Nicht alle Aargauer Firmen profitieren von Soforthilfe: «Das hat mich sprachlos gemacht»

Da das Angebot von Physiotherapeutinnen und -therapeuten zur Grundversorgung gehört, können sie in der Corona-Krise ihre Praxen weiterhin geöffnet haben. Doch die Kundschaft bleibt aus, die Umsätze brechen ein. Wer dabei eine GmbH oder eine AG im Rücken hat, kann Kurzarbeit beantragen. Nicht so selbstständig erwerbende Physiotherapeutinnen wie Corinne Wiedemeier mit Praxis in Ennetbaden. Sie fällt durch die Maschen und kann nicht vom Massnahmenpaket des Bundes profitieren.

In den zur Verfügung gestellten 42 Milliarden Franken sind zwar auch Erwerbsersatzentschädigungen für Selbstständige enthalten, aber nicht für solche wie Wiedemeier: «Ich muss meine Praxis offen halten, da mein Angebot zur Grundversorgung gehört», sagt Wiedemeier. Von normalerweise durchschnittlich 50 Patienten pro Woche kommen inzwischen aber nur noch drei. «Mein Geschäft ist völlig eingebrochen. Viele meiner Patienten sind über 65 Jahre alt und haben aus Vorsicht ihre Termine abgesagt.» Die drei, die sie noch behandelt, seien akute Fälle, die nicht auf eine Therapie in ihrer Praxis verzichten können.

Verband und Petition wollen das ändern

Es habe sie sprachlos gemacht, als sie erfuhr, dass sie nicht vom Hilfspaket des Bundes profitieren könne: «Als ich mich anmelden wollte, gab es auf dem Formular drei Möglichkeiten zum Ankreuzen, keine traf auf mich zu.» Nach einem Anruf bei der Sozialversicherungsanstalt Aargau (SVA) wusste Wiedemeier endgültig, dass sie tatsächlich keinen Anspruch hat.

Der Verband Physioswiss setzt sich aber für Physiotherapeutinnen wie Wiedemeier ein und forderte in einem Schreiben an den Bundesrat, dass die Regelungen betreffend Erwerbsausfallentschädigung angepasst und Physiotherapeuten der sofortige Zugang zum Massnahmenpaket ermöglicht werden soll. Diese sind nicht die einzigen, die nicht berücksichtigt wurden. Auch selbstständige Taxifahrer, Grafikerinnen, Fotografen und viele mehr können weder Kurzarbeit anmelden noch Erwerbsausfall beantragen, obwohl die normalen Umsätze wegfallen. Deshalb wurde auf der Website change.org eine Petition lanciert, die Corona-Soforthilfe für alle Selbstständigen fordert: «Unzählige selbstständige Einzelunternehmer stehen kurz vor dem Ende und dem Gang zum Sozialamt – nur weil sie aus der Liste der unterstützungsbedürftigen Selbstständigerwerbenden gefallen sind», schreibt der Petitionär. Dies, weil sie keine GmbH seien und nicht direkt von einer Betriebsschliessung betroffen seien, sondern nur indirekt: «Sie haben keine Arbeit und kein Einkommen mehr, weil ihre Kunden pausieren.»

Bereits haben über 42’000 Personen die Petition unterschrieben. Dazu gehört auch Corinne Wiedemeier: «Ich hoffe sehr, dass wir Einzelfirmen doch noch berücksichtigt werden.»

«Der verlorene Umsatz kommt nicht zurück»

Eine etwas bessere Ausgangslage haben da Sissimos Livas und Patrick Hüsler, Inhaber der «Physio& Sport am Bahnhof AG» in Baden, wenn sich auch hier die Anzahl Kunden stark reduziert hat. Von normalerweise 80 bis 100 Patienten pro Tag gibt es inzwischen nur noch fünf Behandlungen täglich. Das hat auch mit den Auflagen des Bundesamts für Gesundheit zu tun: «Wir dürfen nur noch Patienten mit sehr dringlichen Problemen behandeln», sagt Livas. Also diejenigen, die nicht einfach wochenlang auf physiotherapeutische Behandlung verzichten können, weil das eine Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands zur Folge hätte: «Dazu gehören zum Beispiel Therapien nach Operationen und bei akuten, bewegungseinschränkenden Schmerzen.» Seine Mitarbeiter achten dabei darauf, dass die BAG-Richtlinien grundsätzlich eingehalten werden können, auch wenn Berührungen unumgänglich seien: «Wenn die Klienten auf dem Bauch liegen, ist das immerhin ein Extraschutz», sagt Livas.

Da wegen der geringen Kundenzahl nicht alle angestellten Physiotherapeuten arbeiten können, können er und Hüsler von Kurzarbeit profitieren: «Dass die Lohnkosten zu 80 Prozent gedeckt sind, das ist schon mal gut», so Livas. Trotzdem: «Der verlorene Umsatz kommt nicht zurück, und das stellt uns vor finanzielle Herausforderungen, wenn dieser Zustand länger andauert.»