
Gemeindepräsident Philipp Bucher: «Die Verantwortung war nie eine Last»
Zur Person
Philipp Bucher (54) hat sich 16 Jahre lang in der Gemeindepolitik von Dagmersellen engagiert. 2004 wurde er für die FDP in den Gemeinderat gewählt, seit 2008 ist er Gemeindepräsident. 2015 erfolgte seine Wahl in den Kantonsrat, er ist unter anderem Mitglied der Planungs- und Finanzkommission. Beruflich war Bucher über 28 Jahre lang als Maschinentechniker bei Müller Martini in Zofingen tätig. Nach der Wahl in den Kantonsrat reduzierte er 2015 sein Arbeitspensum. Seither arbeitet er bei Heppenstall Technology in Cham. Bucher ist verheiratet und hat zwei Söhne. (ben)
Herr Bucher, der Kabarettist Mike Müller führte in Dagmersellen sein Solo-Stück «Heute Gemeindeversammlung» auf. Sie waren an der Vorführung. Haben Sie sich, oder andere, in den verschiedenen Rollen wiedererkannt?
Philipp Bucher: Natürlich. Es war spannend. Mike Müller hat das Wesen einer Gemeindeversammlung gut getroffen. Den Gemeindepräsidenten spielte er etwas nonchalant. So habe ich mich nicht gesehen. Bei der Rolle des «Hab-eggers» – «der Neuzuzüger, der zu jedem Thema irgendetwas Kritisches sagt» – hatte ich ein Déja-vu. Bei uns gibts etwa zwei «Habeggers» (lacht).
Wie fühlt es sich an, das Amt als Gemeindepräsident in wenigen Tagen nach 12 Jahren abzugeben?
Ich werde viel gefragt, ob ich froh bin. Dann sage ich: Nein. Ich war dankbar, dass ich das machen durfte. Aber nach vier Legislaturen ist auch der richtige Zeitpunkt gekommen, um zu sagen: «Das wars jetzt.» Im Wissen natürlich, dass ich einen sehr guten Nachfolger habe. Ich wollte nicht der Gemeindepräsident werden, bei dem alle aufatmen, wenn er endlich abtritt.
Sind Sie erleichtert, die Verantwortung nicht mehr tragen zu müssen?
Wir sind fünf Gemeinderatsmitglieder, und der Präsident ist der primus inter pares. Wir haben die Verantwortung gemeinsam getragen. Natürlich hat man diese gespürt und es gab anspruchsvolle Geschäfte. Aber ich habe die Verantwortung nie als Last empfunden und konnte mir immer Rat holen.
Wenn Sie zurückblicken an Ihre politischen Anfänge – 2004 wurden Sie in den Gemeinderat gewählt – was ist Ihnen im Gedächtnis geblieben?
Zuerst musste ich lernen, mich auf der politischen Bühne zu bewegen.
Wie muss man sich denn bewegen in der Politik?
Ich bin grundsätzlich ein Mensch, der eine Meinung hat und diese auch äussert. Aber ich weiss, dass es auch andere Ansichten gibt. Als Exekutivmitglied muss man sich manchmal gut überlegen, was man sagt – und vor allem, wie man es sagt. Man muss auch gut zuhören können.
Werden Sie als Gemeindepräsident viel angesprochen im Dorf?
Ja. Ich arbeitete immer auswärts. Aber abends und am Wochenende besuchte ich Anlässe, war beispielsweise bei Konzerten der Jodler, der Musikgesellschaften oder des Handharmonikaclubs, einen Handballmatch schauen, und da gab es immer wieder Kontakte. Die Bürger haben geschätzt, dass man mich unkompliziert ansprechen konnte und dass es keine Themen gab, die man nicht diskutieren konnte. Wenn es heikel war, konnte man auch einen Termin abmachen oder mir ein Mail schreiben.
Erlebten Sie auch Anfeindungen?
Es gab zuweilen kritische Fragen. Wir haben aber eine gute Streitkultur in unserer Gemeinde und lassen Gegenargumente gelten.
Der Ton ist rauer geworden in politischen Auseinandersetzungen. Auch in Dagmersellen?
Die Bürger sind besser informiert und kritischer. Das ist einerseits spannend in einer Demokratie. Für die Verantwortungsträger wird es sicher anspruchsvoller. Am Ende sind die politischen Entscheide dafür breiter abgestützt.
Wie hat sich Dagmersellen in Ihrer Amtszeit in der Gemeindepolitik verändert?
Ich kam 2004 in den Gemeinderat, 2006 erfolgte die Vereinigung mit Buchs und Uffikon. Seither sind wir massiv gewachsen. Zum Zeitpunkt der Vereinigung waren wir 4400, jetzt über 5600 Einwohner. Die letzten Jahre haben wir viel Geld in eine gute Infrastruktur investiert. Im Bereich Industrie ist viel Neues entstanden, vor allem im Gebiet von Armasuisse. Und es geht weiter. Der Schweizerische Plattenverband wird sein Ausbildungszentrum in Dagmersellen stark erweitern.
Gibt es Meilensteine, auf die Sie besonders stolz sind?
Unsere Vorgänger haben gute Voraussetzungen geschaffen, auf denen wir aufbauen konnten. Uns ist es gelungen, eine sehr gute Infrastruktur bei Strassen und Leitungen zu schaffen, wir hatten die Mittel dafür. Für das Projekt FAKT mit der Sanierung und dem Umbau des Gemeindehauses sowie den Neubauten von Feuerwehr, Schulräumen und einer Tiefgarage haben wir mehr als 6 Millionen Franken investiert. Die Sanierung und die neue Tribüne der Sporthalle kosteten 3,7 Millionen Franken. Der Ersatz der alten Turnhallen durch eine Mehrzweckhalle ist in der Pipeline.
Wie steht es um die Gemeindefinanzen?
Dagmersellen steht finanziell gut da. In der Region haben wir mit 1,85 Einheiten nach Altishofen (1,7) und Nebikon (1,8) den dritttiefsten Steuerfuss. Zudem haben wir dieses Jahr ein Pro- Kopf-Vermögen von knapp 400 Franken, das erste Mal in meinen 16 Jahren im Gemeinderat. Doch das ist eine Momentaufnahme.
Was werden Sie vermissen?
Die gute Zusammenarbeit im Gemeinderat. Aber auch die Zusammenarbeit und den guten Austausch mit der Gemeindeverwaltung, den ich immer sehr geschätzt habe. Ich werde auch vermissen, immer gut informiert zu sein.
Und worauf können Sie ab Ende August gerne verzichten?
Ich kann da eigentlich keine Antwort geben. Mir hat es gefallen. Ich werde sicher eigenbestimmter über meine Agenda verfügen können.
Was werden Sie in der freien Zeit tun?
Der Sport hat gelitten die letzten 16 Jahre. Ich hoffe, dass ich wieder mehr Zeit für mein Hobby Velofahren haben werde. Ich bin Ehrenmitglied beim VC Dagmersellen und war über 20 Jahre im Vorstand. Ansonsten wird sicher die eine oder andere neue Aufgabe auf mich zukommen.
Ist Ihre Familie froh, dass Sie ein Amt weniger haben, neben dem Kantonsrat?
Ich hatte eigentlich nie Signale vonseiten meiner Familie, dass sie gelitten hat. Sie hat gemerkt, dass mir das politische Engagement Freude macht, und hat das mitgetragen. Dafür bin ich sehr dankbar. Die Familie wird aber sicher schätzen, dass ich mehr Zeit habe.
Was war Ihr schönstes Erlebnis in ihrer langen Polit-Karriere?
Der Austausch mit den Leuten. Ein Höhepunkt war das Jodlerfest 2009. Beeindruckt hat mich, wie unser Dorf ein so grosses Fest organisieren konnte. Was ich auch immer genossen habe, war, an der Dezember-Gemeindeversammlung den Träger oder die Trägerin des Kulturbatzens bekannt zu geben. Die kleine Zuwendung löst immer grosse Freude aus und ist ein Zeichen von Anerkennung. Wir durften auch mehrmals Edith Wolf-Hunkeler als Rollstuhl-Sportlerin ehren, die mit ihrer Familie hier wohnt.
Und welches waren die schwierigsten Momente?
Die Schwierigkeiten gemeinderatsintern mit Luzia Kurmann (Anm. d. Red.: ehemalige Gemeinderätin, die 2018 vorzeitig zurücktrat). Das war keine schöne Geschichte, nicht nötig und belastend.
Sie hat dem Gemeinderat Vorwürfe gemacht, juristisch nicht immer korrekt gehandelt zu haben.
Frau Kurmann ist auf der rechtlichen Seite gut aufgestellt. Dass muss sie als frühere Regierungsstatthalterin. Ich hätte mir gewünscht, dass sie das Wissen zum Nutzen der Gemeinde einsetzen könnte. Es ging nicht darum, als Gemeinderat die Gesetze nicht einzuhalten. Aber jedes Gesetz hat einen Spielraum. Diesen sollte die Exekutive für die Gemeinde nutzen.
Sie sind Gemeindepräsident und seit 2015 auch Kantonsrat. War das nützlich in der Gemeindepolitik?
Durchaus. Einerseits hat man einen direkteren Draht zur Regierung und auch in die Verwaltung. Es ist eine Plattform mehr, wo man Meinungen einholen kann und Netzwerke pflegen kann. Viele Geschäfte im Kantonsrat betreffen die Gemeinden.
War es schwierig, den Spagat zwischen den beiden Rollen zu schaffen?
Man hat zwei Hüte an. Ich konnte aber immer damit umgehen. Als Gemeindepräsident habe ich ein Interesse, dass es dem Kanton als Ganzes gut geht. Nur dann kann es auch den Gemeinden gut gehen. Als Kantonsrat habe ich das Interesse, dass es den Gemeinden gut geht.
Welchen Tipp geben Sie Ihrem Nachfolger Thomas Riedweg von der CVP?
Ich werde mich hüten, ihm oder dem neuen Rat reinzureden. Markus Riedweg wird sicher das eine oder andere anders machen als ich, aber das ist auch richtig. Ich bin überzeugt, dass es in den grossen Linien so weitergeht wie bisher.