Keine guten Noten: Das Führungsversagen der Aarburger Schulpflege

Eskaliert ist der Konflikt an der Aarburger Schule am 11. Februar vor drei Jahren mit einem gepfefferten Brief an die Schulpflege, den fast alle Primarlehrpersonen unterschrieben haben. Die Lehrer forderten die Entlassung einer Schulleiterin. Geendet hat der Konflikt im Juni letzten Jahres vor dem Aargauer Verwaltungsgericht, das der widerrechtlich gekündigten Schulleiterin mehrheitlich Recht gab, ihr eine Genugtuung und Entschädigung in der Höhe von 55 000 Franken zusprach und der Schulpflege ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellte. Wie der Konflikt an der Aarburger Schule genau entstanden ist, bleibt auch mit dem bisher unveröffentlichten Urteil des Verwaltungsgerichtes, das ZT/LN vorliegt, letztlich verworren. Klar ist hingegen, dass die Schulpflege bei der Bewältigung der angespannten Situation grobe Fehler gemacht und als Führungsgremium versagt hat.

Freistellung gefordert

Die Primarlehrer fuhren damals in ihrem Brief grobes Geschütz auf. Die Schulleiterin habe wiederholt gesetzliche Bestimmungen und Vorgaben sowie elementare Regeln des Anstandes verletzt und als Stufenleiterin Oberstufe unüblichen Einfluss auf die Primarschule genommen. Im Detail kritisierten die Lehrer die Kündigung «missliebiger» Oberstufenlehrpersonen oder die willkürliche Anpassung von Pensenzuteilungen während des laufenden Schuljahres. Der Brief gipfelte in der Behauptung, das Wirken der Schulleiterin erfülle viele Kriterien eines diktatorischen Systems.

Nur wenige Wochen darauf, am 2. März 2016, doppelten die Primarlehrpersonen mit einem zweiten Brief nach und drohten laut dem Urteil nun gar der aus ihrer Sicht untätigen Schulpflege. «Werde die Klägerin nicht bis spätestens 4. März per sofort freigestellt, behielten sich die Lehrpersonen vor, die Krise mit einer Medienmitteilung öffentlich zu machen», heisst es im Urteil des Verwaltungsgerichtes. Und die Lehrer blieben bei ihrer sturen Haltung: Ein Gesprächsangebot der Schulpflege lehnten sie am 5. März ab. Ein weiteres Zuwarten strapaziere ihre Geduld über die Gebühr.

Ganz aus der Luft gegriffen war die Kritik an der dreiköpfigen Schulleitung nicht. So warnte der Evaluationsbericht des Kantons vom 8. März 2016 vor einem nicht funktionsfähigen Arbeitsklima und einer nicht funktionsfähigen Aarburger Schulführung. Der Hauptschulleiter werde etwa von Lehrpersonen nicht als Führungsperson wahrgenommen. Entlassungskriterien für den Personalabbau im Zuge der Strukturreform würden als Instrument der Führung gedeutet, «unbequeme» Lehrpersonen loszuwerden. Und die Kommunikation finde vorwiegend als Einweginformation – oft per Mail – von oben nach unten statt. Die Schulführung habe ein Akzeptanzproblem.

Grabenkämpfe

Doch die Fokussierung der Primarlehrer auf die eine Oberstufenschulleiterin erwies sich später als übertrieben und falsch. Wahrscheinlich ist laut Gericht die Darstellung der Vizepräsidentin der Schulpflege, wonach das gegenseitige Misstrauen zwischen den zwei Stufenleiterinnen für die Primar- und die Oberstufe innerhalb der Schulleitung gross war. Die entlassene Oberstufenleiterin widersprach vor Gericht und sagte, die Zusammenarbeit mit der Stufenleiterin Primarschule habe gut funktioniert. In einer Stellungnahme wies sie auch die Kritik der Lehrer grossmehrheitlich zurück und warf diesen ihrerseits Verleumdung, Rufschädigung und Mobbing vor.

Die verfahrene Situation an der Aarburger Schule war damals vielschichtiger, als es die Lehrer darstellten. So berichtete die Vizepräsidentin der Schulpflege an der Verhandlung vor Verwaltungsgericht von eigentlichen Grabenkämpfen unter den Lehrpersonen, die eine stufenübergreifende Zusammenarbeit praktisch verunmöglichten. Auch eine mangelhafte Kommunikation innerhalb der Schulleitung dürfte eine Rolle gespielt haben. Die Schulpflege sagte vor Gericht auch, dass sich nicht alle Mitglieder der Schulleitung ihrer Führungsverantwortung gestellt hätten.

Eine umfassende Abklärung der Vorwürfe der Primarlehrer fand nie statt. Einzelnen Kritikpunkte wie Vetternwirtschaft oder das angeblich von der Klägerin verhängte Kommunikationsverbot zwischen Lehrpersonen des Kindergartens und der Primarschule konnten laut Gericht entkräftet werden. Und bei den von der Schulpflege untersuchten Pensenvergaben konnten keine Unregelmässigkeiten festgestellt werden. Damit stand die Schulpflege laut Gericht vor der Situation, dass der angeschossenen Schulleiterin kein konkretes Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte.

Passive Schulpflege

Zum massiven Protest der Primarlehrer findet das Gericht deutliche Worte: «Dieses Verhalten der Lehrpersonen, die in Umgehung des Dienstweges zum Teil sehr pauschale Kritik an der Schulleiterin übten, mit Vehemenz personelle Konsequenzen forderten und mit dem Gang an die Öffentlichkeit drohten, sich aber in der Folge einer Abklärung der von ihnen erhobenen Vorwürfe verschlossen, stellt eine schwere Pflichtverletzung dar, was den Beteiligten bewusst war.» Hier müsse der Schulpflege angelastet werden, dass sie die Lehrpersonen «nie auch nur mit einem Wort für ihren ungehörigen Auftritt tadelte». Innerhalb der Schulpflege war man sich über die Vorgehensweise offenbar nicht immer einig. So wollte etwa der ehemalige Schulpflegepräsident laut dem Urteil offenbar schon früh disziplinarische Massnahmen gegen die Primarlehrpersonen verhängen.

Das Gericht kommt zum Schluss, dass sich die Schulpflege zu wenig intensiv und zu spät um eine Konfliktlösung bemüht habe. «Seit dem Eingang des Schreibens der Primarlehrpersonen hat sich die Schulpflege ziemlich passiv verhalten und sich ihre Strategie zur Krisenbewältigung zu sehr von den Forderungen der Primarlehrpersonen und dem Druck der Öffentlichkeit diktieren lassen, anstatt selber den Lead zu übernehmen.» Die Schulpflege hätte als weisungsbefugte Anstellungsbehörde Mittel gehabt, Primarlehrer und Schulleitung zu einem Gespräch zu bitten. Ein Krisenmanagement habe es auf Ebene Schulpflege nicht gegeben. Stattdessen kündigte die Schulpflege Ende Juli 2016 den beiden Schulleiterinnen. Widerrechtlich, wie das Verwaltungsgericht zumindest im einen Fall feststellte.

Externer Druck

Schon Ende Mai zog die Schulpflege laut dem Gericht trotz fehlender Hinweise auf ein konkretes Fehlverhalten der Schulleiterin in Erwägung, sich von ihr zu trennen. Grund dafür waren aber laut dem Urteil nicht neue Beurteilungsgrundlagen, welche die Vorwürfe der Primarlehrer bestätigt hätten, sondern die Dynamisierung des Konfliktes und der gestiegene externe Druck. Mittlerweile hatte sich auch eine Elterninitiative gebildet und in der Presse lieferten sich verschiedene Interessengruppen eine «veritable Leserbriefschlacht».

Laut dem Gericht entsteht der Eindruck, dass es die Schulpflege nicht als vordringliche Aufgabe ansah, den Konflikt unter Einbezug der Schulleiterinnen zu lösen. «Stattdessen liess man den Konflikt einige Wochen vor sich hin schwelen und wählte schliesslich mit der Entlassung der beiden Stufenleiterinnen den vermeintlich einfachsten Weg aus der Krise, um den Arbeitsfrieden unter den Lehrpersonen an der Schule Aarburg wiederherzustellen», heisst es im Urteil. Dabei sei die fragwürdige Rolle der Lehrer zu wenig beachtet worden. Diese hätten laut Gericht neben den Briefen auch in einem von verschiedener Seite bestätigten «Mobbing-Chat» auf «unlautere Art und Weise» auf die Entfernung der Schulleiterin hingewirkt.

Jegliche Massnahmen zur Aufarbeitung des Konfliktes wurden laut Gericht erst nach den Entlassungen der Schulleiterinnen ergriffen. Die Entlassung war laut dem Urteil daher in der gegebenen Situation unverhältnismässig und widerrechtlich. Die Schulleiterin musste laut Gericht gewissermassen zum Wohle der Schule ein Sonderopfer erbringen.

In den Abwägungen um eine Entschädigung kommt das Gericht zum Schluss, dass die Schulpflege die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verletzt hat, indem sie Hinweisen auf Mobbingaktivitäten innerhalb der Primarlehrerschaft nur ungenügend nachging. Sie habe es versäumt, hetzerische Aktivitäten von Lehrern mit dienstrechtlichen Massnahmen zu ahnden. Gegenüber der Presse habe die Schulpflege zudem keinerlei Akzente mit dem Ziel einer Versachlichung der Berichterstattung gesetzt. Sie habe es versäumt, sich schützend vor die attackierte Schulleiterin zu stellen.

Schliesslich sei der Inhalt eines Rundschreibens vom 8. August 2016, in welchem die Schulpflege über die Entlassung der Schulleiterinnen orientierte, persönlichkeitsverletzend. Damit sei der Eindruck erweckt worden, die Schulleiterin trage die Hauptschuld an der Krise in der Schule Aarburg.

Versucht, Konflikt zu lösen

ZT/LN stellte der Schulpflege Aarburg zum happigen Urteil des Verwaltungsgerichtes eine Reihe von konkreten Fragen. Diese antwortete mit einer Stellungnahme, in welcher sie einige der Fragen beantwortete, andere offenliess. So schreibt die Schulpflege, sie habe aus ihrer damaligen Sicht alles in ihrer Macht Stehende getan, um den Konflikt, welcher in der Presse massiv angeheizt worden sei, nicht noch mehr eskalieren zu lassen, und habe versucht, auch unter Zuhilfenahme von externen Fachleuten, die Konflikte zu lösen.

Schlussendlich handle es sich immer um Ermessensfragen. Laut der Schulpflege könnten nicht nur von einem Arbeitnehmer verschuldete Gründe, sondern auch objektive Gründe eine Kündigung rechtfertigen. Die Gerichte könnten jeweils aus der Retrospektive in aller Ruhe diese Fragen beurteilen oder auch gewisse Fragen offenlassen. Die betroffenen Behörden und Arbeitgeber müssten rasch und unter hohem Druck entscheiden.

«Ungeachtet dessen, wie berechtigt oder unberechtigt die Kritik der Lehrpersonen am Führungsverhalten der Klägerin war, lässt sich nicht wegdiskutieren, dass es zwischen ihr und einem Teil der Lehrpersonen beträchtliche Spannungen mit hohem Konfliktpotential gab», ist die Schulpflege noch immer überzeugt. Die Behörde habe aber die an ihr geübte Kritik angenommen und ihre Lehren daraus gezogen. «Die Schulpflege bedauert, dass es zu einer solchen Eskalation gekommen ist, und hat ihren Anteil an der Verantwortung mit der Annahme des Verwaltungsgerichtsurteils übernommen.»

Auf die konkrete Frage, warum man es damals unterlassen habe, Massnahmen gegen die Primarlehrpersonen zu ergreifen, gibt die Schulpflege jedoch keine Antwort. Gegenüber dem Gericht hatte die Schulpflege dazu ausgeführt, dass eine kollektive Abstrafung des Primarlehrkörpers «keine realistische Alternative» gewesen wäre.

Auch die Frage, ob man sich bei der entlassenen Schulleiterin mittlerweile entschuldigt habe, lässt sie offen. Ebenfalls nicht beantwortet wird die Frage, warum man letzten Sommer nicht aktiv über die Verurteilung vor dem Verwaltungsgericht orientiert hat. Auch keine Antwort gibt die Schulpflege auf die Frage, warum man im Rundschreiben vom 8. August im Sinne eines umfassenden Bildes des Konfliktes nicht auch das Fehlverhalten der Primarlehrer offengelegt habe.

Enttäuscht von Schulpflege

Die entlassene Oberstufenleiterin zeigt sich auf Anfrage erfreut über das Urteil des Verwaltungsgerichtes. Dieses habe erstmals überhaupt die Vorwürfe gegen sie untersucht. Das habe die Schulpflege leider nie gemacht. «Ich bin noch immer enttäuscht, dass die Schulpflege den deutlichen Hinweisen auf Mobbing nicht nachging.» Die Behörde habe es sich mit den Entlassungen zu einfach gemacht. «Und ich erachte es als schlimm, dass eine Schulpflege nichts macht, wenn sich viele Leute zusammenschliessen und mobben.» Da erhalte man das Gefühl, dass eine Masse aus Unrecht Recht machen könne. Die meisten der Primarlehrpersonen, die damals unterschrieben haben, habe sie weder je gesehen noch gekannt. «Ich bin auch skeptisch, ob die Schulpflege wirklich die Lehren aus dem Urteil gezogen hat.»

Die entlassene Stufenleiterin Primarschule will sich zum damaligen Konflikt und zu allfälligen rechtlichen Schritten gegen ihre Kündigung nicht mehr äussern. Sie sagt auf Anfrage lediglich: «Ich habe mit der Aarburger Geschichte abgeschlossen und fühle mich am neuen Arbeitsort sehr glücklich.»

Hohe finanzielle Folgen

Für die Gemeinde Aarburg hatte das Führungsversagen der Schulpflege auch finanzielle Folgen. So erhielt die eine entlassenen Schulleiterin Genugtuung und Entschädigung in der Höhe von 55 000 Franken. Zudem musste die Schulpflege je einen Teil der Parteikosten der Klägerin und der Verfahrenskosten tragen. Das ist aber nur ein Teil der finanziellen Folgen der Schulkrise. In den letzten Jahren liefen bei der Schule laut dem Aarburger Finanzvorsteher Dino Di Fronzo fast 500 000 Franken an externen Kosten auf. Grund waren zum Teil Entlassungen, welche hohe Folgekosten verursachten. Dies sagte Di Fronzo kürzlich im Rahmen der Berichterstattung zum Budget 2019.