittags geht es dann weiter.

Der Beruf des Fahrlehrers hat sich in den letzten 47 Jahren bestimmt wesentlich verändert.

Früher war es viel schwieriger, Fahrlehrer zu werden. Du musstest eine abgeschlossene Berufslehre vorweisen und eine Aufnahmeprüfung bestehen, bei der 85 Prozent der Bewerber durchgefallen waren. Der Fahrlehrerkreis war anders als heute. Heute muss man nur noch einen Auszug aus dem Strafregister vorweisen und kann sich schon für die Berufsschule anmelden. Nach einem halben Jahr hat man die Erlaubnis. Darum gibt es heute recht viele unfähige Fahrlehrer. Früher gab es einen viel stärkeren Zusammenhalt unter den Berufskollegen. Man hatte es lustig und nahm sich Zeit, um miteinander zu fachsimpeln. Das gibt es heute nicht mehr. Der Konkurrenzkampf ist grösser. Es fallen wenige alte Fahrlehrer weg und es kommen viele junge hinzu.

Dieser Beruf muss also eine richtige Goldgrube sein, wenn so viele Junge Fahrlehrer werden möchten.

Nein, aber er ist anderweitig attraktiv. Die Ausbildung zum Fahrlehrer wurde beispielsweise sogar schon von Sozialämtern bezahlt, um die Leute loszuwerden. Aber wenn man als Fahrlehrer – wie die meisten anderen Menschen – nur acht Stunden pro Tag arbeitet, hat man es schwer, um zu überleben.

Braucht es in der Zukunft überhaupt noch Fahrlehrer? Die selbstfahrenden Autos sollen sich ja irgendwann durchsetzen.

Wenn mir heute jemand sagt, er wolle Fahrlehrer werden, dann sage ich ihm, er solle sich das gut überlegen. In den nächsten fünf bis zehn Jahren haben Fahrlehrer sicherlich noch genug Arbeit. Aber danach wird es langsam schwierig. Wenn der Wandel kommt, wird der Fahrlehrer viel mehr ein Elektroniker sein, der dir erklärt, wie das Auto funktioniert. Kein Fahrlehrer, der heute die Ausbildung macht, wird 47 Jahre lang im Dienst sein, so wie ich.

Sind junge Autolenker rücksichtsloser als früher?

Rücksichtloser nicht, aber viel weniger konzentriert. Ich erlebe praktisch keine Schüler mehr ohne Handy in der Hosentasche. Da schaue ich von Beginn an darauf, dass diese Handys ausgeschalten sind. Wenn ein Mobiltelefon während der Fahrt klingelt, muss der Schüler sofort anhalten und das Handy ausschalten. Die Reaktionszeit der Junglenker hat sich enorm verschlechtert. Sprach man früher noch von einer Reaktionszeit von einer Sekunde, sind es heute vielfach zwei bis drei Sekunden, weil diese Leute mit dem Kopf einfach irgendwo anders sind.

Haben Sie mehr Bedenken, Ihre Fahrschüler auf die Strasse zu lassen als früher?

Nein, bei meinen Schülern nicht. Ich bin beim Strassenverkehrsamt als «guter Fahrlehrer» vermerkt. Diese Auszeichnung bekommen alle Fahrlehrer, dessen Schüler bei der ersten praktischen Prüfung eine Erfolgsquote von mindestens 80 Prozent aufweisen. Und ich habe noch nie von einem meiner ehemaligen Fahrschülern gehört, dass er oder sie einen groben Unfall gehabt habe. Ich habe ein gutes Gewissen, meine Leute auf die Strasse zu lassen.

Hatten Sie schon schwerere Unfälle mit Fahrschülern?

Nein. Ich hätte auch ein wahnsinnig schlechtes Gewissen, falls das passieren würde. Als Fahrlehrer muss man dem Schüler zu hundert Prozent Sicherheit vermitteln. Er muss wissen, dass er Fehler machen darf und der Fahrlehrer sie ausbügeln kann.

Was macht Sie als Fahrlehrer am meisten wütend?

Ich werde richtig wütend, wenn Fahrschüler kommen und mir erzählen, wie wenige Fahrstunden sein Kollege brauchte. Da merke ich sofort, dass der Kollege nicht ehrlich war. Betreffend der Anzahl von Fahrstunden wird sogar innerhalb von Familien brandschwarz gelogen. Viele berichten von 20 Fahrstunden und danach stellt sich heraus, dass es Doppellektionen waren und dies bewusst verschwiegen wurde.

Können Sie ein Beispiel machen?

Meine Frau hatte einmal eine 40-jährige Fahrschülerin. Kurz darauf nahm deren Tochter Stunden bei einem anderen Fahrlehrer. Diese erzählte ihm offenbar, ihre Mutter hätte ihr gegenüber behauptet, nur etwas über 20 Fahrstunden für den Führerschein gebraucht zu haben. Als dieser Fahrlehrer dann meine Frau bei einer Prüfung traf und ihr das erzählte, schaute sie in der Kartei nach und stellte fest, dass diese Mutter 56 Fahrstunden absolvierte.

Sind Sie ein strenger Fahrlehrer?

Ja! Viele Leute sagen «Pass auf beim Andy, der ist dann streng». Ich habe eine klare Linie und will nicht einfach spasseshalber rumfahren. Ich sehe auch, wie viel Geld mir ein Fahrschüler bringt. Und dies erfordert eine Gegenleistung meinerseits. Diese erfolgt in der Form von Fachkompetenz aber auch von Strenge.

Was sind die häufigsten Fehler von Fahrschülern?

Unkonzentriertheit und mangelnde Voraussicht. Mein Motto lautet «Vorausschauen, Vorausdenken, Voraushandeln». Befolgt man dieses und überlegt man sich, was passieren könnte, hat man viel mehr Zeit, um zu reagieren.

Wie unterscheiden sich männliche von weiblichen Fahrschülern?

Autofahren hat viel mit Technik zu tun. Ein Mann wird es deshalb immer schneller erlernen als eine Frau. Wenn sie die Routine dann aber hat, wird sie aber möglicherweise sogar noch etwas besser fahren als ein Mann, weil sie weniger risikobereit ist.

Welche Verkehrsregel würden Sie am liebsten abschaffen?

Eigentlich gibt es keine dumme Verkehrsregel. Aber ich fände es besser, wenn man im Kreisverkehr beim Einfahren nach links blinkt, wenn man den Kreisel nicht gleich wieder verlässt. Am Anfang hatten dies wir Fahrlehrer, Buschauffeure und das Militär so gehandhabt. In Bern wollte man dann jedoch, dass nur noch das Ausfahren angezeigt wird. Ändern kann ich das nicht. Viel mehr ärgert mich die mangelnde Blinkbereitschaft. Also, dass Lenker aus Gleichgültigkeit den Blinker nicht betätigen.

Jetzt mal Hand aufs Herz: Halten Sie sich immer an alle Regeln?

Ja! Aber wirklich zu 100 Prozent. Ich mache mir einen Sport daraus, immer so zu fahren, wie ich dies auch von meinen Fahrschülern erwarte.

Und Sie haben auch wirklich noch nie eine Busse erhalten?

Gerade letzte Woche ist uns eine Busse der Regionalpolizei Zofingen ins Haus geflattert. Meine Frau wollte mich schon damit aufziehen. Dann sahen wir am Kennzeichen, dass es ihr Auto war, welches in der 30er-Zone etwas zu schnell unterwegs war. Aber das kann mal passieren. Grössere Verstösse gab es nie.

Kann man anhand einer Automarke den Charakter des Fahrers ausmachen?

Ja, sehr gut sogar! 80 Prozent aller Audi-Fahrer sind Machos. Das kann ich beurteilen, weil ich sie von morgens bis abends tagtäglich erlebe. Früher waren es die BMWs, heute sind es vereinzelt auch die Mercedes-Lenker. Aber bei den Audis ist es schon extrem. Den Audi erkennst du schon von Weitem im Rückspiegel. Dann weisst du, dass du Platz machen musst.

Wird irgendwann der Tag kommen, an dem Sie das Fahrschulauto für immer parken und nur noch die Füsse hochlagern? Oder bleiben Sie Fahrlehrer bis zum letzten Tag?

Ich werde im nächsten Jahr 70 Jahre alt. Mein Ziel ist es, irgendwann einmal meine Fahrschule einer anderen Person zu übergeben. Dann machen wir wirklich nichts mehr! Dann konzentrieren wir uns nur noch auf unsere Bikes und geniessen das Leben.