Das Ende eines legendären Hotels – der Aarauerhof wird geschlossen

Wenn Sie die Nacht auf heute nicht im «Aarauerhof» verbracht haben (Einzelzimmer 121 Franken, Doppel 161 Franken), dann werden Sie dort wohl nie mehr schlafen. Und ob Sie je wieder die Chance haben, im «Aarauerhof» ein Zmittag zu essen, ist mehr als fraglich. Heute Morgen, nach dem Frühstücksservice, wird der Betrieb geschlossen. Mindestens bis im Frühling, möglicherweise für immer.

Die neue Besitzerin des Gebäudes, die Aargauische Pensionskasse (APK), will den Komplex abbrechen und raschmöglichst durch einen Neubau mit Läden/Restaurants, Büros und Kleinwohnungen ersetzen (AZ von gestern). Höchste Zeit also für einen nostalgischen Rückblick, basierend auf Archivmaterial und einem Telefonat mit Roland W. Jaeger, dem legendären Direktor und Besitzer eines der wichtigsten Hotels im Aargau. Dem «ersten Haus am Platz», wie man zu sagen pflegte.

In den besten Zeiten hatte der Betrieb 75 Angestellte

Jaeger lebt heute in Penthalaz VD bei Lausanne. Der 76-Jährige erinnert sich noch bestens an seine Zeit in Aarau. «Es war schön – alles ist im ‹Aarauerhof› verkehrt.» Das Hotel war bis gegen die Jahrtausendwende eines der wichtigsten gesellschaftlichen Zentren der Kantonshauptstadt. Und der Betrieb lief gut. Das weiss man, weil der «Aar­auerhof» eine Publikumsaktiengesellschaft war. Eine mit legendären Generalversammlungen. So hat der «Aarauerhof» im Geschäftsjahr 1998/99 (damals unter der Führung von Claudia Rüttimann und Dominik Wyss) erstmals über sechs Millionen Franken Umsatz gemacht. Der «Aarauerhof» hatte zu seinen besten Zeiten 75 Angestellte (7-Tages-Betrieb). Er profitierte stets davon, dass er äusserst zentral beim Bahnhof Aarau steht.

Dem Stararchitekten liefen die Kosten davon

Der Start des «Aarauerhofs» war sehr schwierig: Das Gebäude von Stararchitekt Justus Dahinden (im April im Alter von 94 Jahren gestorben) polarisierte: Viele trauerten dem alten, nicht so modern aussehenden «Aarauerhof» nach. Und der Bau des neuen Hotels kostete viel zu viel: 14 statt der budgetierten 8 Millionen Franken, wie sich Jaeger erinnert. Schon in den Siebzigerjahren war ein Kapitalschnitt nötig. Der Anteil des Hauptaktionärs Feldschlösschen stieg von 70 auf über 90 Prozent. Doch bis zum Going Private hatte die Gesellschaft Kleinaktionäre, von den viele aus dem Kreis der Kaufmännischen Gesellschaft stammten, die den Betrieb 1920 (damals «Gerber Terminus») vor dem Untergang gerettet hatte.

Erster Direktor des neuen «Aarauerhofs» war Urs Geiger. Roland W. Jaeger übernahm im Mai 1975 und leitete die grosse Blütezeit ein. Er blieb bis 1983 operativer Chef und kam dann 1986 als Hauptaktionär zurück (Feldschlösschen hatte einen Käufer für ihr Aktienpaket gesucht). 2004 verkaufte Jaeger an den Zürcher Hotelier und Gastronomen Peter Horneck. In Rekordzeit, wie sich Jaeger erinnert. Horneck schein vor allem am guten Standort interessiert gewesen zu sein (wie jetzt die APK). Mit dem Handwechsel ging die Zeit der Publikumsaktiengesellschaft zu Ende. Die Treffen der «Fressaktionäre» gab es fortan nicht mehr.

Der Betrieb hatte seinen Zenit überschritten. Peter Horneck renovierte, gab Impulse, doch der «Aarauerhof» erreichte nie mehr das Niveau der alten Blüte. 2012 verkaufte er an die ZFV-Unternehmungen, die zuletzt ein Neubauprojekt entwickeln liessen, jetzt aber, auch wegen Corona, kapitulierten.

«Die Abläufe waren gut, die Zimmer zu klein»

Lange Zeit profitierte der Hotelbetrieb davon, dass es in Aarau noch Industrie gab (Sprecher+Schuh, Kern, Bally). Das Loch im Sommer überbrückte man, wie sich Jaeger erinnert, mit belgischen Car-Touristen, die eine Woche lang blieben (Halbpension) und von Aarau aus Tagesausflüge machten.

Es fanden Seminare und Kongresse statt, an den Wochenende Bälle aller Art. In den Räumen im ersten Stock, dort, wo es anfänglich die sehr speziellen orangen Decken hatte. Überhaupt die Architektur – sie blieb ein ewiges Diskussionsthema. Aus Sicht des Hotelbetreibers sagt Jaeger: «Die Abläufe waren gut, die Zimmer zu klein. Und alles wirkte etwas zu kalt.»

Gastronomisches Aushängeschild war viele Jahre die «General Herzog»-­Stube. Sie sei wegen ihres Menues gastronomique zu vernünftigen Preisen lange sehr gut gelaufen, sagt Jaeger. Im Jahr 2000 wurde sie durch das «Le Méd» ersetzt. Neu gab es provencalische, spanische und italienische Tafelfreuden.

Das Jeansverbot im Dancing war ein Politikum

Wichtig für den «Aarauerhof» war, was im ersten UG passierte – und da gings so richtig ab. Bis 1990 immer wieder mit Live-Musik. Und Stars wie Percy Sledge, Roy Black, Rex Gildo und allen Schweizer Grössen wie Pepe Lienhard oder Hazy Osterwald. Die Nachtschwärmer freuten sich über ein Lokal, das bis um 2 Uhr in der Früh (manchmal auch länger) offen war. Es hiess zuerst «Happy Night», dann «Happy Landing» und schliesslich «Concorde». Legendär waren die Member-Abende (das lange Schwarze war Pflicht) und die Modeschauen. Und rein kam nur, wer die Prüfung durch den Türsteher (er blickte durch ein Türchen raus) überstand. Es herrschte ein Jeans-Verbot, das immer wieder für giftige Leserbriefe sorgte und, wie es Jaeger heute sagt, ein Politikum war. 1989 war die Zeit der Live-Musik endgültig vorbei, unter dem Namen «Concorde» wurde eine Disco betrieben (in Kooperation mit dem «Mirage» Baden). 2005 folgte das «dok25» von Christian Rettenbacher und David Gygax. Es war bis Ende 2009 in Betrieb. Dann wurde das Ausgangslokal in einen Wellnessbereich umgewandelt.

Ab heute herrscht im ganzen Haus die grosse Leere. Die Zeit des «Aarauerhofs» ist vorbei – was bleibt, ist die Erinnerung.