
Schweizer Kulturschaffende sind ratlos und bangen um ihre Existenz: Wer freiwillig wegen Corona schliesst, kriegt nichts
Die Fallzahlen steigen, die Corona-Bremse wird angezogen. Zum Teil sind schon einschneidende Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie verfügt worden, weitere werden folgen. Bei den Kulturschaffenden quer durch alle Sparten, dazu gehören auch Veranstaltungstechnik und Zulieferer, herrscht Alarmstufe rot. Viele Kulturbetriebe stehen vor dem Nichts und sind in ihrer Existenz bedroht. Die Reserven sind schon vom ersten Lockdown aufgebraucht.
Erschwerend ist, dass viele Kantone die Ausfallentschädigungen für das letzte halbe Jahr noch nicht oder nur zum Teil ausbezahlt haben. Einige kantonale Stellen sind überfordert.
Der Kulturbetrieb lohnt sich nicht mehr
In den Kantonen Bern und Wallis mussten schon alle Kinos, Museen, Konzert- und Theaterhäuser schliessen. In anderen Kantonen hagelte es schon letzte Woche Konzertabsagen. Die Musikclubs können oder wollen den Betrieb unter verschärften Bedingungen nicht aufrechterhalten. Viele, wie die Schüür in Luzern oder das Kiff in Aarau, haben temporär geschlossen. «Der Betrieb lohnt sich nicht mehr», heisst es zum Beispiel beim Kiff.
Das Problem: Wer freiwillig schliesst, kriegt nichts. Denn gemäss aktueller Verordnung haben Selbständigerwerbende nur dann Anspruch auf Ausfall-Entschädigung, wenn eine Veranstaltung von der zuständigen kantonalen Behörde oder auf Bundesebene verboten oder nicht bewilligt wurde. Bei einigen Veranstaltern wird deshalb der Verdacht geäussert, dass die Verordnung des Bundes absichtlich so formuliert wurde, damit keine Entschädigung bezahlt werden muss.
Bei den betroffenen Veranstaltern, Künstlerinnen und Künstler herrscht deshalb grosse Verärgerung, die totale Verwirrung, Verunsicherung und Ratlosigkeit. «Wir können euch momentan keine Empfehlung geben, ob und wie ihr Erwerbsersatz beantragen sollt», sagt Christoph Trummer von «Sonart», dem Schweizer Verband der Musikschaffenden.
Auch die grossen, die hochsubventionierten Veranstalter wissen bald nicht mehr, wie sie weitermachen und weiterplanen sollen. Das Opernhaus Zürich hat sein Ballett in Quarantäne gesetzt, die Orchester kann es jede Stunde treffen. Kurzfristige Absagen von Künstlern häufen sich.
Forderungen der Task Force Culture
Die Task Force Culture, ein Zusammenschluss aller wichtigen Verbände von Musik über Tanz, Theater, visuelle Kunst, Festivals und Clubs, hat deshalb übers Wochenende getagt und verlangt von den zuständigen Behörden eine rasche und unbürokratische Leistung der versprochenen finanziellen Unterstützung. Dazu hat sie Forderungen aufgestellt: Schweizweit einheitliche Regelungen für Kulturveranstaltungen; Einbezug der Kulturverbände bei der Ausgestaltung der gesamtwirtschaftlichen Massnahmen (Kurzarbeit, Corona-Erwerbsersatz) und frühzeitige Information der Kulturverbände über Pandemiemassnahmen und Einbezug bei der konkreten Umsetzung.
Die Task Force zeigt Verständnis für die nötigen Massnahmen zur Pandemieeindämmung und weist darauf hin, dass die Schweizer Kulturbranche die Verordnungen des Bundes «engagiert umgesetzt, funktionierende Schutzkonzepte erarbeitet und konsequent angewendet» habe. «Nur selten stecken sich Menschen bei Kulturanlässen an», heisst es. Die Kulturbranche hat ihren Beitrag geleistet, jetzt sind die Behörden dran, um das Überleben der Schweizer Kulturbranche zu sichern.
«Die momentan herrschende Unsicherheit macht das Planen von Veranstaltungen unmöglich. Die Sponsorensuche ist deutlich erschwert, wenn keine Anlässe mehr stattfinden oder das Risiko hoch ist, dass geplante Veranstaltungen abgesagt werden müssen,» schreiben die Kulturschaffenden und warnen: «Die Zeit drängt».
Wäre ein temporärer Kulturlockdown das Beste?
Aber auch das Kulturpublikum ist verunsichert. Viele haben Angst. Im KKL Luzern stagnieren die Ticketverkäufe seit Wochen. Die Tonhalle Maag meldet zwar «ausverkauft», doch effektiv werden nicht mal die Hälfte der 1100 Plätze verkauft. In den Theatern Bern und St. Gallen, aber auch im Opernhaus Zürich, fühlen sich viele Besucher äusserst unwohl, da man ohne Abstand im Saal sitzt, auf das Contact Tracing und die Maske vertraut wird.
Die Gesundheit der Menschen sollte oberste Priorität haben. Man muss sich deshalb ernsthaft fragen, ob ein beschränkter, kultureller Lockdown in dieser heissen Phase der Pandemie nicht die beste Lösung wäre. Sie würde auch die nötige und gewünschte Klarheit schaffen. Umso wichtiger wäre aber auch, dass Bund und Kantone für die Ausfälle aufkommen. Zur Rettung der Schweizer Kultur.