
«Man muss den Alltag neu strukturieren, andere Rituale finden»

Zur Person
Bettina Hübscher leitet seit Oktober die neue Abteilung «Gesellschaft und Gesundheit» der Gemeinde. Die 53-jährige Psychologin wohnt in der Stadt Luzern und leitete dort zuvor die Fachstelle für Altersfragen. Sie hat zuvor lange Zeit Projekte in der Berufsberatung und Berufsbildung geleitet und als Coachin und Berufs- und Laufbahnberaterin gearbeitet. (rzu)
«Reiden solidarisch – das Corona-Virus betrifft uns alle» – unter diesem Motto rief die Gemeinde vor wenigen Tagen eine neue Aktion ins Leben. «Ab sofort werden dringend Freiwillige gesucht, die bereit sind, betagten und anderen unterstützungsbedürftigen Personen aus Reiden Hilfe zu leisten», heisst es darin. Bettina Hübscher von der Abteilung Gesellschaft und Gesundheit koordiniert die Einsätze.
Bettina Hübscher, wie ist die Aktion angelaufen?
Bettina Hübscher: Super. Ich hänge seit zwei Tagen am Telefon und fülle Listen. Am Samstag erreichten mich schon die ersten Mails.
Gibt es erste Zahlen dazu?
Rund dreissig Helferinnen und Helfer und sechs Bedürftige haben sich bereits bei mir gemeldet. Bisher konnte ich insgesamt für acht ältere Menschen Personen vermitteln, die ihnen ab jetzt helfen.
Bei den Bedürftigen, also vor allem den Menschen über 65 Jahren, braucht es noch Überzeugungsarbeit.
Wir gehen davon aus, dass sich noch mehr Hilfesuchende melden werden. Bei einer ähnlichen Aktion in der Stadt Luzern verlief es ziemlich gleich – erst meldeten sich vor allem Helfende, erst mit der Zeit auch Bedürftige. Trotzdem braucht es sicherlich noch Überzeugungsarbeit: Letzte Woche sah ich noch viele ältere Menschen auf Reidens Strassen. Obwohl es doch gerade jetzt wichtig ist, dass die älteren Menschen zu Hause bleiben.
Was raten Sie einer Person aus der Risikogruppe?
Man muss den Alltag neu strukturieren, andere Rituale finden. Ich musste meinem hochbetagten Vater auch nachdrücklich erklären, dass er nicht mehr jeden Tag sein Postfach bei der Poststelle im Dorf leeren gehen soll. Einmal pro Woche reicht auch.
Zurück zur Aktion: Welche Menschen haben sich in erster Linie zum Freiwilligen-Einsatz gemeldet?
Das ist unterschiedlich. Gefreut hat mich, dass sich viele Männer gemeldet haben – insbesondere jüngere, und dazu noch aus allen Ortsteilen.
Sie stehen auch in Kontakt mit dem Feldheim sowie der Spitex Wiggertal. Werden Freiwillige auch in der Pflege eingesetzt?
Nein, Freiwillige stellen sich ausschliesslich für Lieferungen von Nahrungsmitteln oder Medikamenten vors Haus zur Verfügung, oder für Post- und Behördengänge. Mit dem Feldheim und der Spitex sind wir bezüglich Mahlzeitendienst in Kontakt. Weil diese ehrenamtliche Aufgabe sonst vor allem durch ältere Menschen erledigt wird, die nun zu Hause bleiben sollten, vermitteln wir junge Leute.
Welche Aufgaben stehen für Sie die nächsten Tage an?
Wichtig ist, dass das Tagesgeschäft nicht vergessen geht. Die Corona-Krise ist ja eine Ausnahmesituation. Der Plan ist jedoch, dass wir die Informationen zu «Reiden solidarisch» noch in mehrere Sprachen übersetzen, da ein Viertel der Bevölkerung von Reiden einen ausländischen Hintergrund hat. Zudem möchte ich Vereine wie die Frauen Reiden oder die Senioren Reiden angehen. Sie haben gute Netzwerke.