«Im Lenz»: Wie die Transformation des Hero-Areals dem Stadtteil ein neues Gesicht gegeben hat

Hinter dem Bahnhof wuchs die Hero AG vom Familienbetrieb zum Nahrungsmittelkonzern (zVg)
Hinter dem Bahnhof wuchs die Hero AG vom Familienbetrieb zum Nahrungsmittelkonzern (zVg)

Hans Huber, damals Lenzburger Stadtammann, hatte keine Ahnung von den folgenschweren Konsequenzen des Gesprächs, als er an jenem Morgen das Telefon entgegennahm. Freundlich wurde er ins Direktionsbüro der Konservenfabrik Hero bestellt: Im Frühling 2011 verliess die Traditionsfirma ihren Standort hinter dem Bahnhof und zügelte an den heutigen Sitz beim Autobahnzubringer A1.

Die über 60’000 Quadratmeter Boden an optimaler Lage wollte Hero verkaufen. Was tun damit? Hans Huber, mittlerweile 73 Jahre alt, sitzt in der Brasserie «Barracuda», die im Juni 2017 eröffnet wurde. «Schreiben Sie, dass das Lokal hier wichtiger Treffpunkt ist für das Quartier und ganz Lenzburg», sagt er.

In der Zwischenzeit ist hier einiges passiert: Die Totalunternehmerin und Projektentwicklerin Losinger Marazzi AG realisierte das nachhaltige Quartier «Im Lenz» mit Wohnraum für etwa 1000 Bewohner sowie Büro- und Gewerbeflächen mit etwa 800 Arbeitsplätzen.

Den Spatenstich zum Herkulesprojekt hat Huber im September 2013 als Gast erlebt. Ende 2012 ist er als Stadtammann zurückgetreten. Jetzt blättert er in seinen Unterlagen, nimmt Zeitungsberichte hervor und blickt für die Aargauer Zeitung zurück in die Anfänge, die mit jenem historisch bedeutsamen Telefonanruf ihren Lauf nahmen.

Keine Einwendung gegen das Bauvorhaben

«Mit der Bekanntmachung der Hero, dass sie in Lenzburg redimensionieren und sich hier auf die Produktion von Swiss-­Prime-Produkten wie Konfitüren konzentrieren wollen, hat sich für Lenzburg eine ganz neue Situation ergeben», sagt Hans Huber. Erstens habe man im zweiten Anlauf das Hornerfeld für den neuen Konzernsitz und die Konfifabrik einzonen können. «Zweitens hat sich uns eine Riesenchance eröffnet. Man hat rasch erkannt, dass dies ein unglaublich guter Standort für einen neuen Stadtteil von Lenzburg ist.» Rasch sei klar geworden, dass hier vieles möglich sei: Gewerbe, Kultur, Wohnen, von exklusiv bis familienfreundlich und auch Alterswohnungen.

Von Anfang an sei für den Stadtrat Lenzburg jedoch ganz klar gewesen: «Der Stadtrat wollte unbedingt verhindern, dass hier in architektonischer Einheitsbrei entsteht. Für jedes Baufeld sollte deshalb ein separater Wettbewerb durchgeführt werden.» Die Spezialisten der Stadt hätten deshalb den Arealentwickler bei seiner Arbeit eng begleitet. Vertreter von Lenzburg seien auch in der Jury vertreten gewesen, welche die Wettbewerbsarbeiten beurteilt habe.

Im November 2010 wurden die Wettbewerbsergebnisse präsentiert. Während der Projektphase war die Lenzburger Bevölkerung zu Infoveranstaltungen eingeladen worden. Der Aufwand hat sich ausbezahlt. Es gab keine einzige Einwendung, erzählt Huber. Das Areal wurde in verschiedene Baufelder aufgeteilt, 2013 fuhren die ersten Bagger auf. Totalunternehmerin Losinger Marazzi AG realisierte in Lenzburg das schweizweit erst dritte 2000-Watt-Areal. Die 2000-Watt-Gesellschaft setzt sich ein für einen effizienten Energieeinsatz. «Dieser Platz ist ein idealer Standort für visionäre Projekte und Wandel ist nichts Neues auf diesem Areal», sagte Hubers Nachfolger und heutige Stadtammann Daniel Mosimann beim Spatenstich zur ersten Etappe im September 2013.

Nicht alle Versprechen eingehalten

Mit der Zeit zeigte sich dann, dass nicht alle Versprechen eingehalten werden konnten: Zuerst erfuhr das Projekt eine Namensänderung. Aus «Gleis Nord – Lenzburg urban wurde «im Lenz». «Der Name ‹Im Lenz› klingt etwas weniger industriell als ‹Gleis Nord›», heisst es bei Losinger Marazzi heute. Es handle sich zudem um ein schönes Wortspiel mit Augenzwinkern. «Im Namen sind sowohl die Stadt Lenzburg als auch Lenz im Sinne von Frühling enthalten.»

Weshalb die ursprünglich nebst dem Gewerbeanteil vorgesehene gemischte Wohnnutzung (Eigentumswohnungen, Genossenschaftswohnungen, Mietwohnungen) zugunsten von Mietwohnungen aufgegeben wurde, führt Losinger Marazzi AG rückblickend zurück auf «das grosse Interesse der Investoren an Mietwohnungen». Hinzu komme, dass die Entwicklung von Stockwerkeigentum in der Regel aufwendiger sei und mehr Zeit in Anspruch nehme. «Das Ziel war es, das Quartier ohne Unterbruch fertigzustellen», sagt Daniela Born, Kommunikationsleiterin des Totalunternehmers.

Bachab gingen auch die Pläne für ein Hotel, mangels Interesse eines Hotelbetreibers, so Losinger Marazzi AG. «Es gibt trotzdem sieben Hotelzimmer im ‹Barracuda› und Studiowohnungen oder Zimmer (Gemeinschaftswohnungen) mit Service».

Beträchtliche Zunahme der Bevölkerung

Vier Investoren haben sich im neuen Lenzburger Stadtteil engagiert: Die Bernische Pensionskasse und die Aargauische Pensionskasse sind die grössten Anleger. Hinzu kommen die Vaudoise-Versicherung und die CoOpera Sammelstiftung PUK.

Innerhalb weniger Jahre wurden «im Lenz» 12 Gebäude gebaut mit rund 500 Wohnungen, einem Wohn- und Pflegezentrum und rund 20’000 Quadratmetern Fläche für Gewerbe- und Dienstleistungen. Die Wohnungen sind derzeit grossenteils vermietet. Bei den Gewerbeflächen war Geduld angesagt. Nachdem im Frühjahr 2015 ein Wohn- und Pflegezentrum in Betrieb genommen worden war, ist im August 2015 die Hint AG, schweizweit führender Anbieter von IT-Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialwesen als erste Firma ins Quartier gezogen. Dort ist man glücklich mit der Standortwahl. «Auch nach bald fünf Jahren sind wir sehr zufrieden mit der damaligen Entscheidung. Bei einer kritischen Prüfung des Hint-Unternehmenssitzes haben wir uns klar für diesen Standort entschieden und den Mietvertrag verlängert», schreibt die Geschäftsleitung auf Anfrage. Glücklich zeigt sich auch der jüngste Mieter: GastroAargau hat sein Ausbildungszentrum kürzlich von Unterentfelden nach Lenzburg verlegt. «Der Standort nahe am Bahnhof und die gute Erreichbarkeit zu Fuss werden von Lernenden und Studenten geschätzt», sagt GastroAargau-Geschäftsführer Urs Kohler. Weitere wichtige Ankermieter sind unter anderem Bauknecht AG Schweiz, Skinmed, Klinik für Dermatologie und plastische Chirurgie und die Montessori-Schule.

Die rege Bautätigkeit der vergangenen Jahre hat Folgen: Die Einwohnerzahl Lenzburgs stieg markant an: von 8340 Personen Ende 2010 auf 10’830 Ende 2019. Das ist ein Plus von 30 Prozent. Das hat auch damit zu tun, dass praktisch gleichzeitig zwei grosse Quartiere erstellt wurden. Auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt wurde das Wohnquartier «Widmi» hochgezogen.