
Katrin Burgherr: «Es braucht Zeit, eine neue Identität aufzubauen»
Frau Burgherr, Sie sind seit rund drei Jahren Frau Gemeindeammann. Was ist für Sie das Spannendste an Ihrer Aufgabe?
Katrin Burgherr: Das grosse Spektrum verschiedenster Themen, die wir bearbeiten, ist sehr interessant und lehrreich. Die vielen Zusammenhänge sind herausfordernd und spannend zugleich. Ich konnte viele neue Kontakte knüpfen, das Netzwerk wird immer grösser. Auch die Zusammenarbeit im Gemeinderatsgremium und in der Verwaltung gefällt mir. Zusammen an einem Strick zu ziehen gibt Motivation.
Gibt es eher schwierige Aspekte?
Die Bedürfnisse und Ansprüche der verschiedenen Interessengruppen unter den gegebenen Ressourcen und Vorgaben unter einen Hut zu bringen, ist oft sehr herausfordernd, schwierig – oder gar nicht zu meistern. Auch reichen getroffene Entscheide oft sehr weit. Nicht selten prägen sie die Gemeinde über unsere Amtszeit hinaus; das ist im aktuellen Gemeinderat so, war aber auch schon bei unseren Vorgängern der Fall.
Seit zwei Jahren sind Reitnau und Attelwil fusioniert. Sind die Ortsteile in der Zwischenzeit zu einer Gemeinde zusammengewachsen?
Ich kann mit Freude sagen, dass die Fusion geglückt ist. Ich bin sehr stolz auf unsere Einwohnerinnen und Einwohner, wie sie mitgemacht, mitgewirkt und mitgefeiert haben. Das Zusammenwachsen zu einer neuen Gemeinde braucht sicher noch einige Zeit, ebenso das Aufbauen der Identität des neuen Dorfes.
Gibt es noch Umsetzungsarbeiten bezüglich der Fusion?
Ja, es gibt immer noch Umsetzungsarbeiten, die vor allem die Verwaltung betreffen und die nicht zu unterschätzen sind. Wir haben die Fusion auch zum Anlass genommen, vieles aufzuarbeiten und neu zu organisieren. Wichtige Reglemente beispielsweise wurden neu aufgegleist und müssen jetzt umgesetzt werden. Ein grosser Brocken ist die Digitalisierung; auch hier haben wir die Fusion zum Anlass genommen, vorwärtszumachen.
Reitnau hat als letzte Gemeinde der Melioration im Suhrental zugestimmt. Dabei werden landwirtschaftliche Parzellen neu angeordnet, zudem werden Bäche freigelegt und das Wegnetz erneuert. Ein grosser Brocken.
Ja, ich bin froh, dass wir dieses Projekt aufgleisen konnten. Obwohl wir auf weite Sicht Geld sparen, ist diese Investition ein grosser Brocken für uns, der unser Budget sehr belastet. Der Nutzen ist für uns aber unbestritten – und wird nach einer langen Ausführungsphase vorausschauend für die nächsten Generationen sein.
Was sind die weiteren grossen Herausforderungen, die auf die Gemeinden zukommen?
Beispielsweise Strassensanierungen, die wir in nächster Zeit anpacken müssen. Zudem haben wir viele Liegenschaften, bei denen genau analysiert werden muss, ob der Unterhalt und die Weiterbewirtschaftung Sinn machen oder ob andere Optionen gesucht werden müssen. Das Schulhaus in Attelwil beispielsweise steht seit längerem leer; hier ist eine Umnutzung in ein Gewerbehaus geplant. Interessenten als künftige Mieter gibt es bereits.
Wie geht es mit der Oberstufe weiter?
Die Oberstufe Schöftland führt den Aussenstandort in Reitnau sicher bis ins Jahr 2022. Diesen würden wir sehr gerne beibehalten, sowohl als Standortvorteil wie auch aus wirtschaftlicher Sicht.
Die Schüler von Wiliberg gehen ab nächstem Schuljahr in Reitnau zur Schule. Wie wichtig ist dieser Schritt für die Schule Reitnau?
Es ist ein wichtiger Schritt, der die gute Zusammenarbeit unter den Nachbargemeinden aufzeigt. Wir freuen uns, wenn die Schülerinnen und Schüler zu uns kommen, verstehen aber auch die Wehmut Wilibergs, keine Schule mehr zu haben. In der gegebenen Situation ist es sicher das Beste für alle – wir heissen die Wiliberger Kinder herzlich willkommen!
In Attelwil ist die Überbauung Dörfli mit fünf Mehrfamilienhäusern und rund 60 Wohnungen geplant. Wo steht das Projekt?
Der Gestaltungsplan ist in der Genehmigungsphase, danach können die Initianten ihr Baugesuch einreichen. Für die Gemeinde wäre es ein interessantes Projekt, auch mit der Infrastruktur für betreutes Wohnen und dem Publikumsbereich.
Wie soll sich die Gemeinde langfristig entwickeln?
In unserer Gemeinde herrscht zurzeit ein grosser Bauboom – wo man hinsieht, wird gebaut. Reitnau sieht den Zuwachs vor allem im Bereich der Einfamilienhäuser und Familien, was uns sehr freut. Als kleinere, ländliche Gemeinde heben wir unsere Vorteile hervor und sind überzeugt, dass viele Menschen genau diese ländliche Wohnqualität suchen. Was bei uns wie in jeder Gemeinde wichtig ist: Dass auch gute Steuerzahler unser Dorf schätzen. Unser Slogan ist «naturnah und zentral» – von hier aus erreicht man die drei Autobahnanschlüsse Kölliken, Reiden und Sursee in jeweils rund zehn Minuten.
Dank der Fusion ist Reitnau eine der vermögendsten Gemeinden im Bezirk Zofingen. Was macht die Gemeinde mit dieser Möglichkeit?
Durch die Fusion konnten wir uns ein schönes Polster anlegen, das stimmt. Leider sind die Steuereinnahmen tiefer als ursprünglich angenommen. Das frisst jedes Jahr einen Teil des Vermögens weg. Also ist die Frage für die weitere Planung des Gemeinderats, abzuwägen, was besser ist: Die Steuern zu erhöhen, um das jährliche Defizit aufzufangen – oder unser Vermögen zu verzehren und im Moment zu profitieren.
Reitnau steht jetzt bei 114 Prozent. Wann kommt die nächste Steuererhöhung?
Dass wir die Steuern erhöhen, ist klar. Das wussten wir bei der Fusion schon. Die Frage ist, in welchen Schritten und in welchem Zeithorizont. 2021 machen wir keine, alles andere ist offen. Das Budget belasten vor allem auch die nicht beeinflussbaren Kosten, die von Bund und Kanton vorgegeben werden, sowie der neue Finanzausgleich. In der Kombination mit tieferen Steuereinnahmen sind das schwierige Voraussetzungen für kleinere Gemeinden.
Das ganze Land steht angesichts der zweiten Coronawelle wieder vor grossen Herausforderungen. Wie gehen Sie damit um?
Finanziell sind die Folgen noch nicht genau abzuschätzen, die werden mit einer gewissen Verzögerung sicher auf uns zu kommen. Im sozialen Leben geht natürlich sehr vieles verloren, was zu einem lebendigen Dorfleben beiträgt. Es ist wichtig, unter den gegebenen Umständen die sozialen Kontakte nicht zu vernachlässigen und neue Wege für Begegnungen zu suchen. Ich wünsche mir, dass in dieser Zeit der gute Zusammenhalt und die vielen guten Beziehungen im Dorf uns allen zugutekommen.