
Severin Lüscher wird von den Grünen Aargau mit klarer Mehrheit nominiert – Kritik gab es aber auch
Als er im Jahr 2008 mithalf, die Grünen Kulm zu gründen, hätte sich Severin Lüscher nicht träumen lassen, dass er elf Jahre später im Grossen Rat sitzen und Ambitionen auf ein Regierungsamt haben würde. «Es ging mir damals lediglich darum, den Wählerinnen und Wählern im konservativsten Wahlbezirk der Schweiz eine grüne Alternative zu bieten», heisst es im Motivationsschreiben des 56-jährigen Hausarztes aus Schöftland.
Am Montag wurde bekannt, dass sich Lüscher als Grünen-Kandidat für den Regierungsrat bewirbt. Am Donnerstagabend diskutierte seine Partei dann an einer ausserordentlichen Mitgliederversammlung in Lenzburg über die Nomination. Der Entscheid fiel letztlich klar aus: Gleich mit 25 zu 3 Stimmen entschieden sich die Grünen dafür, Lüscher als Regierungsratskandidaten zu nominieren.
Müri gegen Männerkandidatur
«Können wir als Grüne in der aktuellen Situation einen Mann nominieren?», fragte Parteipräsident Daniel Hölzle gleich zu Beginn der Versammlung. Bei einer Wahl von Lüscher würden die Grünen dafür sorgen, dass ab 2020 ausschliesslich Männer im Aargauer Regierungsrat sitzen. Für eine Partei, die sich die Frauenförderung auf die Fahne geschrieben hat, ein heikles Thema. Hölzle hatte schon am Dienstag in der AZ gesagt, man habe Gespräche mit mehreren Frauen geführt, für eine Kandidatur sei aber keine bereit gewesen.
Severin Lüscher sagte, er sei sich der Problematik bewusst und habe sich die Frage gestellt, wie er mit seinem Geburtsfehler – eben der Tatsache, dass er keine Frau sei – umgehen solle.
Auf die Frage von Ständeratskandidatin Ruth Müri, wie er eine Frau überzeugen würde, ihn zu wählen, antwortete Lüscher. «Ich würde ihr sagen, dass ich mich für Anliegen der Frauen wie Lohngleichheit einsetze, und dass ich nicht böse wäre, wenn am 20. Oktober eine gute Frau gewählt würde.»
Müri blieb kritisch und sagte, Lüscher erfülle als Mann einen Teil des Anforderungsprofils nicht. Die Vorstellung, künftig fünf Männer auf der Regierungsbank zu sehen, sei für sie sehr schwierig. Grossrätin Gertrud Häseli ergänzte, wenn die Grünen keine bessere Lösung fänden, als mit Lüscher einen Mann zu nominieren, «dann haben wir nichts begriffen». Sie wies darauf hin, dass die Partei im Grossen Rat immer wieder die schlechte Vertretung von Frauen in Führungsgremien kritisiere, so zuletzt bei der Aargauischen Kantonalbank.
«Lieber ein Mann als Roth»
Es gab aber auch mehrere Frauen, die sich für eine Kandidatur von Severin Lüscher aussprachen. Grossrätin Kim Schweri sagte, der Regierungsrat als Männergremium sei eine üble Vorstellung. «Aber wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich von Severin Lüscher besser vertreten als von Franziska Roth, auch wenn sie eine Frau ist», sagte sie. Wenn die Grünen die Wahl hätten, mit einem kompetenten Mann anzutreten, oder keine Kandidatur zu stellen, solle man sich für Lüscher entscheiden.
Nationalratskandidatin Magdalena Küng betonte, die Grünen seien nicht schuld daran, dass heute vier Männer im Regierungsrat sässen. Sie hätten mit Susanne Hochuli acht Jahre lang eine Regierungsrätin gestellt, mit Irène Kälin sitze eine Frau für sie im Nationalrat, mit Ruth Müri habe man eine weibliche Ständeratskandidatur, auf der Liste für den Nationalrat seien die ersten acht Plätze von Frauen belegt. «In unserer Partei braucht es keine spezielle Frauen- förderung, wir haben alle Chancen, und wenn wir jetzt einen Mann als besten Kandidaten haben, sollten wir ihn auch aufstellen», forderte Küng.
Präsident unterstützt Lüscher
Auch ihre Mutter, die frühere Grossrätin Monika Küng, der aktuelle Fraktionschef Robert Obrist, sowie die Grossräte Andreas Fischer Bargetzi und Markus Dietschi sprachen sich dafür aus. Dasselbe tat Präsident Hölzle, der sich auch wahltaktisch Vorteile davon verspricht, als erste Partei einen kompetenten Gesundheitspolitiker zu nominieren. «Damit legen wir die Latte für andere Parteien hoch, es macht keinen Sinn, jetzt wegen der Geschlechterfrage das Kandidatenfeld einzuschränken.»
Auch eine Kooperation mit SP und GLP sei im ersten Wahlgang nicht realistisch, sagte der Parteipräsident. Er ergänzte, Lüscher wolle nach Aarau, nicht nach Bern – er spielte darauf an, dass sich der Hausarzt von der Nationalratsliste streichen lässt. Bei anderen Parteien sei eine Regierungsratskandidatur vor dem Hintergrund zu sehen, dass man sich zusätzliche Stimmen für den Nationalrat erhoffe, bei Lüscher sei dies anders: «Er ist der richtige Mann.» Hölzle attestiert dem Gesundheitspolitiker auch Wählerpotenzial in der Mitte, was Fraktionschef Obrist unterstrich. Lüscher sei im Grossen Rat überparteilich akzeptiert, dies sei ein Vorteil.
Ein Jahr unter Susanne Hochuli
Severin Lüscher nahm in seinem Motivationsschreiben direkt Bezug auf eine Frau: auf die ehemalige Grünen-Regierungsrätin Susanne Hochuli. Der Politiker aus Schöftland sitzt seit Ende 2015 im Grossen Rat und erlebte ein Jahr unter Hochuli, «die mir Einblick gewährte in die Regierungsarbeit». In den letzten gut zwei Jahren unter Franziska Roth habe er «persönlich und politisch darunter gelitten, dass es nicht vorwärtsging», hält Lüscher fest. In dieser Situation habe sich bei ihm der Gedanke eingestellt, dass er mehr bewirken könnte, wenn er in der Regierung wäre.
Mit der Nomination von Lüscher sind die Grünen die erste Partei, die ihre Kandidatur für den Regierungsrat festgelegt hat. Finanziert ist der zusätzliche Wahlkampf aber noch nicht: Um die nötigen Mittel zu beschaffen, sollen alle Grünen-Mitglieder auf freiwilliger Basis einen Beitrag von 50 Franken zahlen.