Lokführermangel bis im April – SBB-Chef Vincent Ducrot sagt: «Ich schäme mich»

Der oberste Chef der SBB schämt sich. Für den Lokführermangel und für die damit verbundenen Zugsausfälle. Und das, obwohl Vincent Ducrot sein Amt erst mitten in der Coronakrise übernahm – also lange nachdem es die Schweizerischen Bundesbahnen verpasst haben, neue Lokführer zu rekrutieren. «Für mich ist diese Situation doppelt ärgerlich», sagte Ducrot an der Präsentation der Halbjahresergebnisse vom Donnerstag. «Einerseits, weil wir es schon jahrelang verschlafen haben, die Rekrutierung der Lokführer voranzutreiben und andererseits, weil es jetzt an mir liegt, die schlechten Nachrichten zu verkünden. Dafür schäme ich mich.»

Trotz des Ärgers gab sich Ducrot vor den Medien gelassen. «So bin ich einfach. In solchen Situationen cool zu bleiben, ist meine grosse Stärke.» Und Coolness braucht es. Denn seitens der Kantone hagelt es Kritik. Der Kanton Solothurn spricht von einem «Armutszeugnis der SBB». Die Aargauer fühlen sich wegen der vielen Ersatzbusse und gestrichenen Verbindungen als «Fahrgäste zweiter Klasse». Darauf angesprochen, hielt sich der SBB-Chef kurz. «Natürlich ist es unschön. Aber wir können die Situation nicht von heute auf morgen ändern.»

«Wir haben keine andere Wahl, als Züge ausfallen zu lassen»

Allein in der Region Genf fehlen derzeit ein Drittel aller Lokführer. Und es braucht Geduld: Erst im April ist eine Erholung absehbar. Auch Aarau und Olten trifft es hart. Dort sollte der Mangel aber laut Ducrot bis zum Fahrplanwechsel Ende Jahr behoben sein. «Ich liebe die Aarauer», sagte Ducrot. «Und ich liebe diese Region. Aber wir haben keine andere Wahl, als gewisse Züge ausfallen zu lassen. Wir können nicht zaubern.» Neue Lokführer würden nicht einfach aus dem Boden wachsen. Man müsse sie zuerst rekrutieren, dann ausbilden.

Doch gerade das verzögert sich wegen der Coronakrise weiter, da die Ausbildungsklassen nicht in der gleichen Anzahl besetzt werden können wie gewöhnlich. Gleichzeitig werden viele Lokführer pensioniert. Diese seien jeweils auf die verschiedenen Lokomotiven und die einzelnen Strecken spezialisiert. «Bei uns funktioniert es nicht wie bei einem Führerausweis, mit dem man jedes Auto fahren kann», erklärte Ducrot. «Jeder Lokführer fährt nur die Züge und die Strecken, für die er ausgebildet wurde.» Deshalb komme es regional zu solchen Unterschieden.

Bis Ende Jahr wollen die SBB 250 Millionen Franken sparen

Auch finanziell gesehen hat sich die Coronakrise erwartungsgemäss voll auf die Zahlen niedergeschlagen. «Wenn man ein halbe Milliarde Verlust schreibt, darf das Management nicht mehr schlafen», sagte Ducrot. Dennoch haben die SBB auf ein eigentliches Sparprogramm verzichtet. Gleichzeitig sagte der Freiburger: «Wir drehen jeden Franken um.» Gespart werde etwa bei den Ausgaben für die Informatik oder die Werbung. Hinzu kommt ein Einstellungsstopp in den Verwaltungsbereichen. Insgesamt sollen so bis Ende Jahr 250 Millionen Franken gespart werden. Unangetastet bleiben die Investitionen für die Bahninfrastruktur, wie Ducrot versicherte.

Die Auslastung in den Zügen ist während des Corona-Lockdowns massiv eingebrochen.

Die Auslastung in den Zügen ist während des Corona-Lockdowns massiv eingebrochen. © Anthony Anex / KEYSTONE

Am stärksten gelitten hat im ersten Halbjahr der Personenverkehr. Zeitweise sank die Auslastung im Fernverkehr um 85 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Der Fernverkehr allein musste deshalb einen Betriebsverlust von 260 Millionen Franken hinnehmen, der Regionalverkehr schlug mit einem Minus von 146 Millionen zu Buche. Trotz des Konzernverlusts von insgesamt 479 Millionen Franken sei die Liquidität aber auch über das laufende Jahr hinaus gesichert, sagte Finanzchef Christoph Hammer im Gespräch. Konkrete Zahlen nannte er nicht, die Bilanz nach dem ersten Halbjahr veröffentlichen die SBB nicht. In den Monaten, als Corona in der Schweiz am heftigsten wütete, seien dem Unternehmen zwischen 150 und 200 Millionen Franken pro Monat abgeflossen.

Zahlen sollen sich Ende Jahr wieder der schwarzen Null annähern

Der Bund hat inzwischen reagiert und die Kreditlimite für die SBB von 200 auf 750 Millionen Franken erhöht. Zudem würden nun Gespräche über mögliche Szenarien mit dem Bund geführt, sollte sich die Situation in nächster Zeit nochmals drastisch verschlechtern, sagte Hammer. Der Bund greift den SBB aber auch so unter die Arme: Er kompensiert die Verluste im Regional- und Güterverkehr sowie im Bereich der Infrastruktur.

SBB-Finanzchef Christoph Hammer.

SBB-Finanzchef Christoph Hammer. © Anthony Anex / KEYSTONE

Der Verlust im zweiten Halbjahr werde sich laut Hammer in engen Grenzen halten, die SBB näherten sich nun wieder der schwarzen Null an. In den Medien kursierten Prognosen über einen Jahresverlust von 700 Millionen Franken. Dies bezeichnete Hammer als nicht realistisch. Dennoch werde das Unternehmen mehrere Jahre brauchen, um die roten Zahlen wieder wett zu machen, sagte Ducrot.

Der übliche Apéro für die anwesenden Journalisten fielen den Sparmassnahmen der SBB ebenfalls zum Opfer. Ducrot erwähnte dies als Beispiel der Anstrengungen des Unternehmens, Kosten zu senken. «Das ist kein Witz», betonte er, um offenbar zu unterstreichen, wie ernst es ihm mit dem Sparen ist.