Stephan Attiger: «Ich habe mir einen Wechsel ernsthaft überlegt»

Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

Gut, ich fühle mich fit. Ich habe nach meiner Rückenoperation Anfang Jahr einiges in meine Gesundheit investiert. Ich gehe viel laufen, meistens morgens früh im Badener Wald. Das tut mir sehr gut.

Dann kam Corona. Es hat auch Sie erwischt, wenn auch nur leicht. Wissen Sie eigentlich, ob Sie jetzt immun sind?

Nein, ich bin deshalb so vorsichtig, wie wenn ich es nie gehabt hätte. Zum Glück habe ich niemanden angesteckt, das wäre für mich das schlimmste gewesen.

Ihre Kollegen Markus Dieth und Urs Hofmann hatten ihre Corona-Erkrankung kommuniziert. Bei Ihnen hat man die Infizierung erst viel später erfahren. Warum?

Meine Erkrankung war ja praktisch schon vorbei, als ich positiv getestet wurde. Da fand ich es nicht mehr zwingend, das offensiv zu kommunizieren.

Im Nachhinein ein Fehler?

Ich hatte mehr positive als negative Reaktionen. Aber ja, im Nachhinein würde ich es aktiver kommunizieren.

Sie sind schon seit 2013 Regierungsrat. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Lösungen zu finden, die mehrheitsfähig und für die Bevölkerung verdaubar sind. Das ist unser Job. Zudem habe ich gelernt, mit Kollegen zusammenzuarbeiten, die man sich ja nicht aussucht, sondern vom Volk gewählt sind. Ich bin darum froh, dass wir aktuell ein so gutes Einvernehmen haben.

Letztes Jahr ging es weniger harmonisch zu wegen der Unruhe um Franziska Roth.

Das ist so. Persönlich hatte ich es immer gut mir ihr. Aber irgendwann hat auch die Gesamtregierung unter den Problemen in ihrem Departement gelitten. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde aus einer Personenkrise eine Regierungskrise.

Nach Roths Rücktritt mussten Sie als Stellvertreter das Departement Gesundheit und Soziales (DGS) übernehmen. Kann man seriös zwei Departemente gleichzeitig führen?

Es war ein Kaltstart. Und natürlich musste ich Prioritäten setzen. Das Wichtigste war Ruhe reinzubringen. Die Verunsicherung bei den Mitarbeitern war gross. Ich habe den Leuten klar gemacht, dass wir diese Krise gemeinsam meistern. Und sie haben sehr gut mitgemacht.

Hat es Sie nicht gereizt, gleich ganz ins DGS zu wechseln?

Ich habe mir das ernsthaft überlegt. Aber nach acht Jahren in einem Departement ist man mitten drin bei Projekten. Und ich habe jetzt mehr Einfluss auf nationaler Ebene in verschiedenen Gremien. Darum kam ich zum Schluss, dass es mir und dem Kanton mehr bringt, wenn ich im BVU bleibe.

Sie sind 53. Das wäre ein Alter, um etwas ganz Neues zu wagen.

Als es vor zwei Jahren in der FDP darum ging, einen Ständeratskandidaten zu suchen, habe ich bewusst entschieden, weiter auf Exekutivpolitik zu setzen. Regierungsarbeit liegt mir, ich wäre dagegen kaum ein so guter Parlamentarier.

Aber pensioniert werden Sie kaum als Regierungsrat.

Das ist mir klar. Es tut sich aber immer wieder eine Türe auf. Das war auch meine Haltung, als ich noch Stadtammann von Baden war.

In Ihrem Wahlspot nennen Sie als einen Ihrer Erfolge, dass Sie Ortsumfahren realisiert haben. Attiger sei vor allem ein Strassenbauer, heisst von grüner Seite kritisch.

Wir machen dort Umfahrungen, wo der Durchgangsverkehr die Lebensqualität im Zentrum beeinträchtigt. Unsere Strategie ist es, Innenstädte und Dorfkerne attraktiver zu machen und die Zersiedelung auf dem Land zu stoppen. Bad Zurzach, Sins oder Suhr sind gute Beispiele dafür.

Als weiteren Erfolg nennen Sie die Weiterentwicklung des S-Bahn-Netzes Aargau. Aktuell fallen wegen Lokführermangel aber vor allem Züge aus.

Darüber ärgere ich mich sehr. Der Aargau war der erste Kanton, der bei den SBB interveniert hat. Wir haben jetzt die fixe Zusage der SBB, dass ab Fahrplan Dezember die S-Bahnen im Aargau wieder fahrplanmässig fahren. Darüber hinaus ist das S-Bahnnetz im Aargau eine Erfolgsstory.

Nicht erwähnt in Ihrem Wahlvideo ist die Limmattalbahn. Dieses Projekt erhitzt die Gemüter vor allem in Ihrer Heimat. Wie erleben Sie das als Badener?

Neben Gemeinden und Planungsverbänden bekomme ich auch aus der Bevölkerung mehrheitlich positives Feedback. Natürlich gibt es aber auch lokal spezifische Kritik. Zum Beispiel in Neuenhof zur Linienführung und in Wettingen zu Einzonungsfragen. Wir haben reagiert und eine alternative Linienführung vorgeschlagen. Es gibt aber auch oft noch Verständnisprobleme: Es ist ein Tram, keine Bahn. Der Name ist irreführend. Und es geht jetzt erst mal darum, ein solches Tram zu prüfen und Trassen dafür frei zu halten. Das ist uns noch nicht gelungen zu kommunizieren.

Die Aargauer haben im Gegensatz zum Zürcher Stimmvolk bisher nichts zu sagen zu diesem Projekt. Ist das nicht undemokratisch?

Alle Beschlüsse unterstehen dem Referendum. Ich bin aber sehr dafür, dass so grosse Projekte wie die Limmattalbahn so oder so dem Volk vorgelegt werden. Es wäre vernünftig, einmal eine Grundsatzabstimmung dazu durchzuführen.

Ein Reizpunkt ist, was mit der Hochbrücke in Baden passiert. Ob es eine zusätzliche Brücke braucht.

Dass die Limmattalbahn über die Hochbrücke führen würde, ist klar. Der ÖV muss immer dorthin, wo die Leute sind, also über diese zentrale Brücke. Offen ist, wo der motorisierte Verkehr durchgeleitet wird, eine zweite Brücke ist eine Variante.

Wer soll die Limmattalbahn überhaupt nutzen? Wenn ich nach Zürich will, nehme ich doch den Zug.

Klar. Aber wir wollen ja auch die Bahnverbindungen ausbauen. Das wiederum braucht Zubringer. Es geht auch um den Verkehr innerhalb des Limmattals. Auswertungen zeigen, dass die meisten Verkehrsteilnehmer sich im Raum von wenigen Kilometern bewegen. Langfristig ist ein Tram zuverlässiger und effizienter als ein Bus und hat technologisch mehr Potenzial, Stichwort Automatisierung ohne Chauffeur.

Böse Zungen sagen, die Limmattalbahn ist weniger ein Verkehrsprojekt und vielmehr ein Immobilienprojekt.

Natürlich setzt ein schienengebundenes Verkehrsmittel städtebaulich mehr Akzente als eine Buslinie. Ein Tram gibt einem Immobilieninvestor die Sicherheit, dass er über Jahre gut angebunden ist. Das Einkaufszentrum Tivoli investiert nicht ohne Grund viel mehr in die Station einer Limmattalbahn als in eine Bushaltestelle, die man schnell ändern kann. Unter dem Strich wollen wir eine gute Durchmischung von attraktiven Wohn- und Arbeitsplätzen.

Was ist neben der Limmattalbahn Ihre grösste Herausforderung nach einer Wiederwahl?

Der Umgang mit dem knappen Boden ist eine grosse Herausforderung und natürlich die Erreichung der Umwelt- und Klimaziele. Da müssen wir zuerst nach Lösungen suchen, die möglichst ohne Komfortverlust für die Bevölkerung sind.

Etwa mit dem CO2-neutralen Hausbau, wie es das neue Energiegesetz vorsah. Doch damit haben Sie Schiffbruch erlitten. Sind Sie als Energieminister jetzt ausgebremst?

Nein, die Ablehnung gilt es natürlich zu akzeptieren. Beim Energiegesetz ging es um die Mustervorschriften der Kantone. Der Regierungsrat und das Parlament wollten hier die Harmonisierung mit anderen Kantonen. Kantone, die dies umsetzten, erhalten beim CO2-Gesetz des Bundes im Gebäudebereich eine Übergangslösung. Ohne das Energiegesetz treten mit dem Inkrafttreten des CO2-Gesetzes die Bundesbestimmungen in Kraft, die weniger umfassend, dafür im Bereich CO2-Ausstoss strenger sind. Offen ist, ob zum CO2-Gesetz das Referendum ergriffen wird. Zusätzlich wollen wir aber auch Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und zum Ausbau der erneuerbaren Energien fördern; deshalb schlagen wir ein umfassendes Förderprogramm vor.

Was machen Sie anders als ein Linker oder eine Grüne an der Spitze des Umweltdepartementes?

Bei mir sind Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft ein Dreiklang. Das eine geht nicht ohne das andere. Grüne und Linke setzen tendenziell mehr auf die Karte Umwelt und vielleicht weniger auf die Wirtschaft.

Die aktuelle Regierung besteht nur aus Männern. Finden Sie das gut?

Ich befürworte gemischte Gremien. Ich hätte auch kein Problem mit drei Frauen in der Regierung. Ich arbeite gerne mit Frauen zusammen. Aber es stehen halt die Kandidaten zur Verfügung, welche die Parteien aufgestellt haben. Und es ist allgemein schwieriger, Frauen für solche exponierten Ämter zu motivieren. Wir haben auch Mühe, Frauen für Verwaltungsräte von kantonalen Betrieben zu finden. Viele winken ab. Vielleicht auch wegen der Doppelbelastung Beruf und Haushalt/Kinder.

«Ich befürworte gemischte Gremien, ich arbeite gern mit Frauen zusammen.»

Stephan Attiger zur Frauenfrage in der Regierung: «Ich befürworte gemischte Gremien, ich arbeite gern mit Frauen zusammen.» © Britta Gut

Wie ist die Aufgabenverteilung bei Ihnen zu Hause?

Meine Frau schmeisst hauptsächlich den Haushalt und hat die Verantwortung für die Alltagsthemen mit den Kindern. Diese Rollenverteilung haben wir schon früh bewusst gewählt. Für meine Frau war immer klar, dass sie Kinder will und dann auch im Alltag für sie da sein will. Das heisst aber nicht, dass ich zu Hause gar nichts tue, einfach im bescheidenen Rahmen.

Welches Ämtli haben Sie denn?

Ich kümmere mich um den Garten, bringe den Abfall raus. Und sonst sagt mir meine Frau dann schon, was noch zu tun ist. (lacht)

Haben Sie einen Plan B bei einer Abwahl?

Nein. Ich könnte mich nicht voll in mein Amt reingeben, wenn ich noch an eine Alternative in der Hinterhand hätte. Man muss hundertprozentig überzeugt sein, dass man das Amt will und das auch ausstrahlen.

Serie: Regierungsratswahlen

Am 18. Oktober sind Gesamterneuerungswahlen des Regierungsrates. Urs Hofmann (SP) tritt zurück. Die anderen vier Regierungsräte treten wieder an: Markus Dieth (CVP), Stephan Attiger (FDP), Alex Hürzeler (SVP) und Jean-Pierre Gallati (SVP). Neu kandidieren Christiane Guyer (Grüne) und Dieter Egli (SP). In einer Interviewserie bringt die AZ die Kandidierenden näher. Heute: Stephan Attiger, 53-jährig, aus Baden,Er ist seit 2013 Vorsteher des Departementes Bau, Verkehr und Umwelt. Stephan Attiger ist verheiratet und hat zwei Kinder.