Schweizer Landwirt Matthias Arnold: «Ich gebe jedem Menschen eine Chance»

Herr Arnold, morgen ist der Nationalfeiertag. Wie feiern Sie ihn? 

Matthias Arnold: Um dem Tag gerecht zu werden, stellen wir ein paar Schweizer Fähnli auf. Am Abend grillieren wir gemütlich. 

Was ist mit dem Schweizer Psalm? 

Den kann ich aus meiner Militärzeit noch sehr gut (lacht). Ich finde ihn sehr schön, aber am 1. August singen wir ihn nicht. 

Leben Sie gerne in der Schweiz? 

Ja, sehr gerne. Wir können in Frieden miteinander leben. Das bedeutet grosse Freiheit und ist bereits ein grosser Pluspunkt. Die Topografie gefällt mir und auch das ganze politische System. Ich finde es gut, dass alle verschiedene Meinungen haben können und dafür nicht gleich eingesperrt werden. 

Sie entsprechen einem Schweizer aus dem Bilderbuch: Ein Landwirt, der mit seiner Familie auf dem Land lebt und seine Freizeit dem Schwingen widmet. Jetzt fehlen nur noch das Schwyzerörgeli, der Schnupftabak und der Käse. 

(lacht) Das habe ich noch nie so wahrgenommen. Obwohl ich es mir nicht nur ausgesucht habe, fühle ich mich in meiner Haut wohl. «Örgele» kann ich nicht, finde es aber sehr schön. Schnupftabak ist nicht so mein Ding, Käse habe ich sehr gern. Beim Schwingen hätte ich nie gedacht, dass ich nach meiner Karriere noch so aktiv bleibe. Das Schwingen gehört zur Schweiz. Dann trifft sich das Schweizervolk, auch diejenigen, die sonst nicht gerne aus dem Haus gehen (lacht). 

Wie würden Sie das Schweizervolk beschreiben? 

Wir sind eine relativ seriöse Gesellschaft, die Verantwortung gegenüber dem eigenen Land trägt. Wir sind pflichtbewusst und tragen auch Sorge zu Schichten, die ärmer sind. Manchmal sind wir auch ein bisschen eigensinnig. Was ausserdem sehr wichtig ist für uns: Pünktlichkeit. 

Gibt es etwas, das die Schweiz von einem anderen Land lernen könnte? 

Jedes Land hat seine Vorteile. Nur weil bei uns vieles funktioniert, heisst das nicht, dass wir besser sind als andere Länder. Gerade Menschen aus ärmeren Ländern sind oft mit weniger zufrieden. Da merkt man als Schweizer schnell, wie gut es einem geht. Hier haben die Leute manchmal Probleme, die eigentlich gar keine sind. 

Könnten Sie sich vorstellen, in einem anderen Land zu leben? 

Wenn meine Familie mitkommt, ja. Ich bin eine Person, die sich schnell akklimatisiert. Wenn die Menschen rundherum stimmen und mich annehmen, fühle ich mich bald wohl und zuhause. Auswandern ist aber im Moment kein Thema. 

Was ist Ihre Meinung zu Immigranten und Flüchtlingen in der Schweiz? 

In den allermeisten Fällen sind es ja Leute, die aus einem Land kommen, in dem Krieg geführt wird. Ich bin der Meinung, dass wir diesen Menschen helfen sollten. Schliesslich sind es Personen wie wir auch, nur müssen sie um ihr Leben rennen. Was ich aber nicht unterstützen kann, sind Leute, die nur unter diesem Vorwand herkommen und damit allenfalls das System für sich nutzen. Es darf unter dem Strich nicht sein, dass es diesen Personen besser geht als anderen, die hier ihre Steuern zahlen. 

Schweizer werden häufig eher als intolerant gegenüber Fremdem beschrieben. Wie sehen Sie das? 

Das ist sicherlich ein bisschen so, und das ist schade. In der Schweiz bietet man nicht gleich jemandem sein Gästezimmer an, wenn man die Person nicht kennt. 

Wie sieht es in Reiden aus? 

Reiden hat einen Ausländeranteil von rund einem Viertel aus 43 verschiedenen Nationen. Das ist relativ viel. Dadurch leben hier die verschiedensten Leute, eben auch diejenigen, die vielleicht das System für sich nutzen. Es könnte sein, dass die Reider Bevölkerung durch die Taten von wenigen Personen alle Flüchtlinge in den gleichen Topf wirft und ihnen dementsprechend kritisch gegenübersteht. Das ist schade, denn dadurch leiden auch diejenigen, denen geholfen werden müsste. 

Wie sehen Sie diese Leute? 

Ich habe keine negativen Vorurteile ihnen gegenüber. Ich überlege mir vielmehr, was die Person in ihrem Leben macht und welchen Hintergrund sie hat. Ich finde es nämlich nicht problematisch, dass sie hier sind. Die wichtigere Frage ist doch: Wie geht es weiter? Wie sieht ihre Zukunft in der Schweiz aus? 

Also haben Sie keine Vorurteile? 

Wenn ich zu einem Hochsicherheitsgefängnis laufe, dann habe ich natürlich Vorurteile gegenüber den Personen, die dort drinnen sind. Jeder hat Vorurteile, meistens aber unterbewusst. Die Frage ist, wie man diese einordnet und ob sie wirklich stimmen. Wichtig ist für mich, dass ich mit meinen unterbewussten Vorurteilen einer Person gegenüber nicht ungerecht bin. Ich bin optimistisch und möchte jedem Menschen eine Chance geben. 

Hat jemand über Sie geurteilt, bevor er Sie kannte? 

Als ich in Kanada meine Verwandten besuchte, nahm ich an einem Schwingfest teil. Als Schweizer Kranzschwinger wurde ich gleich bei den Besten eingeteilt. 

Eine Situation mit negativen Vorurteilen haben Sie demnach nicht erlebt? 

Das ist sicher häufig passiert, aber solche Situationen versuche ich bewusst aus meinem Gedächtnis zu löschen. Ich sammle keine schlechten Ereignisse, das befreit. 

 

«Achtung, fertig, Vorurteile» – Das sagt Matthias Arnold zu den gängigen Vorurteilen gegenüber Schweizern 

 

Schweizer lieben Käse und Schokolade. 

Dem würde ich zustimmen. Auch ich liebe beides. 

Schweizer sind pünktlich. 

Das stimmt auch. Und es ist für sie auch wichtig, dass es die anderen sind. 

Schweizer sind eher kühl und distanziert. 

Nicht alle. Meiner Meinung nach sind die Leute auf dem Land eher offen, während die Menschen in der Stadt eher distanziert sind. Letztere wissen manchmal nicht einmal, wer im gleichen Haus wohnt. Aber ich glaube auch, sie sind sehr offen, wenn man sie erst einmal kennenlernt. 

Ein guter Schweizer hat ein Sackmesser zuhause. 

Zuhause ja, er muss aber nicht unbedingt eins in der Hosentasche haben. 

Für Schweizer ist Sparen wichtig. 

Dem würde ich zustimmen. Für einen grossen Teil der Schweizer Bevölkerung stimmt das sicher, vor allem bei der älteren Generation. 

Schweizer sind neutral gegenüber jedem Thema. 

Das ist sicher nicht immer so, aber man soll die Neutralität im Hinterkopf behalten. Es ist eine gute Ausgangslage für Diskussionen, wenn man neutral an ein Thema rangeht. 

Viele Schweizer sind steinreich. 

Viele nicht, aber es gibt diejenigen, die richtig reich sind. Auch der Mittelschicht geht es gut, aber wir haben auch ärmere Leute. Glücklicherweise kümmern wir uns um sie. 

Schweizer reden nicht gerne über Löhne und ihr persönliches Abstimmungsverhalten. 

Ja, dem würde ich zustimmen. In der Regel stimmt man ja an der Urne ab, was den Vorteil mit sich bringt, dass man nicht preisgeben muss, wie man abstimmt. Das ist auch gut, denn so stimmt man frei ab. An einer Gemeindeversammlung mit Handerheben schauen manche, wie der Nachbar sich entscheidet, und stimmen dann gleich. 

Schweizer haben gerne Ordnung. 

Ja, man hätte gerne Ordnung, aber man hat sie nicht immer (lacht). Manchmal ist es im Alltag nicht immer möglich, Ordnung zu halten. Dann holt man es am Wochenende nach. 

Privatsphäre ist den Schweizern sehr wichtig. 

Ja, das kenne ich aus eigener Erfahrung. Ich bin sehr gerne mal nur in den eigenen vier Wänden. Sich privat zurückzuziehen und mit der Familie zusammenzusein, finde ich sehr erholsam und schön. In der Privatsphäre wird auch nicht jedes Wort in die Waagschale geworfen. Man kann so sein, wie man ist. 

Zur Person

Matthias Arnold (37) ist Meisterlandwirt und wohnt mit seiner Frau Cornelia und seinem Sohn Tim im Reidermoos. 2014 gab er den Rücktritt als Aktivschwinger. In seiner Karriere gewann er zwölf Kränze, zehn in der Schweiz, einen in Kanada und einen im Ringen. Im Ehrenamt betreut Matthias Arnold die Schwinger Patrick Räbmatter und Nick Alpiger. Den elterlichen Bauernhof übernahm er als Zweitjüngster von vier Brüdern 2016. Alle Brüder sind heute noch Mitglieder des Schwingklubs Zofingen.