
Elektroschock für die Schweiz: Benzin und Diesel müssen verschwinden
Bundesrätin Simonetta Sommaruga ist extra nach Winterthur gereist. «Mit dem Zug», wie die Umwelt- und Verkehrsministerin betont. Das passt, denn um die Klimaziele zu erreichen, muss sich die Schweiz elektrisieren. Nur dann wird die Energiestrategie des Bundes, die bis zum Jahr 2050 Netto-Null-CO2-Emissionen vorgibt, realistisch. Kurzfristig muss die Bundesrätin im Juni dafür das neue CO2-Gesetz durchbringen.
Elektrisiert soll alles werden, insbesondere das Heizen und der Verkehr. So klettert Sommaruga in Winterthur in einen Lastwagen der Firma Designwerk, der nicht mehr von einem schweren Dieselmotor angetrieben wird, sondern von einem Elektromotor. Die Firma baut aus einem Fahrzeug des Herstellers Volvo oder Mercedes den Dieselantrieb aus und ersetzt diesen durch zwei Elektromotoren und Batterien, welche beide vor Ort zusammengesetzt werden.
E-Lastwagen sind fünf Mal energieeffizienter
«Wir bauen acht Elektrowagen pro Monat», sagt Duga Hoti von Designwerk. So entstehen Elektrosattelschlepper für die Migros wie auch elektrische abgasfreie Kehrichtwagen für die Stadt Basel, wo bereits zwölf in Betrieb sind. Ein E-Lastwagen sei fünf Mal energieeffizienter als ein Dieselwagen, sagt Hoti. Die in Elektrofahrzeugen generell kritische Reichweite ist hier abhängig von der Anzahl an montierten Lithium-Ionen-Batterien. Generell kommt man mit einem E-Lastwagen mit zwei 170-kWh-Batterien an Bord etwa 250 bis 300 Kilometer weit. Theoretisch sind es nach Werk sogar 380 Kilometer.
Bundesrätin Sommaruga dreht eine lautlose und abgasfreie Runde im E-Lastwagen und steigt danach zufrieden aus. «Das war sehr eindrücklich. Man merkt gar nicht, wenn man losfährt, es ist dermassen leise», sagt Sommaruga. «Dieses Beispiel hier zeigt, in Klimaschutz investieren lohnt sich. Solche Elektrolastwagen werden bestellt wie verrückt», sagt sie. Solche Innovationen brächten viel und schafften lokale Arbeitsplätze. Sie will zeigen, dass es ein Gesellschaftsmodell gibt für neue Technologien. Das CO2-Gesetz gebe solchen Firmen und der Wirtschaft Klarheit, wo der Weg der Energiewende hingehe.
Woher der dafür nötige extrem viele Strom?
Doch einen Haken gibt es: Die 1100 Kilogramm schweren Batterien im E-Lastwagen brauchen viel Strom; so wie die gesamte Elektrifizierung der Schweiz. Woher die Kraft? «Wir haben mit den Energieperspektiven 2050+ gezeigt, dass die Wende möglich und bezahlbar ist», sagt die Bundesrätin. Sie verschweigt nicht, dass dafür viel investiert werden muss, vor allem in die Fotovoltaik, aber auch in andere Alternativen wie zum Beispiel Wasserstoff.
Aber das Ziel Null-CO2 bis 2050 hat noch viele Hürden. Schliesslich muss trotz Energiewende eine fatale Stromlücke vermieden werden. Das Paul-Scherrer-Institut (PSI) hat in einer neuen Studie untersucht, welche Massnahmen und wie viel Geld dafür nötig wären. Einschneidende Transformationen bei der Produktion und dem Verbrauch von Energie sind nach Studienautor Tom Kobler vom PSI dabei unverzichtbar.
Alle zehn Jahre Solaranlagen verdoppeln
Die Studienresultate zeigen vor allem eines: Jedes Jahrzehnt bis 2050 muss sich die Kapazität der Fotovoltaikanlagen mindestens verdoppeln. Dann erzeugen Solaranlagen im Jahr 2050 26 Terawattstunden Strom und sind hinter der Wasserkraft mit 38 Terawattstunden die zweitgrösste Energiekraft in der Schweiz. Weiterhin müssen dann Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung sowie Windkraftwerke, Wasserstoff-Brennstoffzellen und Stromimporte dazu beitragen, die durch die Elektrifizierung stark gestiegene Stromnachfrage zu decken.
Für das Netto-Null-Emissionsziel steigt die Stromerzeugung aus Kraftwerken und Speicheranlagen in der Schweiz gegenüber dem gegenwärtigen Niveau um etwa einen Fünftel auf 83 Terawattstunden bis ins Jahr 2050 an. Die Studienautoren gehen dabei davon aus, dass die Schweizer Kernkraftwerke bis zum Jahr 2045 ausser Betrieb genommen werden.
Elektrisch betriebene Autos und viel mehr Wärmepumpen
Die private Autoflotte müsste bis 2050 grösstenteils auf elektrischen Antrieben basieren. Bis 2030 ist nach dem klimafreundlichsten Szenario des PSI jede dritte Neuzulassung ein vollständig elektrisch betriebenes Auto. Zusätzlich muss der Einsatz von Wärmepumpen in Häusern deutlich beschleunigt werden, sodass bis 2050 fast drei Viertel des Heizungs-und Warmwasserbedarfs dadurch gedeckt werden. Gleichzeitig wäre es notwendig, Energieeinsparungen durch beschleunigte Renovierungen von Wohngebäuden zu erzielen.
Gefahren werden muss mit Elektroautos, mit Wasserstoff oder E-Fuels, synthetischen Kraftstoffen. Wasserstoffanwendungen sollen auch in der Industrie wichtig werden. Der Wasserstoff muss allerdings emissionsfrei produziert werden, wozu es eine Menge an erneuerbarem Strom braucht, 9 Terawattstunden im Jahr 2050.
CO2 muss aus der Luft abgeschieden werden
Dann vielleicht können die CO2-Emissionen jedes Jahr um 1 bis 1,5 Millionen Tonnen reduziert werden. Zusätzlich nötig wäre gemäss den PSI-Forschern eine CO2-Abscheidung, also CO2 abfangen und unterirdisch speichern. Die Forscher gehen von 9 Millionen Tonnen CO2 aus, die abgetrennt werden müssten. Am liebsten im Inland, die Akzeptanz ist aber unsicher.
«Mehr als zwei Drittel der für das Netto-Null-Emissionsziel notwendigen Emissionsreduktionen sind mit Technologien erreichbar, die bereits kommerziell verfügbar sind oder sich in der Demonstrationsphase befinden», sagt Hauptautor Evangelos Panos. Die Kosten für diesen Umbau können die Wissenschafter nicht genau beziffern, weil der von vielen Variablen abhängig sei. Eine Zahl gibt es doch: Es wird mit durchschnittlichen Mehrkosten zwischen 200 und 860 Franken pro Jahr und Kopf gerechnet.