Die Zinsen steigen – bald gibt es statt Corona-Rabatte wieder höhere Preise

Wie lange noch gibt es Investoren, die für eine langfristig relativ sichere Kapitalanlage nicht nur auf einen Zinsertrag zu verzichten, sondern sogar bereit sind einen Preis zu zahlen?

Noch beläuft sich die Rendite von Schweizer Bundesobligationen mit zehnjähriger Laufzeit auf -0,26 Prozent. Allerdings waren solche Schuldpapiere vor kurzem noch viel begehrter, weshalb deren Rendite von -0,5 Prozent Ende Januar noch fast doppelt so hoch war wie jetzt.

In den USA ist der Trend zu steigenden Zinsen schon viel weiter fortgeschritten als in Europa und der Schweiz. Was sagt der abrupte Wechsel über den Zustand der Wirtschaft? Was verkündet er in Bezug auf Preise und Löhne? Lesen Sie dazu die wichtigsten Fragen und Antworten

Warum steigen die Zinsen?

Der Zinsanstieg kündigt eine starke wirtschaftliche Erholung an. Die zunehmenden Erfolge der internationalen Impfkampagnen gegen das Coronavirus vermindern weltweit die Risiken eines Rückfalls in eine zweite pandemiebedingte Rezession. Charlotta Groth, zuständig für makroökonomische Analysen beim Versicherungskonzern Zurich, sagt: «Der Umstand, dass die Weltwirtschaft in den vergangenen Monaten trotz einschneidender Schutzmassnahmen in vielen Ländern relativ stark gewachsen ist, verdanken wir mindestens zum Teil den Impferfolgen.» Sicherheit

Mit einer höheren wirtschaftlichen Aktivität steigt auch die Nachfrage nach Kapital etwa von Unternehmen, die investieren möchten. Das ist ein Element, das den Zinsanstieg bewirkt.

Kündigen die höheren Zinsen auch höhere Preise und Löhne an?

Ja. Die Entwicklung am Kapitalmarkt signalisiert, dass sich die Preise vieler Güter und Dienstleistungen normalisieren werden. Diese sind im Zug der Pandemie gesunken. Ein Beispiel ist der Ölpreis, der sich seit dem Tiefpunkt von Ende März 2020 fast verdreifacht hat. Auch touristische Angebote und andere Leistungen, die krisenbedingt einen Einbruch der Nachfrage erlebt haben, dürften wieder teurer werden. Damit die wirtschaftliche Erholung rasch vor sich geht, helfen Regierungen mit gigantischen Konjunkturpaketen nach – allen voran die US-Regierung. Der neue Präsident Joe Biden wollte das 1,9 Billionen Dollar schwere Unterstützungsprogramm gleichzeitig einer Verdoppelung des Mindestlohnes verbinden. Die Lohnerhöhung lässt sich jedoch aus administrativen Gründen im US-Parlament aber nicht umsetzen.

Ist die Situation in den USA, Europa und der Schweiz die gleiche?

Nein. Die US-Notenbank Fed ist offensiver, was das Inflationsziel anbelangt. Sie will die Inflation für eine gewisse Zeit über die langfristige Zielmarke von zwei Prozent steigen lassen, um der Wirtschaft Zeit für die Erholung zu geben. «Eine solche Politik wird in Europa nicht erwartet», sagt Zurich-Ökonomin Groth. Die Europäische Zentralbank habe die historisch tief verankerte Abneigung der Deutschen Bundesbank gegen Inflation mindestens teilweise verinnerlicht, erklärt die Schwedin.

Ist Inflation gut oder schlecht?

«Ein bisschen Inflation im System ist eine gute Sache», sagt Groth. Es ist ein Zeichen, dass die Unternehmen eine gewisse Preismacht besitzen. Das gefällt auch den Aktionären, weshalb die Aktienkurse in einem Klima moderater Teuerung erfahrungsgemäss steigen. Nimmt die Teuerung aber schnell und stark zu, wirkt sie sich kontraproduktiv auf die Wirtschaft aus. Die Last der höheren Zinsen kann für Unternehmen und unter Umständen sogar für ganze Länder plötzlich zu gross werden. Für die Investoren sieht die Rechnung anders aus. Sie erhalten in einem steigenden Zinsumfeld für ihr Geld einen relativ risikolosen Ertrag. Damit müssen sie nicht zwingend andere risikanten Investitionen wie etwa Aktienanlagen tätigen, gibt Charlotta Groth zu bedenken.

Ist das Szenario einer steigenden Inflation realistisch?

Ja, sagt Charlotta Groth, die sich mit dieser Frage besonders intensiv beschäftigt. Die Pandemie hat zu einem globalen Rückgang der Teuerungsraten geführt, nachdem sich Preise und Löhne erst Jahre nach der Finanzkrise langsam zu erholen begonnen hatten. In der Schweiz ist die Teuerung nach drei Jahren mit positiven Vorzeichen im vergangenen Jahr wieder tief in den negativen Bereich zurückgefallen. Groth erwartet, dass diese krisenbedingten Ausschläge in der näheren Zukunft korrigiert werden. Aber sie geht nicht davon aus, dass die Inflation wieder zu einem Problem werden wird. Dies war Anfang der 1990er-Jahre auch in der Schweiz immer wieder der Fall.

Wie sicher sind sich die Ökonomen in ihren Prognosen?

Die Rückkehr zu einer langfristig moderaten Inflationsrate ist das beste Szenario – und in der Analyse der meisten Ökonomen auch das wahrscheinlichste. So sieht auch Charlotta Groth die Zukunft. Doch die frühere Mitarbeiterin der Bank of England warnt vor grossen Unsicherheiten. Als naheliegendste Gefahr nennt sie unerwartete Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Impfkampagnen. Zudem bestehe das Risiko, dass Regierungen mit Blick auf die stark gestiegene Staatsverschuldung zu früh ihre Wirtschaftshilfen abstellen und so einer neuerlichen Rezession Vorschub leisten.

Welche Gefahren brächte das mit sich?

In diesem Szenario wäre ein neuerlicher Einbruch der Teuerung zu erwarten. Vom Risiko einer plötzlich scharf nach oben ausbrechenden Inflation spricht Groth nicht. Über diese Gefahr wird gerade in den USA häufiger gesprochen. Dort befürchten einige Beobachter, dass Präsident Bidens gigantisches Unterstützungspaket die Konjunktur schneller und stärker als geplant anheizen könnte. Folglich würde die Notenbank Fed die Kontrolle über die Preisentwicklung verlieren.